Carmen
Oper
bis
Staatstheater Darmstadt Georg-Büchner-Platz 1, 64283 Darmstadt
Oper in vier Akten von Georges Bizet, Dichtung von Henri Meilhac und Ludovic Halévy nach einer Novelle von Prosper Mérimée | Nominiert als beste Aufführung im Jahrbuch Opernwelt 2016
Am Beginn der internationalen Erfolgsgeschichte von Georges Bizets "Carmen" stand eine Verkettung von Missverständnissen. Ein halbes Jahr nach der glücklosen Pariser Premiere von Bizets letzter Oper erstellte Ernest Guiraud für die Wiener Erstaufführung eine von ihrem mittlerweile verstorbenen Komponisten nicht authorisierte Fassung, in der charakteristische Merkmale des Werkes dem damaligen Publikumsgeschmack aufgeopfert wurden. Neben einer auf Instrumentalkompositionen Bizets beruhenden Balletteinlage sorgten vor allem die von Guiraud eingefügten Rezitative dafür, dass "Carmen" in die Nähe der grand opéra gerückt wurde. Dadurch ging nicht nur der für Bizets Werkkonzeption typische, in der Tradition der opéra comique stehende Wechsel von gesprochenem und gesungenem Wort mitsamt der humoristischen Profilierung einiger Nebenfiguren verloren; da Guirauds Rezitative auch die vielfach harten Bruchstellen zwischen den einzelnen musikalischen Nummern der Partitur nivellierten, wurde Bizets Oper zu etwas gemacht, das sie nie war: ein in sich geschlossener musikdramatischer Kosmos.
Doch es waren nicht allein stilistische Verfälschungen, die Carmen lange Zeit bis zur Unkenntlichkeit entstellten: In folkloristischen, die Nähe zum Postkartenkitsch nicht scheuenden Ausstattungen, die den stilisierten Hispanismen von Bizets Musik in keinster Weise entsprachen, wurde die Aura des Fremden, von der die Titelpartie der Oper umgeben ist, in die seit dem fin de siècle künstlerisch überhöhte Männerfantasie von der ewig lockenden femme fatale gebannt.
Sandra Leupolds Darmstädter Inszenierung von "Carmen" nimmt die künstlerischen Intentionen des Komponisten ernst und macht den Esprit seiner Musik zum Ausgangspunkt einer szenischen Interpretation, welche die unzähligen Klischees, von denen Bizets Oper im Laufe ihrer Rezeptionsgeschichte überwuchert wurde, ebenso kritisch wie spielerisch hinterfragt.