„Ich mag es, dass sich hier nicht jeder so wichtig findet.“

Mitsch Schulz im Gespräch mit Jan Rosenthal

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© Mitsch Schulz

Jan Rosenthal ist, nachdem er letzte Saison von Eintracht Frankfurt ausgeliehen worden war, seit dieser Saison im Kader der Lilien. Der 29-Jährige ist einer der Spieler mit viel Bundesligaerfahrung, er hat für Hannover 96, Freiburg sowie die Eintracht gespielt und auch etliche U 19- und U 21-Nationalspiele auf dem Konto. Ich treffe einen ungewöhnlich offenen, kritischen und selbstbewussten Profi, der viel zu erzählen hat.

FRIZZ: Wie schätzt Du Dich selbst ein?

Jan Rosenthal: Ich bin auf jeden Fall immer neugierig, aber eher nicht auf das Leben anderer, sondern auf Dinge, die einem das eigene Leben bietet. Ich möchte vieles ausprobieren und bin sehr perfektionistisch veranlagt, stelle hohe Anforderungen an mich, an den Alltag, auch an mein Umfeld - manchmal zu hohe. Deswegen mache ich es mir immer mal wieder selbst schwer und führe Kämpfe. Für mich ist es wichtig, mich als Mensch in allen Bereichen bestmöglich zu entwickeln. Nur dann ist für mich das Leben sinnvoll gewesen, wenn man möglichst viel ausprobiert hat, geschaut hat, wo sind die Grenzen, was ist der beste Weg. Ich bin sicherlich durch den Sport geprägt. Wir haben in der Jugend eigentlich jedes Spiel gewonnen. Ich war das Verlieren nicht gewohnt. Das hat mich schon früh geprägt, man verliert nicht gerne und im negativen Fall legt man dann immer den Fokus mehr auf das, was schief läuft, damit das nicht wieder eintritt - teils sehr extrem. Das habe ich immer noch in mir drin. Wenn man aber an Grenzen und Tiefpunkte kommt und den Fokus immer nur auf das Negative legt, dann besteht auch die Gefahr, dass es sich gerade deshalb nicht ändert. Ich habe da schon viel mit Coaches gearbeitet, die einem wirklich einen coolen Input gegeben haben, für das Leben an sich und wie man die Dinge sehen sollte. Jedes Mal, wenn ich in alte Muster zurückfalle, merke ich, dass das nicht der richtige Weg ist. Es ist wichtig, auf das zu schauen, was gut läuft, dann vergrößert sich das, worauf man die Aufmerksamkeit legt.

FRIZZ: Weltanschauung/Politik ?

Jan Rosenthal: Ich bin schon sehr sozial geprägt und habe in den vergangenen Jahren immer mehr das Gefühl, das Deutschland zu weit auseinander driftet. Ich bin glücklicherweise selbst in bescheidener Idylle auf dem Land aufgewachsen, meine Mutter hatte mit 27 schon drei Kinder und war den Großteil der Zeit zu Hause. Es war nicht so, dass wir viel hatten, wir haben uns alles Stück für Stück aufgebaut. Heute bin ich in der komfortablen Situation, dass ich alles habe, was ich brauche, und sogar mehr.

In Frankfurt empfinde ich die Extreme sehr stark. Man fährt mit dem Auto durchs Bahnhofsviertel, sieht viele eher Arme, viele Einwanderer. Auf der anderen Seite sitzt man im Westend im Café und muss sich lautstarke Gespräche anhören von Leuten, die dort über den letzten Trip nach Saint-Tropez reden und wo es zurzeit den besten Schampus gibt. In dieser Szene ist mir viel zu viel Schein und wenig Sein. Ich habe vor kurzem eine schönes Zitat gelesen, was ich da sehr treffend finde: „Die krankhafte Versteifung auf Oberflächlichkeit verhindert jede weitere Entwicklung.“

Vor allem in Großstädten gibt es also viele Menschen am oberen Ende der Gesellschaft und viele am unteren Ende – und beide leben mehr oder weniger nur in ihrer Welt, fast ohne Schnittmenge, es fehlt mir das soziale Miteinander. Es gibt kaum mehr die Mitte bzw. nimmt man sie als Zugezogener kaum wahr. Ich war ja vorher in Hannover und Freiburg, das ist beides eher so ein bisschen gemäßigt, alternativ, mit viel Grün, gemütlich.

FRIZZ: Wie schätzt Du denn die Situation hier im Verein ein?

Jan Rosenthal: Ich mag es, dass sich hier nicht jeder so wichtig findet. Die Gabe und Möglichkeit ein Profifußballer sein zu können und deswegen einen tollen Arbeitsplatz zu haben, sollte zu einer gewissen Haltung führen, dass man Verantwortung übernimmt. Die Situation, eine gewisse Sache besser zu können als andere, sollte zum Anspruch führen, einen Respekt zu entwickeln, um vernünftig mit anderen Menschen umzugehen. Also nicht, sich besser als andere fühlen, sondern den Anspruch an sich selbst erhöhen. Das alles wird hier im Verein gut vorgelebt. Vom Trainerstab ist eine gewisse Disziplin vorgegeben und die Führungsspieler aus der Mannschaft - mit Kapitän - leben das vor. Und wenn so etwas aus der Mannschaft kommt, dann hat das nochmal eine ganz andere Dynamik, auch für den Rest der Mannschaft. Man weiß, wenn man sich nicht daran hält, stellt man sich über die Mannschaft und das funktioniert hier nicht. Das ist eigentlich die beste Reglementierung, die es gibt, und führt zur Eigenverantwortung. Das finde ich sowieso sehr wichtig, weil ich selbst gerne mit großer Eigenverantwortung und Disziplin versuche den Profifußball-Job auszuüben. Deswegen verstehe ich Trainer auch nicht, die einem überhaupt keinen Freiraum geben. Dieses Vertrauen von Trainerseite, dass die Mannschaft alles für den Erfolg gibt, muss da sein. Und das ist hier so! Hier merkt man auch, dass wir eine Mannschaft sind, wer Fehler macht, gibt sie zu, im Sinne der Mannschaft, weil man weiterkommen will.

