© Ateljé Uggla / Aufbau Verlag
Tove Ditlevsen
In den Siebzigern des vergangenen Jahrhunderts, als die zweite Welle der Frauenbewegung voranschreitet, war Tove Ditlevsen auch in Deutschland bekannt. Danach geriet sie für fünf Jahrzehnte in Vergessenheit. Wie alle ihre Romane wurzelt auch „Vilhelms Zimmer“ in der eigenen Lebensgeschichte. Außer dem Scheitern ihrer Ehen trieb die Erzählerin die Frage nach der Vereinbarkeit von Schreiben und Hausarbeit um.
Wer es mit dem deutschsprachigen Theater ausnahmsweise einmal gut meint, der darf die Wiedererweckung dieser Untoten nicht unerwähnt lassen. Tove Ditlevsen gehörte im Dänemark der Siebziger zu den Popstars der Literaturszene, war eine der Schlüsselfiguren der sogenannten zweiten Frauenbewegung. Mit dem Freitod der Schriftstellerin fiel kurioserweise auch die Emanzipation-Welle in sich zusammen. Jetzt, fünf Jahrzehnte später, geht die Rehabilitierung der einstigen Kult-Autorin eher still, aber gewaltig über die Bühne - entgegen aller marktwirtschaftlichen Gesetze. Denn ausgerechnet die Staats- und Landestheater, für die Ditlevsen zu Lebzeiten nie Dramenstoffe lieferte, befeuern den Ansturm auf deren Roman-Neuauflagen im Buchhandel: Im Münchner Residenztheater hob man Ditlevsens bekannte Kopenhagen-Trilogie ins Schaufenster, das Staatstheater Schwerin zwang den Wälzer „Gesichter“ unter der Regie von Alice Buddenberg auf die Bühnenbretter, und am Schauspiel Frankfurt wurden jüngst im „Tove-Projekt“ die inneren Kämpfe der Kopenhagenerin und ihre Reisen als Schriftstellerin in einer patriarchalen Gesellschaft ausgeleuchtet.
Gerade bei der Umarbeitung ihres wohl kunstvollsten Werks aber taten sich die Sprechtheater bislang schwer. Wen wundert’s, spaltet sich Ditlevsens autofiktionales Schreiben in „Vilhelms Zimmer“ gleich in mehrere Figuren auf: da gibt es die boshafte Nachbarin Frau Thomsen, Lises Exmann Vilhelm, der zugleich der Ehemann des „Ich“ ist, dessen neue Geliebte Mille, Lises Sohn und den ewig klammen Untermieter Kurt. Dieses aberwitzige Panoptikum gescheiterter Existenzen, die sich in ihrer Einsamkeit begegnen und doch zur Beziehung und einem normalen Leben untauglich sind, ist nun ab 1. März 2025 am Hamburger Schauspielhaus zu bestaunen.
Regisseurin Karin Henkel, die zuletzt mit der Inszenierung „Richard the Kid & the King“ nach Shakespeare für Aufsehen sorgte, könnte in dieser deutschsprachigen Erstaufführung ihren Fokus ganz auf die Zerrissenheit der Schriftstellerin richten. Als Kind der Arbeiterklasse in Armut aufgewachsen, schien ein Schreibstuben-Dasein für die streitbare Dänin zuerst nicht vorstellbar. Zeitlebens kämpft sie als Frau im männerdominierten Literaturbetrieb um Anerkennung, bietet ihr künstlerisches Schaffen gegen ihre psychische Erkrankung, ihre Tablettensucht und die gescheiterten Beziehungen auf - zuletzt in „Vilhelms Zimmer“, wo sie die letzte ihrer vier Ehen in ein dichterisches Inferno verwandelt.
Alles andere als gängige Frauenrollen.
Der Spaß aufs Lesen sollte der Freude auf die Theater-Premiere nicht nachstehen. Wer zudem der soziologisch aufgeladen Autofiktion einer Annie Ernaux etwas abgewinnen kann, der wird in der 1917 geborenen Rebellin aus Kopenhagen schnell eine frühe Seelenverwandte der späteren Nobelpreisträgerin wiedererkennen. Dem Aufbau-Verlag und den hervorragenden Übersetzungen von Ursel Allenstein ist es neuerdings zu verdanken, dass Ditlevsen rotzig-trotzige Prosa auch hierzulande zwischen Buchdeckeln oszillieren und Genregrenzen sprengen darf. Dass literarische Schubladen Ditlevsen nie einhegen konnten, beweist nachgerade ihr letzter Roman „Vilhelms Zimmer“, der 1975, ein Jahr vor ihrem Selbstmord erschien und jetzt in einer deutschen Neuausgabe vorliegt.
