Rad egal? RADikal!

Die Lage für den Darmstädter Radverkehr ändert sich.

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©Lukas Blank


Jahre lang strampelte die Stadt in Sachen Radverkehr fast nur Leerlauf. Letztes Jahr mobilisierte der „Radentscheid” die Bürgerschaft und, obwohl er „scheiterte”, brachte er das Thema politisch wieder ins Rollen. Aber hat sich seitdem etwas geändert?

Die Initiative „Radentscheid Darmstadt” sammelte von Februar bis Mai 2018 über 11.000 Unterschriften für ein Bürgerbegehren. Die Umsetzung der darin enthaltenen Forderungen hätte die Straßen Darmstadts umgekrempelt. Ende Juni 2018 erklärte der Magistrat das Bürgerbegehren wegen „Mängeln beim Kostendeckungsvorschlag” für unzulässig. Klar wurde dabei dennoch, der Status quo war für die Radfahrer*innen ähnlich unzulässig. Ähnlich liest sich auch der „ADFC Fahrradklima-Test 2018” für Darmstadt: Zwar belege die Wissenschaftsstadt Platz 9 von 41 in ihrer Größenklasse, bekomme von den 921 Befragten allerdings nur die Schulnote 3,8, nur wenig besser als ausreichend. Als ausreichend empfindet auch der Vorstand des Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Clubs-Darmstadt e.V. Klaus Görgen die Radverkehrsinfrastruktur noch nicht. Die Note des Klimatests sei seiner Meinung nach zwar zu relativieren, bei den Bedürfnissen, die aus der Befragung hervorgehen, dürfe hingegen nichts realtiviert werden:

„Es gibt noch viel zu tun”.


Den Mut, viel zu tun, fasste die Stadt analog zum Lauter werden der Bürgerschaft. So wurde noch in derselben Magistratssitzung, in der das Bürgerbegehren als unzulässig erklärt wurde, das Sonderprogramm „Investition Radverkehrsförderung (4x4 Rad)” beschlossen. Hierbei handelt es sich um Investitionen in Höhe von 4 Millionen Euro pro Jahr für die nächsten 4 Jahre. Herunter gebrochen sind das circa 25 Euro Radverkehrsbudget pro Kopf und Jahr, was Darmstadt in einer Liga mit Amsterdam und Kopenhagen radeln lässt. Zusätzlich schuf die Stadt neue Stellen im Straßenverkehrs- und Tiefbauamt für den Bereich Radverkehr. Prompt konnte der 2018 ins Amt gehobene Radverkehrsbeauftragte Peter Roßteutscher und sein Team Problemstellen wie die Rheinstraße sicherer machen und Projekte wie die Radstrategie in die Wege leiten. ADFC-Darmstadt Vorstand Klaus Görgen erklärt: „Solche dezidierten Entscheidungen wären vor fünf oder sechs Jahren noch undenkbar gewesen.” Inzwischen gäbe es aber eine bunte Landschaft von Radaktivisten und die Politik habe damit mehr Rückhalt in der Bürgerschaft.

Passend zum Ende der bundesweiten Aktion „Stadtradeln” hat die Stadtverordnetenversammlung am 19. Juni 2019 die schon erwähnte Radstrategie beschlossen. Die 15 Parlamentarier*innen, die beim Stadtradeln teilnahmen, und ihre 56 anderweitig mobilen Kollegen*innen haben damit wichtige Grundlagen für eine Verkehrswende gelegt. Das Strategiepapier enthält fast schon furchterregende Schlagworte wie „Radoffensive” oder „Flächengerechtigkeit” – ein Schrecken für Autofahrer ist es aber dann doch nicht. In fünf Handlungsfeldern wurden konkrete Pläne, Regeln und Ziele festgehalten, wie die Stadt für einen besseren Radverkehr sorgen will. So findet sich unter „strategische Ziele” beispielsweise die „Steigerung des Modal Splits” oder unter „Infrastruktur” die „Planung nach Stand der Technik”.

Kleinzureden sei die Radstrategie nicht, erklärt David Grünewald, einer der Initiatoren des Radentscheids:

„Das ist das erste Mal, dass Darmstadt sich dem Thema Radverkehr systematisch und strategisch widmet.”


Vielleicht trägt das Widmen bis zum nächstjährigen Stadtradeln schon Früchte und die in diesem Jahr  geradelten 273.906 Kilometer können auf sicheren Radwegen übertroffen werden.

Trotz des Erfolgs der Radstrategie ist nach Grünewald für eine Verkehrswende noch viel zu tun: „Der Fußverkehr ist in der Diskussion etwas zu kurz gekommen. Ein leicht zu lösendes Problem sind die zugeparkten Fuß und Radwege. Hier lässt die Kommunalpolizei noch zu selten abschleppen, um freie und sichere Wege zu schaffen.” ADFC-Darmstadt Vorstand Klaus Görgen ist ähnlicher Meinung: „Verkehrswende heißt, noch mehr Leute raus aus dem Auto auf andere Verkehrsmittel holen. Zurzeit werden für Fußgänger und Radfahrer neue Grundlagen geschaffen, doch es könnte noch mehr sein. Ein flächendeckendes Fahrradwege-System von Nord nach Süd und von Ost nach West wäre ein großer Schritt.”

Darmstadt ist also auf einem besseren Weg als noch vor einem Jahr, der Platten ist geflickt und die Kette gut geölt. Jetzt muss die Wissenschaftsstadt nur noch in die Pedale treten.
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