Zehn Jahre „Zukunft braucht Erinnerung“

Der Förderverein Liberale Synagoge Darmstadt e.V. feiert 2021 sein zehnjähriges Bestehen

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Zum zehnjährigen Gründungsjubiläum (25. Januar 2021) plant der Förderverein Liberale Synagoge nun drei digitale Jubiläumsveranstaltungen im Frühjahr 2021: Einen Filmabend mit anschließendem Vortrag145 Jahre Liberale Synagoge: Wenn Steine aus der Mauer schreien“ mit anschließendem Vortrag über vergessene Darmstädter Jüdinnen am Dienstag, 23. Februar 2021 (20.00 Uhr), einen Online-Zoom-VortragVergessene Darmstädter Juden: Von Rabbi Bruno Italiener bis Julius Goldstein“ (Sonntag,  28. März 2021, 20.00 Uhr) und eine Hommage-Abend zu Ehren Elsbeth Judas, geb. Tochter Julius Goldsteins, zu deren 100. Geburtstag am Sonntag 2.Mai 2021, 20 Uhr (via Zoom)

Zehn Jahre „Zukunft braucht Erinnerung“: Der Förderverein Liberale Synagoge Darmstadt e.V. feiert 2021 sein zehnjähriges Bestehen. Die Gründung fand vor genau einer Dekade, am 25. Januar 2011, auf der Mathildenhöhe statt. Auf Initiative von Martin Frenzel, der damals zum Gründungsvorsitzenden gewählt wurde, trafen sich damals etliche Darmstädter Bürgerinnen und Bürger, für die Erinnerungsarbeit eine dauernde, ganzjährige Aufgabe darstellt. Zu den Gründungsmitgliedern gehörten von Beginn an der  ehemalige Oberbürgermeister Peter Benz, der frühere Umweltdezernent Klaus Feuchtinger, Lilo Kiel und Ludwig Achenbach, aber auch Dieter Wenzel, Martin Remmele und die Kinderärztin Dr. Inge Landzettel. „Wir sind ein überparteilicher, unabhängiger Verein für aktive Erinnerungskultur“, so der Tenor beim FLS.  Die „Jüdischen Allgemeine“ aus Berlin habe den FLS einmal als „Darmstädter Anwälte der Erinnerungskultur“ bezeichnet. Man fühle sich dem Erbe Fritz Bauers verpflichtet, der einmal gesagt habe: "Nichts gehört der Vergangenheit an. Alles ist Gegenwart und kann wieder Zukunft werden." Und mehr noch:

„Leider ist es eine typisch deutsche Eigenschaft, den Gehorsam schlechthin für eine Tugend zu halten. Wir brauchen die Zivilcourage, 'Nein' zu sagen.“

Trotz des auch für den FLS schweren Corona-Jahrs 2020 zieht der FLS-Vorsitzende Martin Frenzel eine positive Zehn-Jahres-Bilanz: „Wir haben in den zehn Jahren einen aktiven Beitrag zur Demokratiebildung und für ein geschichtsbewusstes, weltoffenes Darmstadt geleistet, unser Motto ‚Zukunft braucht Erinnerung‘ war und ist uns dabei eine Leitidee.

Frenzel erinnerte daran, dass es getreu der Maxime Saul Friedländers – „Gebt der Erinnerung Namen“ – den deutsch-jüdischen Darmstädter Persönlichkeiten ein Gesicht und ihre Geschichte zu geben. Der FLS habe seit 2011 damit auch und gerade das erinnerungskulturelle Stadtbild Darmstadt mit geprägt: Im November 2011 sei auf Initiative des FLS auf dem Klinikumsgelände der Julius-Landsberger-Platz zu Ehren des gleichnamigen Kaiserreichs-Rabbiners der Liberalen Synagoge eingeweiht worden, gefolgt von zwei Gedenktafeln zu Ehren Landsbergers im November 2013. Zudem habe der FLS dafür gesorgt, dass die Julius Goldstein-Tochter Elsbeth Juda (1911-2014) erstmals nach ihrer Vertreibung aus ihrer deutschen Heimat durch die Nazis im April 2013 in der Kunsthalle Darmstadt eine Werkausstellung („Bauhaus und neues Sehen“) erleben konnte.  Im November 2014 wurde sodann die Familie Wolfskehl-Gedenktafel des Fördervereins Liberale Synagoge im Bessunger Wolfskehlschen Park eingeweiht, als Hommage für Otto Wolfskehl und die Seinen (darunter Eduard und Karl Wolfskehl). Im November 2015 folgte  die Heinrich Blumenthal-Gedenktafel des FLS auf dem Johannesplatz zu Ehren des ersten Gemeindevorstehers und Stadtteil-Gründers des Johannesviertels (früher: Blumenthalviertel), die der FLS initiierte und in Kooperation mit dem Kirchenvorstand der Ev. Johanneskirche einweihte. Am 15. Januar 2017 sei darüber hinaus der seit 2013 gehegte Traum des FLS, einen Karl Heß-Platz mit Gedenktafel in Darmstadt zu verwirklichen, wahrgeworden.  Auf Initiative des FLS habe man den Platz mit Tafel zu Ehren des nach 1945 nie rehabilitierten und geehrten Lilien-Vorsitzenden der Weimarer Republik, den Darmstädter Rechtsanwalt Dr. Karl Heß (1900-1973) in Zusammenarbeit mit dem SV Darmstadt 98 und mit Unterstützung der Stadt vorm Eingang des Merck-Stadions am Böllenfalltor in die Tat umgesetzt. „All diese Wegzeichen der Demokratie und gegen das Vergessen waren und sind von unserer obersten Richtschnur geprägt: Dem Artikel 1 des Grundgesetzes: Die Würde des Menschen ist unantastbar“, so Frenzel.

