Eine Stadt macht Außenpolitik

Warum Darmstadt 16 Partner in ganz Europa hat

by

© Partnerstädte

Anfang Juni feiert Darmstadt Jubiläum mit sechs der 16 Partnerstädte: Alkmaar, Graz, Liepaja, Plock, Trondheim und Troyes. Wir haben uns gefragt, was es mit Städtepartnerschaften auf sich hat.

Städtepartnerschaft? „Das ist doch das, was beim AlleWeltTreff auf dem Heinerfest ist. Das, warum unsere Straßenbahnen nach anderen Städten benannt sind, oder?”, antwortete ein Heiner auf unsere Frage. Nah dran, aber nicht nur. Dass Feste wie das Heinerfest oder erst kürzlich San Antonios 300-jähriges Stadtbestehen gemeinsam mit den Partnerstädten gefeiert werden, hat einen tiefsinnigen Hintergrund: Das Verlangen, eine andere Kultur kennenzulernen, ein anderes Volk verstehen zu wollen. Ausdruck findet dies nicht nur in gemeinsamen Festen, sondern auch und gerade in der Zusammenarbeit von Schulen, Hochschulen, Unternehmen, Institutionen und Vereinen.

Der Ursprung der sog. Städtefreundschaften soll wohl in den 1920er Jahren liegen. Gesangsvereine reisten in Städte anderer Länder und freundeten sich miteinander an. Ein politisches Momentum bekamen die Städtepartnerschaften nach dem zweiten Weltkrieg. Fast 30 Jahre Kriegspropaganda hatten in den Köpfen der Europäer Spuren hinterlassen, Städtepartnerschaften sollten zum Symbol für den Frieden und zum Werkzeug für Völkerverständigung werden. „Es ging darum, Brücken über die Gräben zu bauen, die der zweite Weltkrieg hinterlassen hatte”, erklärt Bernd Schäfer vom Darmstädter Amt für Interkulturelles und Internationales. „Völkerverständigung nach dem zweiten Weltkrieg”, so sei die erste von drei Perioden in Darmstadts kommunaler Außenpolitik einzuordnen, erläutert er. 1958 unter Oberbürgermeister Ludwig Engel entstanden die ersten Partnerschaften - mit Alkmaar in den Niederlanden und mit Troyes in Frankreich. 1959 schloss Engel die dritte Partnerschaft - mit dem englischen Chesterfield. OB Engel setzte sich während seiner fast 20-jährigen Amtszeit stark für Städtepartnerschaften ein und leitete mit den Partnerschaften mit Graz, Österreich und Trondheim, Norwegen im Jahr 1968 und mit Bursa, Türkei im Jahr 1971 die zweite Periode Darmstädter Außenpolitik ein - die der wissenschaftlichen und wirtschaftlichen Zusammenarbeit.

Auch wenn Städtepartnerschaften eine politische Dimension haben, ist der bürgerlichen Ursprung nicht verloren gegangen. Gut zu sehen ist das am Beispiel der Partnerschaft zu Bursa, sie entstand durch die Initiative eines einzelnen Studenten. Halit Cura war durch ein Austauschprogramm an die TU Darmstadt gekommen, organisierte immer wieder Begegnungen zwischen den Bürger*innen und Politiker*innen der Städte, bis eine Partnerschaft ratifiziert wurde. Für seinen großen Einsatz um die deutsch-türkischen Beziehungen wurde Halit Cura Jahre später zum Honorarkonsul ernannt.

Bürgerliche Initiativen dieser Art seien keine Seltenheit, versichert Bernd Schäfer. Oftmals hegten Schulen oder Vereine lange Freundschaften, bevor die Städte auf offizieller Ebene eine Partnerschaft anstreben. Erst nach ein paar Jahren der Annäherung käme es zur offiziellen Ratifizierung.

Zehn Jahre nach Ludwig Engel hatte Darmstadt mit Oberbürgermeister Günther Metzger einen zweiten großen Außenpolitiker. Mit ihm folgte die dritte Periode der Städtepartnerschaften, die wohl am besten mit „Öffnung zum Ostblock” zu betiteln ist. Von 1988 bis 1993 ging Darmstadt acht neue Partnerschaften ein: mit Plock in Polen, Szeged und Gyönk in Ungarn, Freiberg in Sachen, Brescia in Italien, Saanen in der Schweiz, Ushgorod in der Ukraine und Liepaja in Lettland.

Metzger Amtsnachfolger hielten sich, was das Eingehen neuer Partnerschaften angeht, zurück. Peter Benz schloss 2002 die 15. Partnerschaft mit Logrono in Spanien, letztes Jahr verschwisterte sich Darmstadt unter Jochen Partsch mit San Antonio, Texas/USA.

Jetzt pflegt Darmstadt also mit 16 Städten Partnerschaften quer durch Europa und über den großen Teich.

