Mit ihrem bunten Mix aus Pop, Folk, Swing und mehr hat sich das Quartett „Il Civetto“ in den vergangenen Jahren eine große, treue Fangemeinde erspielt. Im Frühjahr erschien ihr neuer Longplayer „Liebe auf Eis“, den die Berliner am 14. November ihm Rahmen ihrer aktuellen Tournee auch live in der „Centralstation“ vorstellen werden.
FRIZZ: Ihr habt vor gut fünfzehn Jahren mit Konzerten in der Berliner U-Bahn erste musikalische Erfahrungen gesammelt. Mittlerweile spielt ihr in ganz Deutschland und dem europäischen Ausland auf großen Festivals und euer neues Album steht weit oben in den Charts. Hättest du damals in der U-Bahn gedacht, dass eure Band diese Entwicklung nehmen würde?
Leon Keiditsch: Das Musikmachen war immer schon Teil meines Lebens, und es war schon seit meiner Kindheit klar, dass ich immer Musik machen werde. Ich habe klassischen Gesang gelernt und schon als Kind in der Oper als Sopran gesungen. Meine Bandkollegen sind ähnlich früh eng mit Musik in Kontakt gekommen. Unser Bassist Daniel, beispielsweise, hat Jazzgitarre gelernt. Ich denke, dass die Erwartungen der Bandmitglieder ans Leben damals sehr unterschiedlich waren, aber dass wir alle tief drinnen wussten, dass wir unbedingt Musik machen wollen. Dass es dann so gut läuft, dass wir davon leben können – das hatten wir damals nicht erwartet, aber doch ein bisschen darauf gehofft.
Die Band scheint recht „organisch“ gewachsen zu sein. Euer Durchbruch kam nicht über Nacht. Hat das der Band, rückblickend betrachtet, gut getan?
Ich habe schon einige Storys von Künstler*innen gehört, die mit einem Hit über Nacht berühmt geworden sind und denen das nicht unbedingt gut getan hat. Für uns war das sehr schön, einfach immer an den nächsten Punkt zu kommen. Das Schöne am „organischen wachsen“ als Band ist der Weg. Dass man einfach so viel unterwegs erlebt und mitnimmt. Wir haben in Technoclubs morgens um sechs gespielt oder sind mit dem „Flixbus“ in die Alpen gefahren, um auf einer kleinen Hütte zu spielen. Wir haben auf großen Festivals auf der kleinen Nebenbühne am frühen Nachmittag gespielt. Und nun dürfen wir auf den großen Festivals auf der Hauptbühne spielen. Wenn ich jetzt auf diese letzten Jahre zurückschaue, denke ich: „Es ist supergeil, das alles erlebt haben zu dürfen!“
„Il Civetto“ bedeutet „Die Nachteule“. Welche Bedeutung hat die Eule für euch? Und warum habt ihr als Berliner Gruppe einen italienischen Bandnamen gewählt?
Als wir mit der Band angefangen haben, fanden wir alles, was „deutsch“ klang, extrem unsexy. Wir hatten damals schon in diesen Technoclubs gespielt und irgendwann brauchten wir einen Bandnamen für die Flyer. Damals sangen wir auf Französisch und Portugiesisch, unsere ersten Songs hatten wir in der Türkei aufgenommen – auf einen deutschen Bandnamen hatten wir also gar keinen Bock. Wir kamen dann auf Italienisch und „Il Civetto“, die Nachteule, schien uns sehr passend. Vor allem wegen des Bezugs zur Nacht und auch, weil Vögel alles besser überblicken können als andere. Sie können auch ihren Kopf viel weiter drehen als wir Menschen und haben daher auch eine bessere Sicht aufs Geschehen. „Wir schauen noch weiter über den Tellerrand hinaus“, war unser pubertierender Gedanke dabei (lacht).
Mittlerweile singt ihr größtenteils in eurer Muttersprache. Was hat den Ausschlag hierfür gegeben?