Zudem habe man zahlreiche namhafte, bundesweit renommierte Referent:Innen zu Vorträgen, Podiumsabenden, Filmveranstaltungen und Konzerten eingeladen, darunter Julius H. Schoeps, Norbert Frei, Ernst Klee, Götz Aly, Joachim Perels, Jochen Böhler, Ulrich Herbert, Irith Gabriely, Miriam Magall, Rabbiner Walter Rothschild, Iris Stromberger, Frank Decker, Wolfgang Benz, Wolfram Wette u.v.a. 

Hinzu kamen Ausstellungen wie etwa über die Opfer rechtsextremer Gewalt 2012 im Justus-Liebig-Haus (in Kooperation mit der Stadt Darmstadt), die sehenswerte Wanderschau „Kicker, Kämpfer,xxx“ über vergessene deutsch-jüdische Sportler und Fußballer in Kooperation mit dem SV Darmstadt 98 (in den Räumen der Volksbank Darmstadt) im Frühjahr 2017 oder die vielbeachtete Wander-Schau „Widerstand“ im April-Mai 2017 in Kooperation mit dem Katholischen Bildungszentrum nr30 und der Ev. Erwachsenenbildung (in nr30).   

Seit zehn Jahren führt der FLS nicht zuletzt das ganze Jahr hindurch – außer in der Sommerpause – 

Ehrenamtlich Jüdisches Darmstadt-Rundgänge „Auf den Spuren der Liberalen Synagoge“ in der Gedenkstätte Klinikumsgelände durch. „Die Rundgänge stoßen auf sehr positive Resonanz bei den Leuten, für Viele bedeuten sie eine Menge Aha-Erlebnisse.“ Auch Spezial-Führungen eigens für Schüler:Innen oder Unternehmen waren dabei. 

Seit 2012 organisiert der FLS überdies gemeinsam mit Kooperationspartnern jedes Jahr im Oktober/November seine Darmstädter Aktionswochen gegen Antisemitismus.

2013 wurde der FLS mit dem Ludwig-Metzger-Preis geehrt, Martin Frenzel für sein erinnerungskulturelles Engagement 2014 mit der Bürgerehrung der Stadt Darmstadt und der FLS im gleichen Jahr mit dem Gesicht zeigen!-Preis der Stadt Darmstadt für Zivilcourage und gegen Rassismus. Erinnerungsarbeit dürfe nicht von oben verordnet werden, sondern müsse von unten, aus der Bürgerschaft kommen. „Die Erfahrung der von oben verordneten ‚Erinnerungs‘-Politik in der DDR zeigt, wohin das führt, wenn Erinnerung nicht verinnerlicht und an der Basis verankert wird, sondern von oben oktroyiert wird.“  

Zum 10jährigen FLS-Jubiläum plant der Verein einige Veranstaltungen im Frühjahr 2021: Die eigentlich im Januar geplanten Veranstaltungen wurden wegen der Corona-Lage und aus zeitlich-organisatorischen Gründen notgedrungen auf Februar/März 2021 verschoben.

So plane man nun am Dienstag, 23. Februar 2021 einen Zoom-Vortrag (statt eines Rundgangs, wie sonst in den Vorjahren üblich“): „145 Jahre Liberale Synagoge – Wenn Steine aus der Mauer schreien“. Man wolle den sehenswerten Doku-Film von Florian Steinwandter-Dierks per Zoom zeigen und danach über einige vergessene deutsch-jüdischer Darmstädter Jüdinnen von Herta Mansbacher über Marie Trier bis Elsbeth Juda, geb. Goldstein informieren.  Beginn 20 Uhr, Teilnahme kostenlos, Spenden erbeten. Der 23. Februar sei ein besonderes Datum, nämlich der Tag der offiziellen Einweihung der Liberalen Synagoge Friedrichstr./Fuchsstr. am 23.02.1876. Traditionell beginne der FLS immer sein Erinnerungsarbeitsjahr an diesem Geburtstag des Jüdischen 

Gotteshauses, das die Nazis 1938 zerstörten und dessen wenige Überreste erst im Oktober 2003 wiederauftauchten. Sodann plane der FLS einen Zoom-Vortragsabend „Vergessene Darmstädter Jüdinnen und Juden: Von Rabbi Bruno Italiener bis zum Kultur- und Technikphilosophen Professor Julius Goldstein am  Sonntag, 28. März 2021 um 20.00 Uhr, Teilnahme kostenlos, aber auch hier Voranmeldung erforderlich unter: E-Mail Kontakt.