Doch was hat Darmstadt davon? Sind es, obwohl die Partnerschaften im Geiste Europas und der Völkerverständigung geschlossen wurden, nicht doch nur Namen für Straßenbahnen und Bereicherungen des AlleWeltTreffs beim Heinerfest? „Ganz klar: Nein”, sagt Bernd Schäfer, „es herrscht reger Austausch in vielfältiger Weise, der für den Abbau von Vorurteilen, für Verständigung, Freundschaft und Zusammenarbeit steht.” Anfang Mai trafen sich die Stadtoberhäupter der Partnerstädte beim Europawochenende in Darmstadt, diskutierten die Digitalisierung und tauschten Erfahrungen aus, wie die unterschiedlichen Städte mit der kommunalen Herausforderung umgehen. Viele Vereine hegen die Städtepartnerschaft über Kontakt mit anderen Vereinen in ganz Europa, Schulen und Hochschulen planen regelmäßig Austauschprogramme, die von den jeweiligen Städten bezuschusst werden. Eine Vielzahl der Begegnungen bemerke man gar nicht in der Öffentlichkeit, weiß Bernd Schäfer, weil es eben Privat- oder Vereinsbegegnungen seien. Ergänzend erläutert er: „Mehr denn je setzt die kommunale Außenpolitik, gerade in schwierigen Zeiten für Europa, ein Signal für Zusammenarbeit und Völkerverständigung.”

3.-10.6., „Europa in Darmstadt“ - Festwoche der Partnerstädte

Mehr Infos unter:

www.darmstadt.de/europa

1 | troyes.60jahre

Was hat sich durch die Partnerschaft mit Darmstadt in Troyes verändert?

Audrey Sibois, Städtepartnerschaftsamt Trondheim:

„Tatsächlich finden für die Bürger*innen über das ganze Jahr verteilt Veranstaltungen statt, die die Partnerschaft fortsetzen und vertiefen. Besonders schätzen wir den jährlichen Grenzgang, der immer wieder neue Seiten von Darmstadt enthüllt.“

2 | alkmaar.60jahre

Was hat sich durch die Partnerschaft mit Darmstadt in Alkmaar verändert?

Ineke Radder, Städtepartnerschaftsamt Alkmaar:

„Seit 1958 gibt es jede Menge Austausch- und Partnerschaftsprogramme zwischen Alkmaar und Darmstadt. Ob im Bereich des Sports, der Bildung oder der Kultur, überall haben sich innige Freundschaften entwickelt. Wir hoffen, dass diese Partnerschaft noch viele Jahre währt.“

3 | graz.50jahre

Was hat sich durch die Partnerschaft mit Darmstadt in Graz verändert?

Claudia Sachs-Lorbeck, Städtepartnerschaftsamt Graz:

„Es gab schon von jeher gute Kontakte zwischen der TU Graz und der TU Darmstadt. Diese Partnerschaft kommt vor allem den Studierenden durch wechselseitige Aufenthalte und den Lehrenden durch ein Forschungsabkommen zugute. Auch auf kultureller Ebene ist die Freundschaft zu spüren, ob bei Chorbesuchen oder Fotografenaustauschen.“

4 | trondheim.50jahre

Was hat sich durch die Partnerschaft mit Darmstadt in Trondheim verändert?

Astrid Haugslett, Städtepartnerschaftsamt Trondheim:

„Es ist wichtig, andere Städte zu inspirieren und sich inspirieren zu lassen. Darmstadt hat einen Weg gefunden, wertvolle Beziehungen aufzubauen und zu führen, die über nationale Grenzen reichen. Trondheim hat von Darmstadt gelernt, diese Partnerschaften stärker wertzuschätzen.“

5 | plock.30jahre

Was hat sich durch die Partnerschaft mit Darmstadt in Plock verändert?

Tomasz Malowaniec, Städteparterschaftsamt Plock:

„Der Schüleraustausch ist wahrscheinlich der wichtigste Bestandteil der Städtepartnerschaft. Er besteht schon länger als die Partnerschaft selbst und hilft bei der Vorbeugung der Jugendarbeitslosigkeit. Seit 1996 gibt es das „Dom Darmstadt“ (Darmstadt-Haus) - eine Kultureinrichtung, die für deutsch-polnischen Kulturaustausch sorgt.“

6 | liepaja.25jahre

Was hat sich durch die Partnerschaft mit Darmstadt in Liepaja verändert?

Natalja Vecvagare, Städtepartnerschaftsamt Liepaja:

„Ob in Schulen, Universität, im Waisenhaus, im Museen, in den Kirchen, bei NGOs, einfach überall ist die Partnerschaft mit Darmstadt zu spüren. Häufig schreiben sogar Studenten ihre Abschlussarbeit über die Erfolgsgeschichte „Partnerschaft mit Darmstadt“. Trotzdem sind die zwischenmenschlichen Begegnungen die größte Bereicherung. Aus Partner wurden Freunde.“

Back to topbutton