FRIZZ: Wie siehst Du die sozialen Aktivitäten im Verein?

Jan Rosenthal: Mir gefallen die sozialen Aktivitäten des Vereins und der Sponsoren, das ist ja genau diese Art von Verantwortung, die ich gut und wichtig finde und die man auf jeden Fall entwickeln sollte, wenn man in privilegierten Situationen ist. Da tut sich Peak besonders hervor mit seinen Aktionen zu jedem Spieltag.

FRIZZ: Spielt Religion eine Rolle für Dich?

Jan Rosenthal: Nein, nicht mehr. Ich bin getauft und konfirmiert, aber hatte dann in der Jugend Erfahrungen mit einer Mitschülerin, die Zeugin Jehovas gewesen ist und der dadurch vieles vorgegeben war, nicht immer zu ihrem besten. Das hat mich geprägt. Danach habe ich mich viel mit Religionen und Philosophie auseinandergesetzt, viele haben gemeinsame Wurzeln und tolle Ansätze, aber vieles ist auch Auslegungssache. Ich finde, jeder sollte glauben, was er möchte, und nicht andere bekehren oder bewerten, was richtig oder falsch ist – da die Welt eh sehr subjektiv ist. Ich selbst habe mich eher von Religion und der Institution Kirche distanziert. Ich finde es schade, dass aus diesen unterschiedlichen Glaubensfragen auch sehr viele Konflikte entstehen. Hesse’s „Siddartha“ kommt meinen Überzeugungen am nächsten.

FRIZZ: Du malst ja auch, wie kommt das?

Jan Rosenthal: Mir hat mal jemand gesagt, dass es hilft, in meiner Freizeit das zu machen, worauf ich auch im Beruf zurückgreife: Kreativität. Also habe ich mich vor ein paar Jahren mit den nötigen Utensilien eingedeckt und angefangen zu malen und damit auch meine Wohnung zu dekorieren. Kreativ sein, etwas intuitiv schaffen, wie auf dem Platz – genau dann fühle ich mich gut. Das ist beim Malen genauso: nicht darüber nachdenken, Farben nehmen, die einem gefallen, und auf die Leinwand hauen. Es ist faszinierend, wie die Zeit dabei vergeht und der Kopf völlig frei wird. Wenn meine Homepage demnächst wieder online ist, kann man da ein paar Bilder sehen, außerdem gibt es vielleicht eine kleine Ausstellung in einer Frankfurter Galerie.

FRIZZ: Wie sieht es sonst so mit popkulturellen Aktivitäten aus?

Jan Rosenthal: Leider bin ich nie eine Leseratte geworden. Ab und an fange ich etwas an, aber wenn es nicht passt, höre ich schnell wieder auf. Thomas Glavinic „Das größere Wunder“ z.B. aber hat mich fasziniert. Ansonsten bin ich eher der Kinogänger, aktuell fand ich z.B. „The Equalizer“ oder „Hectors Reise oder die Suche nach dem Glück“ ganz gut. Wenn die Filme auch ein wenig Inhalt haben, ist das schon wichtig. Ich bin extremer Fan von der englischen „Sherlock“-Serie mit Benedict Cumberbatch in der Hauptrolle. Das ist genau das, was ich immer sehen wollte - überragend. Ich finde mich da manchmal wieder in seiner Welt, die total verkopft ist, aber auch humorvoll. Ihm geht es dabei nur um die Sache und wenig zwischenmenschliche Konventionen. In Ansätzen verhalte ich mich auch so, sagt meine Frau. Aber ich glaube es ist schon besser geworden und ich habe da in meiner Ehe schon dazu gelernt. Oder „True Detektive“ ist auch eine Weltklasse-Serie, bei der eine intensive Stimmung rüber kommt. An Musik habe ich den letzten Jahren alles Mögliche gesammelt. Ich verbinde extrem viele Erinnerungen mit Musik und das ist bei mir nicht an Genres geknüpft. Am meisten Musik höre ich im Auto. Fernsehen schaue ich eher aus Gewohnheit, abends, um runterzukommen. Aber ich finde Fernsehen macht träge, es ist mal kurz zum Abschalten gut, aber durch die Gegend zappen, nur um irgendetwas zu gucken, geht gar nicht.

FRIZZ: Spielt Ernährung eine große Rolle bei Dir?

Jan Rosenthal: Auf meine Ernährung achte ich schon sehr, ich koche auch selbst gerne. Vor einem Jahr habe ich auch mal probiert, mich tendenziell vegan zu ernähren, aber das ging als Leistungssportler in meinem Zustand nicht. Ich habe ja nicht so viel Masse oder Reserven, wie vielleicht andere Spieler, da kann ich nicht einfach Fleisch und Nudeln weglassen, wenn ich nicht sofort die besten Ersatzstoffe bekomme. Es sind halt doch extreme Energielieferanten. Deswegen versuche ich jetzt so eine Mischung, das tut meinem Stoffwechsel sehr gut. Ich kaufe viel in Bioläden und sehr viel frische Sachen. Ich bin das auch von früher so gewohnt, Mutti hatte immer alles im Garten.

FRIZZ: Vielen Dank für das Gespräch!

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