Das hat auch was mit Lebensphasen zu tun. Wir hatten damals so einen jugendlichen Freisinn, sind viel durch die Gegend gefahren, haben in verschiedenen Ländern gespielt und diese Texte in verschiedenen Sprachen waren ein Ausdruck dieses Gefühls. Als dann unser zweites Album erschien, wurde ich in vielen Interviews zu unseren Texten befragt, weil die meisten Leute nur mit Schlüsselwörtern wie „L’amour“ oder „Liberté“ etwas anfangen konnten. Hinter den Texten stand aber ganz viel, was wir sagen wollten, und das schienen die Leute zu verpassen, also mussten wir es in Interviews erklären. Und darauf hatten wir irgendwann überhaupt keine Lust mehr. Es gab dann die Überlegung: „Wir wollen auch mehr in Deutschland touren, vielleicht mal von der Musik leben können. Warum nicht ein Album schreiben, dass die Leute auch hier verstehen können?“ Die Frage war, ob wir dieses Internationale, dieses „Auf Reisen sein“-Gefühl, diesen Vibe, den wir mit dem Französischen und Portugiesischen gut transportieren konnten, auch auf Deutsch hinbekommen? Dann haben unser nächstes Album „Späti del Sol“ geschrieben und diesen Vibe tatsächlich auf Deutsch einfangen können.
Woher kommen die Inspirationen für eure Songs?
Wir leben so ein bisschen zwischen den Welten, würde ich sagen. Den Winter sind wir in Berlin, dann fahren wir nach Frankreich, um an Songs zu schreiben. Wir sind sehr viel unterwegs und lassen uns inspirieren. Von Menschen, die uns begegnen oder auch von einem sonnigen Nachmittag in einem Park in Berlin. Man muss sich einfach freimachen von alltäglichem Stress und dann kommen diese Momente auf einen zu. Man darf nicht nach ihnen suchen.
Ihr seid schon immer sehr reiseaffin. Fällt euch das Schreiben unterwegs leichter?
Die Songs für „Späti del Sol“ haben wir in Frankreich geschrieben und in Spanien aufgenommen. Es gibt einfach einen anderen Vibe, wenn du aus deinem Alltag raus bist und abends irgendwo sitzt, wo die Grillen zirpen. Man ist auch aus dem Touralltag raus, denn auf Tour sein, empfinde ich nicht als „befreienden Moment“, um besser schreiben zu können. Aber mit der Band gemeinsam reisen, da finden sich die Momente, in denen die Inspiration zu uns kommt.
„Wir leben in einer Zeit, in der die Welt zunehmend in die falsche Richtung zu steuern scheint“ hast du unlängst in einem Interview gesagt. Wie leicht fällt es, vor dem Hintergrund globaler und nationaler Krisen, weiter eine positive und hoffnungsvolle Band zu bleiben?
Es ist sehr schwer, in dieser Welt einen hoffnungsvollen Blick zu haben und zu behalten. Wenn man sich umschaut, fragt man sich nur noch, wo das alles enden soll. Wir haben einige Songs, die sehr positiv die Welt betrachten und bei denen ich mir heute nicht mehr sicher bin, ob ich sie nochmal genau so schreiben würde. Man muss aktuell nur nach Gaza schauen oder auf die Wahlergebnisse der „AfD“, um zu merken, dass das keine unbeschwerte Welt mehr ist. Und auch der Klimawandel ist ein Thema, das einen die eigenen Privilegien in dieser Welt hinterfragen lässt. Wir leben in einer Zeit, in der man auf die Straße gehen und dafür kämpfen muss, dass diese Welt nicht den Bach runtergeht.
Mit Songs wie „Zukunft im Wind“ legt ihr den Finger in viele Wunden und bezieht politisch klar Stellung. Ihr unterstützt auch Bewegungen wie „Fridays for Future“. Es scheint euch wichtig zu sein, auch als politische Band wahrgenommen zu werden.
Wie wir wahrgenommen werden, ist uns nicht so wichtig. Entscheidend ist, dass unsere Songs eine Aussage haben und in den Leuten etwas auslösen, was sie motiviert, auf die Straße zu gehen. Ich will aber auch keine „Parolen-Songs“ schreiben, also kein „Alerta Alerta Antifascista“. Der Fokus liegt darauf, über politische Gefühle zu schreiben. Ich will über die Dinge schreiben, die mich bei einem politischen Thema bewegen.
Euer neues, mittlerweile viertes, Album „Liebe auf Eis“ ist auf Platz 14 in die Charts eingestiegen. Wie hat sich das angefühlt?