Zudem sei zum 100. Geburtstag der Goldstein-Tochter Elsbeth Juda (1911-2014) ein Zoom-Vortrag Die zwei Leben der Elsbeth Juda, geb. Goldstein: Zwischen Darmstadt und London am Sonntag, 2.Mai 2021, vorgesehen (20 Uhr, Teilnahme kostenlos, Spenden erbeten).

„Wir hoffen sehr, dass wir seitens des FLS vom Herbst 2021 an wieder wie gewohnt Präsenz-Veranstaltungen anbieten und die 9. Darmstädter Aktionswochen gegen Antisemitismus 2021 im November/Dezember 2021 wieder normal direkt vor Ort durchführen können“, so der FLS-Tenor. Ein besonderer Höhepunkt würden während der diesjährigen Darmstädter Aktionswochen u.a. zwei Anlässe sein: Zum einen plane man seitens des FLS, den Martin Frenzel persönlich zu treuen Händen von den englischen Nachlassverwaltern übergebenen Nachlass des Darmstädter Kultur- und Technikphilosophen Prof. Dr. Julius Goldstein (1873-1929) vorzustellen. Eine Übergabe an eine öffentliche Bibliothek und/oder ein Archiv sei sodann fürs Frühjahr 2022 vorgesehen.  Zum Zweiten sei für den November 2021 die Einweihung der Rabbi Bruno Italiener-Gedenktafel aus Anlass von dessen 65. Todestag (1881-1956) geplant und im Zeichen des 83. Jahrestags der Novemberpogrome von 1938.

Frenzel zieht zum 10jährigen FLS-Jubiläum das Resümee:
Erinnerungsarbeit ist und bleibt eine dauernde Gegenwarts- und Zukunftsaufgabe, auch und gerade in Corona-Zeiten!“

Wir hoffen, dann auch von September 2021 an wieder – wie gewohnt – normale Rundgänge in der Liberalen Synagoge-Gedenkstätte, am Johannesplatz, im Bessunger Wolfskehlschen Park und vorm Eingang des Merck-Stadions am Böllenfalltor  anbieten zu können.

Besorgt zeigt sich der Förderverein Liberale Synagoge über stark wachsende, nicht selten antisemitisch konnotierte Tendenzen in Teilen der sog. Querdenken-Coronaleugner-Bewegung: „Gerade die Suche nach Sündenböcken und die Produktion antisemitischer Feindbilder in einer Pandemie hat es in der Geschichte immer wieder gegeben“, so Frenzel weiter. Aktives Engagement gegen Judenhass, Rechtsextremismus und Rassismus bleibe auch weiter ganz oben auf der Agenda des FLS. „Gerade jetzt, in einer Zeit, in der die Zeitzeug:Innen immer weniger werden, tun neue Formen der Erinnerungsarbeit not“, so der Tenor. Wir haben nicht nur eine Corona-Seuche, sondern auch eine Seuche des Antisemitismus in diesem Land, es gibt hierzulande eine doppelte Gefahr.“ Umso mehr sei aktives erinnerungskulturelles Engagement und Demokratiebildung von besonderem öffentlichem Interesse – auch und gerade in Pandemie-Zeiten.

Die beiden aktuell laufenden Benefizspendenkampagnen des FLS – ,,Darmstadt braucht eine Rabbi Bruno Italiener-Gedenktafel November 2021und „Darmstadt braucht einen Julius Goldstein-Platz mit Gedenktafel November 2022“ werde man nun notgedrungen in der Lockdown-Phase digital via Internet (www.liberale-synagoge-darmstadt.de) und via Facebook-Gruppe des FLS weiter fortsetzen. Spenden hierfür können direkt aufs Konto des Vereins überwiesen werden (Infos dazu gern auf Anfrage!).    Weitere Veranstaltungen werden via Tagespresse und FLS-Homepage bekannt gegeben. Ein Wunsch zum 10. Geburtstag? „Wie alle Vereine freuen wir uns über jede und jeden, die/der sich bei uns ehrenamtlich aktiv einbringt, besonders Newcomer:Innen sind herzlich willkommen“, so Martin Frenzel abschließend.



©FLS


Weitere Infos zum zehnjährigen Jubiläumsjahr und den Veranstaltungen/Rundgängen in 2021: 


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