
©Thomas Karsten
Konstantin Wecker
Konstantin Wecker, München 2019
Seit Jahrzehnten gehört Konstantin Wecker zu den profiliertesten Liedermachern hierzulande und beeindruckt durch seinen enormen kreativen Output. Sein neuestes Projekt: das Orchesterprogramm „Weltenbrand“, das der Vollblutmusiker nun auf der Mathildenhöhe präsentiert.
FRIZZmag: Dein aktuelles Album „Sage Nein!“ aus dem vergangenen Jahr ist eine Sammlung antifaschistischer Lieder von 1978 bis heute. Die Lieder zeigen deine fortwährende Auseinandersetzung mit braunen Umtrieben in den vergangenen Jahrzehnten und wirken auch heute erschreckend aktuell. Hättest du 1977, als dein Kultsong „Willy“ veröffentlicht wurde gedacht, dass Anno 2019 ein Album wie „Sage Nein“ nötig sein würde?
Konstantin Wecker: Nein, nie. Bis vor ein paar Jahren noch hätte ich jeden verrückt erklärt, der diese Annahme getroffen hätte. Das Lied „Sage Nein!“ habe ich vor über zwanzig Jahren geschrieben und dachte damals, dieses Aufkommen rechter Hetze im Osten sei einfach ein der Wende geschuldeter plötzlicher Ausfall des Verstandes, ein kurzes Aufwallen. Doch dem war nicht so. Aber ich würde gerne dieses Lied in die Mülltonne schmeißen, wenn es nicht mehr notwendig wäre, es zu singen.
Initialzündung für das Album waren die Vorfälle in Chemnitz im vergangenen Sommer, als ein rechter Mob die Stadt nach einer Gewalttat, die fälschlicherweise Migranten zugeschoben wurde, die Stadt in Aufruhr versetzt. Was ist damals in dir vorgegangen, als du die Bilder aus Chemnitz gesehen hast?
Es war, wie gesagt, unvorstellbar für mich, dass diese Bewegung jemals wieder so einen Zuspruch erfahren würde. Ich dachte, wir hätten nach dieser wirklich umfangreichen Aufarbeitung unserer Geschichte den Nationalsozialismus für immer hinter uns gelassen. Und das, was uns da jetzt droht, das macht mir wirklich Angst!
Dass der Osten ein „rechtes Problem“ hat, ist seit langer Zeit bekannt. Unter dem Motto „Nazis raus aus dieser Stadt“ bist du bereits 2006 gemeinsam mit den Liedermachern „Strom & Wasser“ durch Ostdeutschland getourt. Damals wurden Konzerte, u.a. in Hoyerswerda, auf Druck der NPD abgesagt.
Das war das erste und einzige Mal, dass ich mit einem Auftrittsverbot belegt wurde. Begründet wurde das damals mit dem merkwürdigen Argument des Hallenbetreibers, dass, wenn er einen „Linksradikalen“ wie mich dort auftreten lassen würde, er auch natürlich auch den Rechtsradikalen dort Auftritte nicht verwehren dürfe. Da ist mir echt die Spucke weggeblieben. Meine Aufgabe war und ist es, den Leuten dort mit meiner Musik und mit meinen Konzerten Mut zu machen. Ich erinnere mich, wie Nazis vor einigen Jahren vor einem meiner Konzerte alle Besucher, die zu mir in den Saal sind, am Eingang gefilmt haben. Da ist niemand eingeschritten und solche Dinge machen natürlich Angst. Ich hatte ja das große Glück, in einem antifaschistischen Elternhaus aufwachsen zu dürfen. Ich bin mit meiner Mutter gemeinsam gegen die Nazis demonstrieren gegangen. Und ich erinnere mich noch, wie sie kurz vor ihrem Tod zu mir meinte: „Du, Konstantin, die Neonazis sind ja noch viel dümmer als die Nazis von einst. Die müssen doch wissen, wie es am Ende ausgegangen ist!“ Der Satz ist so einfach und bringt es exakt auf den Punkt. Wie kann man nur dieser Idee anhängen? Es ist einfach nur unbegreiflich.
Als Reaktion auf die Vorfälle in Chemnitz hatte die Chemnitzer Band „Kraftklub“ kurz nach den Vorfällen gleich im September „Wir sind mehr“ ausgerufen und ein kostenloses Konzert mit zahlreichen Künstlern vor 65.000 Leuten gespielt. Das Konzert fand ein breites Echo in den Medien. Was bleibt aber, wenn die Bühnen abgebaut und die Fans wieder in die Heimat gefahren sind? Können Konzerte dauerhaft eine Wirkung zeigen?
Natürlich kann Kultur etwas bewirken! Wie oft mussten mein Kollege Hannes Wader und ich diesen Satz schon hören: Ihr singt jetzt schon seit vierzig Jahren gegen die Ungerechtigkeit an und schaut doch, wie es aussieht. Ihr habt doch gar nichts bewirkt!“ Da sagte der Hannes mal sehr schön: „Die Frage ist falsch gestellt. Sie muss nämlich lauten, wie sähe unsere Gesellschaft heute aus, wenn es diese vielen Mosaiksteinchen, zu denen auch wir mit unseren Liedern zählen, nicht geben würde?“ Ich glaube, dass die Kultur schon Jahrtausenden dafür sorgt, dass die Menschheit sich nicht ausrottet. Ich glaube, das Problem ist vor allem unsere patriarchalische Gesellschaft überall auf der Welt. Das sieht man auch heute wieder von Trump bis Kim Jong-un: lauter Männlein, die versuchen, ihre Männlichkeitsprobleme mit Macht zu kompensieren. Das geht so nicht mehr so weiter. Deswegen freue ich mich sehr über diese – in großen Teilen weibliche – „Fridays for Future“-Bewegung.