Interessant, dass wir in so vielen Interviews danach gefragt werden. Ich finde zunächst mal, dass es ein sehr großes Privileg ist, das alles so machen zu dürfen. Dazu gehört auch, dass man sich jetzt nicht dafür groß abfeiert, dass mittlerweile viele Leute zu unseren Konzerten kommen oder unsere Platte kaufen. Es geht um den Inhalt, darum, dass wir auf den Konzerten eine gute Zeit zusammen haben. Darum, dass wir Menschen mit unserer Musik bewegen. Aber natürlich fühlt es sich auch sehr gut an, auf Platz 14 der Charts zu sein (lacht).
Ihr habt auf dem neuen Album auch eigene Kollaborationen mit anderen Künstler*innen. Wie kam's dazu? Beispielsweise zur Zusammenarbeit mit Frank Dellè von „Seeed“?
Ich bin im Berlin der 00er Jahre aufgewachsen und die Musik von „Seeed“ war so etwas wie der Soundtrack dieser Zeit. Frank habe ich irgendwann auf einem Konzert kennengelernt, wir haben ein bisschen gequatscht und später habe ich ihm ein Demo geschickt und gefragt, ob ihm etwas dazu einfällt. Dann kann erstmal lange nichts, bis er anrief und meinte, dass er damit gar nichts anfangen kann, ich aber mal andere Songs schicken soll. Wir haben uns wieder getroffen und dann eine erste Strophe geschrieben und das hat auf Anhieb gut gepasst, sodass er dann mit uns „Alles was ich hab“ aufgenommen hat. Eine sehr schöne Zusammenarbeit!
Was nimmt man aus einer solchen Zusammenarbeit, mal abgesehen vom gemeinsamen Songschreiben und Produzieren, mit?
Eine Menge! Frank strahlt da mittlerweile auch so etwas „mentorhaftes“ aus und unterstützt jüngere Musiker*innen auf ihrem Weg. Er teilt seine Weisheiten und das finde ich klasse!
Ihr seid aktuell wieder auf großer Tour, die euch am 14. November auch in die „Centralstation führt“. Ihr geltet als Band, die „man unbedingt mal live erleben muss“. Welchen Stellenwert haben Konzerte für euch?
Zunächst mal zu unserem Ruf als Liveband: Ina Müller meinte mal, dass wir die beste Festivalband Deutschlands wären. Das hat sich ziemlich weit verbreitet. Wir spielen schon sehr lange und sehr viel live und sind in diese Rolle einfach reingewachsen. Diese Zeit auf der Bühne – darum geht’s! Und wir schaffen es irgendwie immer mit unserem tollen und sehr diversen Publikum in dieser Zeit, die wir zusammen in der Konzerthalle verbringen, eine Art Magie zu erschaffen. Das ist ein sehr enges gemeinsames Gefühl, das weit über das Erleben von „wir stehen auf der Bühne und geben ein Konzert“ hinaus geht. So richtig kann ich das nicht beschreiben, man muss einfach vorbeikommen und das selbst erleben.
Und wie sehen eure Pläne nach der Tour aus? Wo geht's mit „Il Civetto“ in den nächsten Jahren hin?
Wir lassen die Dinge in der Regel sehr gerne auf uns zukommen und schauen, wann wir wieder neue Ideen und Inspirationen haben, um zusammen zu schreiben. Mittlerweile müssen wir allerdings schon auch mehr mit Plan arbeiten, weil einfach immer mehr Leute in das Ganze involviert sind. Aber über konkrete Pläne gibt es aktuell noch nichts zu berichten. Wir spielen jetzt die Tour und sind sicher im nächsten Sommer auch auf Festivals unterwegs. Für alles weitere würde ich sagen: „Schauen wir mal!“
Vielen Dank für das Gespräch.
Benjamin Metz
FRIZZmag präsentiert: „Il Civetto“ live
Do. 14.11., Centralstation, Darmstadt, 20 Uhr
Weitere Infos unter:
ZUR WEBSEITE | INSTAGRAM | FACEBOOK
FRIZZ verlost 3x2 Tickets
Bitte sende eine E-Mail mit deinem vollständigen Namen und Kontakt an E-MAIL KONTAKT. Betreff: Il Civetto
Einsendeschluss: 9.11.2024
Die Gewinnbenachrichtigung erfolgt per E-Mail