Die im Juli erschienene Firmenchronik der bauverein AG hat viel Spannendes aus den letzten 150 Jahren Stadtgeschichte zu berichten. FRIZZ hat mit Dr. Hans-Jürgen-Braun über Vergangenheit und Zukunft des Unternehmens gesprochen.
Gründung
1864 hat alles angefangen mit dem „Bauverein für Arbeiterwohnungen“. Die blühende Residenzstadt Darmstadt entwickelte sich zu einem wichtigen Industriestandort, Wohnungen für Arbeiter wurden gebraucht. Den Anstoß zur Gründung gab die Großherzogliche Familie, Gründer waren Großbürger, Banker; Ideen hierzu wurden aus Großbritannien importiert. Das Ziel war - und ist es bis heute -, preiswerten Wohnraum für breite Bevölkerungsschichten zu schaffen. Die ersten Häuser mit hochmodernen Arbeiterwohnungen wurden 1866 in der Kasinostraße gebaut.
Nach den Weltkriegen
Nach dem 1. Weltkrieg war die Wohnungsnot groß. Es fehlten vor allem bezahlbare Wohnungen. Die Stadt begann massiv zu bauen und sah die Wohnraumversorgung verstärkt als politische Aufgabe an. Im Rhön- und Spessartring baute der Bauverein große Miethäuser nach den Plänen des Architekten August Buxbaum. 1928 übernahm der Bauverein die ersten städtischen Wohnungen und wurde so zu einer städtischen Gesellschaft. Vor dem 2. Weltkrieg entstanden 330 neue Wohnungen. Nach dem 2. Weltkrieg - zum Glück waren die Gebäude des Bauvereins vergleichsweise wenig zerstört - wurden teilgeschädigte Häuser und Wohnungen gemeinsam mit Darmstädter Bürgern wieder instand gesetzt. In den 1950er Jahren erlebte der Bauverein sein Wirtschaftswunder, das Wohnungsbaugesetz war die Grundlage für den Bau zahlreicher und günstiger Wohnungen. 6.000 Wohnungen entstanden bis 1960, u.a. im Woogs- und Martinsviertel, am Wilhelminenplatz und die Postsiedlung. Der Bauverein baute auch „Satelliten-Siedlungen“, war in Eberstadt-Süd und Kranichstein aktiv. Viele bekannte Bauwerke sind im Besitz der heutigen bauverein AG: u.a. das Alte Rathaus, der Neufert-Meisterbau oder die Waldspirale, Quartiere wie das Bürgerparkviertel City oder das Quartier Goethestraße wurden entwickelt.
2003 kam Dr.-Ing. Hans-Jürgen Braun zur bauverein AG. Die derzeitigen Aufgaben der bauverein AG sieht Braun neben der Schaffung von neuen geförderten Wohnungen (pro Jahr 100 neue Sozialwohnungen) in der Modernisierung des Bestandes, vor allem in energetischer Hinsicht. Ganze Quartiere sind in die Jahre gekommen, pro Jahr werden derzeit rund 200 Wohnungen saniert. Außerdem: Nachverdichtung und Aufstockung des Bestandes. „Durch energetische Sanierungen und Modernisierungen können Bestandswohnungen eine sehr hohe Qualität erreichen und wie neuwertig sein.“ Beispiel: Holzhofallee, Scheppallee. Braun fordert ein Umdenken der Städteplaner: Man muss heute Nachverdichtungen und Aufstockungen, die über das „Moller-Maß“ (4-Stockwerke in der Innenstadt) hinausgehen, zulassen, um einkommensstarke Bevölkerungsschichten in der Stadt zu halten.
Die interne Organisation ist in den letzten Jahren stark verbessert worden – im neuen Service-Zentrum bearbeiten acht Mitarbeiter/innen rund 300.000 Anrufe jährlich. Neben der Bautätigkeit engagiert sich die bauverein AG auch mit „Kunst am Bau“ für die Förderung von Künstlern - das sind Mosaiken und Plastiken an Häuserfassaden und in Außenanlagen, z.B. von Richard Heß, Christoph Kappesser, Ernst Vogel, Helmut Lander und Walter Nass. Die bauverein AG ist außerdem Förderer der „Lilien“, des Tierparks Vivarium, Sponsor der „Nacht der Kirchen“, der Naturschutzorganisation BUND, des Kinderzirkus „Datterino“ und vieler anderer Darmstädter Institutionen.
Zukunft
Die Zukunft der Baugesellschaft sieht Dr. Braun in der Reduktion des Energiebedarfs und im Ausbau des Bestands und der Konversion von Flächen. In puncto Energieeffizienz hat die bauverein AG früh neue Wege eingeschlagen: 2010 entstand mit „WohnArt3“ ihr erstes, Generationen übergreifendes Mehrfamilien-Passivhaus, in dem Jung und Alt, Familien und Singles zusammenwohnen. Im Jubiläumsjahr wird das zweite innovative Passivhaus fertiggestellt: „greenageone“ ist ein zukunftsweisendes Bauprojekt in ökologischer Bauweise, architektonisch ansprechend, das innerhalb des europäischen wohnungswirtschaftlichen Netzwerks EURHONET realisiert wurde. „Ich finde es gelungen“, schwärmt Braun. 20 von 30 Wohnungen sind bereits verkauft. In den nächsten Jahren wird die Entwicklung der Lincoln-Siedlung ein anspruchsvolles Groß-Projekt der bauverein AG sein. „Die Zukunft des Bauvereins liegt in Darmstadt“, resümiert Braun.
Nächstes Jahr geht der 1948 in Bad Hersfeld geborene Dr. Braun in den Ruhestand, „150 Jahre bauverein AG kann ich aber noch feiern“. Wir sind sicher, dass er nicht nur in seinem Garten auf einem Liegestuhl sitzen wird ...