©Thea Nivea
Thea Nivea Glosse
Thea Nivea
Hi, ich bin Thea Nivea. Nivea hab ich von meinem Vater. Weil ich als Kind mal Nivea gegessen habe. Erklärt er jedem, ders nicht hörn will. Überhaupt erklärt er reichlich viel. Damit ich durchblicke, sagt er. Dabei blick ich schon durch, sogar bei Politik. Oder bei Fußball. Und erklär ihm auch manchmal was. Oder meine Mutter mischt sich ein. Was dabei raus kommt, na ja, könnt Ihr selbst lesen, jeden Monat. Wenn Ihr mir was erklärn wollt, schreibt mir einfach: t.nivea@frizzmag.de
Wenn man sich, sag ich, zu weit aus dem Fenster lehnt … … fällt man vor Neugier heraus, sagt mein Vater, und bricht sich das Genick. Ausreden lassen vielleicht, sag ich leicht genervt. In dem Fall musst du nachsichtig sein, sagt meine Mutter, die Geschichte hat er mir schon vorgelesen, als wir uns gerade kennengelernt hatten. Welche Geschichte, frag ich. Die herausfallenden Frauen, sagt mein Vater. Von Daniil Charms, russischer Dadaist, sagt meine Mutter, Lieblingsautor deines Vaters. Kann ich auswendig, sagt mein Vater: Eine alte Frau lehnte sich vor lauter Neugier aus dem Fenster, schlug auf und brach sich das Genick. Aus dem Fenster lehnte sich eine zweite alte Frau und schaute zu der Genickbrüchigen hinunter, aber vor lauter Neugier fiel sie auch aus dem Fenster, schlug auf und brach sich das Genick. Dann fiel die dritte alte Frau aus dem Fenster, dann die vierte, dann die fünfte. Als die sechste alte Frau herausgefallen war, hatte ich keine Lust mehr, ihnen zuzusehen, und ging zum Malzewski-Markt, wo, wie man hörte, einem Blinden ein Wollschal geschenkt worden war. Okay, lustig, sag ich. Und typisch dein Vater, sagt meine Mutter, müsste dir eigentlich auch gefallen. Normalerweise ja, sag ich, aber interessiert eigentlich jemanden, was ich sagen wollte? Ich wollte … Ach, meint meine Mutter, du meinst, weil kürzlich in Darmstadt ein Kind aus dem Fenster gefallen ist? Es waren zwei, sag ich, ein 1-jähriger Junge aus dem 3. und ein 1-jähriges Mädchen aus dem 2. Stock, beiden zum Glück nix passiert, aber darüber wollte ich gar nicht reden. Dafür, sagt meine Mutter, weißt du es aber ganz genau. Ich hatte mir das mal vorsorglich notiert, sag ich, für meine Glosse. Worüber wolltest du denn reden, fragt mein Vater. Über die letzte Stavo, sag ich. Was hat das mit Fensterstürzen zu tun, fragt meine Mutter. Es sollte eine Metapher sein, sag ich, was passiert, wenn man sich mit seinen Statements zu weit aus dem Fenster lehnt. Oder seinen Anträgen, sagt meine Mutter, z. B. die zweistöckige Zehnfelderhalle. Es sprach, sagt mein Vater, eine Protagonistin der sog. Koalition. Es sprach, sagt meine Mutter, ein gefühlter Kumpel des sogenannten OB. Jetzt fangt ihr auch noch so an, sag ich. Gehen wir dir auf die Nerven, fragt mein Mutter. Nicht nur ihr mir, sag ich, die Politik dem Volk. Jetzt wirds aber ganz groß, sagt meine Mutter. Eher zynisch, sag ich, tatsächlich wollte ich mit euch über das Infozentrum auf der Mathildenhöhe reden. Verstehe, sagt meine Mutter, du sympathisierst mit Uffbasse. Ja, sag ich, ich fand es eine Überlegung wert, das Infozentrum in eine der Jugendstilvillen zu verlegen. Und die Pop-up-Kultur am OHA zu erhalten, fragt mein Vater. Auch, sag ich, ich kann aber nachvollziehen, dass es da Sachzwänge gibt. Kannst du das auch, fragt mein Vater, in Sachen Rollsporthalle? Jetzt komm du nicht auch, sagt meine Mutter, mit Darmstadt ist eine Sportstadt wie euer sog. Oppositionsführer. Ihr lehnt euch echt weit aus dem Fenster, sag ich. Da hätten wir ja wieder deine Metapher, sagt meine Mutter. Ja, sag ich, und ihr brecht euch eher das Genick, als dass ihr mich überzeugt. Dich, fragt mein Vater. Mich und das Volk, sag ich, das sich, um bei deinem charmanten Charms zu bleiben, abwendet und lieber zum Malzewski-Markt geht. Gut, sagt mein Vater, führen wir den Gedanken fort: Wer oder was ist der Wollschal und wer schenkt ihn? Andrej Andrejewitsch, sag ich, und der Wollschal ist die Darmstädter Haushaltslage. Das heißt im Klartext, fragt meine Mutter. Vernünftig Sachpolitik machen, sag ich, nicht sich rhetorisch bekriegen, mich beunruhigen die Schellenbergschen Zahlen sehr: Mehr als eine Milliarde Schulden, alles im mittelfristigen Investitionsplan ist fremdfinanziert, allein der Feuerwehrneubau und die Rheinstraßenbrücke belasten den Haushalt mit einer Viertelmilliarde. Deine Kritik, sagt mein Vater, ist genehmigungsfähig. Im Gegensatz zum Haushalt, sag ich. Stimmt schon, sagt meine Mutter, es müssten alle mal anfangen, ihre Hausaufgaben zu machen. Um im Bild zu bleiben, sag ich, Fenster zu und weg vom Fenster.