Um noch einmal kurz auf Chemnitz zu kommen: Der Journalist Kai Butterweck kritisierte nach dem „Wir sind mehr“-Konzert, dass dort nur „die üblichen Verdächtigen“ aufgetreten seien. Der „nahezu komplette Deutschpop-Kader“ hingegen habe zu den Vorkommnissen in Chemnitz geschwiegen. Es fällt in der Tat auf, dass ein großer Teil der Künstler hierzulande sich auffällig bedeckt hält. Wäre es aber nicht gerade wichtig, dass Leute aus dem Mainstream wie Helene Fischer sich klar gegen rechts positionieren?
Wobei sie ja tatsächlich einmal recht klar Stellung bezogen hat. Und das fand ich doch ziemlich erstaunlich und das verdient durchaus Respekt. Es wartet ja niemand, dass Sängerinnen wie Helene Fischer auf einmal anfangen, politische Lieder zu schreiben. Aber für alle Künstler bzw. Menschen, die in der Öffentlichkeit stehen, gilt: „Ihr müsst Farbe bekennen und für die Demokratie einstehen! Uhr ihr müsst eindeutig gegen jede Form von Faschismus stehen!“ Und da ist es egal, ob Du Schlagerstar oder Rockmusiker bist – der Auftrag ist derselbe! Und warum doch so wenige Künstler hier deutlich werden, liegt auf der Hand: Wir leben in einem kapitalistischen System und nicht wenige haben Angst, bestimmte Fans zu verprellen oder denken sich: „Wenn da mal ein Wechsel kommt, möchte ich trotzdem oben stehen!“
Aktuell bist du mit Dirigent Mark Mast und dem Kammerorchester der Bayerischen Philharmonie auf großer Konzertreise. „Weltenbrand“ heißt das poetisch-politischen Programm und vereint zwölf Musiker aus neun Ländern. Für dich ist die Tournee „die Erfüllung eines Traums“. Wie kam es zu der Idee für „Weltenbrand“?
Man darf nicht vergessen, dass ich, im Gegensatz zu den meisten meiner Liedermacher-Kollegen, eigentlich aus der klassischen Musik komme. Mich hat eher Schubert geprägt als anglo-amerikanische Folkmusiker. Auch die sogenannten „Kunstlieder“, ein Begriff, den ich nicht sehr mag, weil er so etwas gekünsteltes suggeriert, von Schumann, Schubert, Brahms und anderen waren sehr prägend für mich. Dort wurden ganz hervorragende Liedtexte, beispielsweise von Heinrich Heine, vertont. Das ist mein eigentlicher musikalischer Background. Daher habe ich beim Komponieren auch immer eher orchestral gedacht. Und es war für großartig, diese ganzen Lieder mit dem Orchester neu zu entdecken und auf die Bühne zu bringen. Das Ganze ist sehr harmonisch. Und nach den ersten Konzerten kann ich sagen, dass dies das schönste Programm ist, das ich jemals gemacht habe.
Du bist über die Jahrzehnte in zahlreichen Besetzungen live unterwegs gewesen: mal solo am Klavier oder im Duo mit dem Jazz Pianisten Wolfgang Dauner, mal mit großer, mal mit kleiner Band und nun wieder mit einem Kammerorchester. Was macht für dich den Reiz dieser unterschiedlichen Inszenierungen aus? Entdeckt man seine Lieder immer wieder neu für sich?
Sicher. Da gibt es immer wieder neue Facetten der Stücke zu entdecken. Ich schreibe ja die Texte stets zuerst und vertone sie dann. Das ist für mich sehr wichtig und erklärt auch, warum mein musikalischer Stil eher uneinheitlich ist. Ich habe immer versucht, in erster Linie dem Text gerecht zu werden. Und die Texte verlangen oft ganz unterschiedliche musikalische Begleitungen. Eine Hitmelodie steht da nicht zwingend im Vordergrund.
Deine künstlerische Biographie ist beeindruckend: seit Ende der 60er Jahre bist du als professioneller Musiker unterwegs und hast seither über zwanzig Studioalben veröffentlicht, Filmmusiken und Musicals geschrieben, bist als Autor tätig, unterrichtest als Dozent an verschiedenen Universitäten, bist als Friedensaktivist engagiert und hast – nebenbei – noch zwei Söhne großgezogen. Einer deiner bekanntesten Songs ist „Genug ist nicht genug“ – das klingt wie ein Wahlspruch für Dein Leben.
Ja, das ist ein tolles Stück. Aber es ist auch das Lied eines Dreißigjährigen. Und in dem Lied kommt dann auch der Satz „mein Ego ist mir heilig“, und den sagt man als Siebzigjähriger dann doch nicht mehr (lacht).
Vielen Dank für das Gespräch. Weitere Infos hier.