Wer die Stufen hoch ins Atelier stapft, wird von einer anderen Welt umgarnt: Stoffe in Regalen, Wolle in Körben, Kleider auf Ständern, Bügeleisen als Beschwerer, mehrere Nähmaschinen - hier fehlt es an nichts, was das Herz einer Schneiderin begehrt. „Man braucht Zeit, wenn man etwas nähen will“, sagt die Textildesignerin Margot Lorenz in ihren Räumen des Dachgeschosses der Bessunger Knabenschule. Stoff will ausgebreitet werden, denn „bei mir geht Inspiration meistens vom Stoff aus“. Bei qualitätvollem Material - und darauf legt die Neunundsechzigjährige größten Wert -, schaut sie, „wie man das Optimum erreichen kann“. Es handele sich meistens um Restmengen aus Designerkollektionen: „damit muss ich jonglieren, was ich daraus machen kann, ein Shirt, eine Hose, eine Jacke oder vielleicht sogar mehrere Stücke?“ Am liebsten entwirft sie luftigleichte, schwingende Röcke, Kleider oder Hosen, in denen man sich so richtig wohlfühlt. Neben dem Atelier, wo sie seit Mitte der Neunziger zusammen mit Mo, Simone Goinar, arbeitet, gibt es noch die Herz- sowie eine Stoffkammer, eine Färbeküche und den Vorraum. Der Fundus mit den selbstgefärbten Stoffen ist für sie ein wahrer Schatz, denn Margot Lorenz mischt ihre Farben selbst. Hierfür nimmt sie sowohl Natur-, als auch Chemiefarben, kennt Kniffe und Tricks, ist ständig am Experimentieren, was, wie sie betont, kostspielig wie langwierig ist. In ihren raffinierten Kleidungsstücken „steckt viel Entwicklungsarbeit drin“. Wobei ihr Farben „ganz wichtig sind“, deshalb spricht sie auch von „der Magie der Farben“. Beim Färben komme es jedesmal, weil auch der Zufall mitspielt, zu Überraschungen, die gilt es zu beeinflussen. Weil Margot Lorenz die Farben im Laufe der Jahre sehr gut kennt, kann sie diese in ihrem Sinne lenken. Gerne mag sie morbide, abgetönte, leicht verblichene, vergängliche Farben, die sich gut kombinieren lassen. Wegen eines Informatikstudiums an der damaligen Technischen Hochschule zog sie 1971 von Kassel nach Darmstadt. Sogar ein Maschinenbaupraktikum beim VW-Werk in Baunatal absolvierte sie. Dies hat sie nie bereut, denn „das ist immer noch hilfreich, wenn es gilt, technische Probleme zu lösen, beispielsweise mit einfachen Mitteln aus dem Haushalt industrielle Techniken nachzubauen“. Doch die einseitigen Gedanken um Effizienz und Wirtschaftlichkeit machten sie krank, so dass sie das Studium abbrach. Margot Lorenz lernte Klaus Fischer kennen, mit dem sie bis heute zusammen ist, und auch die beiden Frauen, die von einer Japanreise zurückkamen und einen Laden in der Kaupstraße mieteten. Dieser hieß „Emma“ und man konnte da alte Kimonos aus Tokio und andere besondere Stücke kaufen. Dort heuerte Margot an, arbeitete einmal in der Woche mit und bot zum ersten Mal ihre selbstgenähten Kleider feil. „Der Renner“ seien ihre Overalls gewesen, die oben eng anliegend waren und unten in weiten Hosenbeinen endeten. Aus einem Laden aus Kassel brachte sie ihre besonderen Stoffe mit, die es sonst nirgends in Darmstadt gab: „So wurde die Marke ML langsam bekannt.“ Heute hängt ihr Logo, gestempelt auf weißem Organza, genäht auf schwarze Pappe, an jedem Kleidungsstück, welches ihr Knabenschule-Atelier verlässt. Zu den Textilien kam nicht sie, die Textilien kamen zu ihr: „Ich habe schon immer mit Stoffen gespielt“, erzählt die aus der Gegend um Kassel stammende Lorenz. Ihr Vater Helmut, der sich in einer Weberei zunächst zum Buchhalter ausbilden ließ, später in einer Stoff-Agentur arbeitete, um zwischen Webereien/Strickereien und Herstellern von Konfektionen zu vermitteln, hatte zur Anschauung immer verschiedene Stoffmusterbücher dabei. Margot und ihre Schwester bekamen die der vergangenen Saison und verglichen sie mit Kollektionen aus den Jahren zuvor. „Ich bin drauf abgefahren“, sagt sie, steht auf und kramt ein altes Exemplar der „Württembergischen Baumwoll-Spinnerei und -weberei bei Esslingen am Neckar, Erzeugnisse vom Brühl“ hervor. Darin finden sich lauter kleine Vierecke aus weißem Stoff, nichts Farbiges, nichts Aufregendes - für Margot Lorenz jedoch nach wie vor ein Faszinosum. „Calicot“, „Cretone“, „Renforcé“, „Zanella“, „Köper“ steht jeweils bei diesen Proben. „Köper“, schnappt sofort die Fachfrau auf, „daraus werden Jeans gemacht“. Zudem hatte ihre Oma einen Kolonialwarenladen in Wettin an der Saale, wo Galanteriewaren wie Spitzenkragen und -handschuhe oder bestickte Tüllschals feilgeboten wurden. Eine Tante sei Schneiderin gewesen, Weißnäherin die andere Großmutter und der Onkel arbeitete in der Lehrlingsausbildung einer Kammgarnspinnerei und entwickelte sogar ein Patent für den Jarquard-Webstuhl.

©Klaus Mai
Nur kurz schnupperte die Wahldarmstädterin ins Textildesignstudium hinein, um schnell zu bemerken, dass sie genug weiß, um selbst ein Unternehmen zu starten. Ihre Kollektionen trägt sie freilich auch selbst, und zwar so lange, „bis die Teile auseinanderfallen“. Das dauere glücklicherweise ziemlich lang. Und längst nicht nur Frauen wurden auf die Südhessin aufmerksam: Seit einigen Jahren engagiert sie sich für Theaterproduktionen. Hierfür arbeitet Margot Lorenz mit dem renommierten Kostümbildner Gerd Friedrich zusammen, etwa an der aufwendigen Oper „Kaiser von Atlantis“, bei der sie sämtliche Kostüme für sieben Künstler nähte. Auch während der Burg-Festspiele in Mayen ist sie diesen Sommer als Assistentin beteiligt gewesen. Mehrere Monate verbrachte sie in der Eifel, um sich um die Kostüme für die diesjährigen Produktionen zu kümmern. In Darmstadt kann man sie bei Kunst, Klamotten, Klunker im Künstlerhaus Ziegelhütte oder bei Ulricke Lindemann in deren schönem Lädchen in der Müllerstraße treffen.