Erzählt wird die Geschichte der Schriftstellerin Lise Mundus. Nach der Trennung von ihrem Mann Vilhelm landet sie nicht zum ersten Mal in der Psychiatrie, wo sie sich mit Kratzspuren im Gesicht vom Finale einer Hassliebe erholt. Vilhelm, Zeitungsredakteur, gönnte seiner Frau weder Erfolg noch Talent. Lise prügelt sich mit ihren Geliebten und wird von ihm als „Dänemarks ältester Teenager“ beschimpft. Doch wie es sich für einen echten Backfisch gehört, lässt Lise sich in der Klapse nicht zur Vernunft herunter dimmen, sondern schaltet eine Kontaktanzeige ausgerechnet in der Zeitung, für die Vilhelm arbeitet.
Tove Ditlevsen begegnet Rollenerwartungen mit feinem Spott, der sich zuweilen zu ätzender Häme steigert. Dabei spielt sie ihre Kritik meist über Bande, nimmt Nebenbuhlerinnen an die Kandare, um gängige Frauenbilder zu demolieren. Lise Mundus ist eben nicht nur eine moderne, sondern auch eine verlassene Ehefrau. Viele der Dinge, die in „Vilhelms Zimmer“ zur Sprache kommen, haben sich auch in Wirklichkeit zugetragen. Ditlevsen und ihr letzter Mann, Victor Andreasen, Chefredakteur einer großen Boulevardzeitung, waren ein bekanntes Paar in Skandinavien. Gerne nahm die Öffentlichkeit Anteil an dem Klatsch und Tratsch, der über die beiden niederregnete. Den Roman nur als Schlüsselwerk über eine toxische Ehegeschichte zu lesen, würde seinen literarischen Reichtum jedoch schmälern. Zu lässig die unterschiedlichen Erzählhaltungen, zu belustigt der Ton bei den fundierten Reflexionen über das Schreiben.
Belustigter Ton, Irrsinn und Versagensängste.
Tove Ditlevsen erzählt multiperspektivisch. Sie schickt eine Ich-Erzählerin ins Rennen, die in magischen Momenten mit ihrem Alter Ego verschmilzt, dann wieder konsequent Abstand nimmt. Irgendwann zieht der halb so alte Kurt in „Vilhelms Zimmer“ ein. Er leistet Lise und ihrem Sohn Gesellschaft, trägt Vilhelms Anzug und verkommt zu einer lebendigen Requisite. Vilhelm und Lise werden methodisch erzählt über die Zuschauer ihres Dramas: durch die Augen der Haushälterin und der abgelegten Liebschaften. Das macht die Sprache interessant fürs Theater, während die Leserschaft gleichwohl nie befürchten muss, sich im Reich des Spekulativen zu verlieren. Denn obwohl Lise und Vilhelm sich im Laufe des Romans kein einziges Mal begegnen, ist das ganze Buch wie ein einziger Dialog zwischen beiden choreografiert.
Diese Szenen einer Ehe sind herzzerreißend komponiert. Brüllend komisch wird es, wenn Lise beschreibt, wie beide zur Psychoanalyse gehen und am Ende die Expertisen ihrer Analytiker das Zusammenleben noch mehr vergiften. Ditlevsens intelligenter Humor gibt der Todessehnsucht ihrer Heldin etwas sehr Reales: Lise hat keine Lust mehr zu leben, doch Abschied nehmen will sie mit kindlichem Überschwang. Dabei wird sie geführt von der Weisheit ihres inneren Kindes, wenn nächtliche Straßen im Stil einer Astrid Lindgren als „glatt und glänzend wie Aale“ beschrieben werden oder es über Kurt einmal heißt: „Im Nachhinein meint sie, sein braunes Haar hätte so tief in die Stirn gehangen, dass es aussah, als würde es von den Augen abgestützt“.
Sie habe in diesem Buch nur noch schreiben wollen, worauf sie Lust habe, legt Ursel Allenstein im Nachwort offen. So wird die Geschichte von der Klugheit des Gefühls wild und genießerisch zusammengehalten. Als Vilhelm weiß, dass Lise sich umbringen will, macht er sich auf den Weg. „Die Wirklichkeit ist einfallslos und unglaublich zugleich“ heißt es irgendwo im Buch. Tove Ditlevsen, die sich kurz nach Erscheinen das Leben nahm, hatte die Gabe, das Unglaubliche mit dem Unausweichlichen zu versöhnen. Das Leben mit seinen Extremen bot ihr Inspiration ohne Ende, und so ist dieser eher schmale Band dann wirklich alles andere als ein trauriges Vermächtnis.
"Vilhelms Zimmer" von Tove Ditlevsen. Übersetzung und Nachwort von Ursel Allenstein. Die Neuausgabe mit 206 Seiten ist als Hardcover mit Schutzumschlag im Aufbau-Verlag erschienen und kostet 22 Euro.
Weiterführende Infos zum Gesamtprogramm halten die Internetseiten der Aufbau-Verlage bereit.