Mit Gartenzwerg oder ohne

Vor hundert Jahren wird die erste deutsche Kleingartenverordnung erlassen

by







Der Schriftsteller Wladimir Kaminer ist stolzer Pächter einer Parzelle in der Berliner Kleingartenkolonie »Glückliche Hütten«. Binnen kurzer Zeit hat er gegen alle Vorschriften des Bundeskleingartengesetzes verstoßen. Er respektiert lediglich das Verbot, Großvieh zu halten.



Kleingartenpächter haben es nicht einfach. Das Werkeln im Grünen unterliegt strengen Regeln, so will es die im Juli 1919 erlassene Kleingarten- und Pachtlandverordnung. Mit der Novellierung der Verordnung zum Bundeskleingartengesetz 1983 hat sich nicht viel geändert. Es gilt nach wie vor: Ein Drittel der Fläche muss ein Nutzgarten mit Obst- und Gemüseanbau sein. Diese Regel geht auf Zeiten zurück, in denen die Kleingärten weniger dem Hobby oder der Erholung dienten, sondern den notwendigen Lebensunterhalt sicherten. Hecken dürfen maximal 80 Zentimeter hoch sein. Das fördert die Kommunikation über den »grünen« Gartenzaun, ermöglicht aber auch manches Streitgespräch über gärtnerische Rechte und Pflichten. 



Die Verordnung gibt den Pächtern aber auch Rechtssicherheit und schützt vor überhöhten Pachtpreisen. Und letztendlich wird niemand abstreiten, dass es Regeln braucht, wenn so viele Menschen auf kleinstem Raum ihr gärtnerisches Potential ausleben. In Deutschland gibt es heute mehr als eine Million Kleingärten. 



Die ersten gemeinschaftlichen Gärten entstehen vor rund 200 Jahren. Strömungen der Zeit fließen in die Kleingartenidee ein. Licht, Luft, Sonne und Bewegung für die Bewohner dicht bebauter Städte, die Gartenstadtbewegung oder Gedanken der Lebensreformbewegung. Mit der Zeit laufen viele Stränge zusammen, die Arbeitergärten des Deutschen Roten Kreuzes, die Laubenpieper in Berlin, die Arbeiter- und Industriegärten im Ruhrgebiet oder die Schrebergartenbewegung in Leipzig. Der Orthopäde Daniel Gottlob Moritz Schreber (1808–1861) war weniger Initiator, sondern spendierte posthum den Schrebergärten seinen Namen. Als Arzt verordnete er den Kindern Bewegung an der frischen Luft. Erst nach seinem Tode wurden der »Schreberverein« gegründet und der »Schreberplatz« in Leipzig eröffnet, eine Wiese zum Spielen und Turnen für Kinder. Von Garten war zunächst nicht die Rede. Erst im Nachhinein wurden dort Beete und Gärten angelegt, Vorbild für die späteren Schrebergärten.



Darmstadt hat mit vielen Hof- und Bürgergärten eine lange Gartentradition. Hier wurde 1835 einer der ältesten Gartenbauvereine Deutschlands gegründet. 1895 gab es die erste Kleingartenanlage. Es folgten etliche weitere, auch Gründungen von Kleingartenvereinen. Aber erst in Notzeiten nach dem Ersten Weltkrieg wuchs die Anzahl der Gärten zur Selbstversorgung stark an. Die hohe Nachfrage hielt auch nach dem Zweiten Weltkrieg an. Der Bedarf konnte bei weitem nicht gedeckt werden. Die Argumente dafür sind heute aktueller denn je. Grüne Oasen im Stadtraum kommen nicht nur den Pächtern, sondern auch der Allgemeinheit und dem Stadtklima zugute. Wenn Kleingärten Bauvorhaben geopfert werden, kommt es immer wieder zu heftigen Auseinandersetzungen.



Es ist noch nicht lange her, da war das Durchschnittsalter eines Kleingartenpächters 60 Jahre. Mittlerweile sind es viele junge Familien, die das Interesse und die Freude am eigenen Obst- und Gemüseanbau entdecken. In den letzten Jahren setzt sich auch in Darmstadt  der neue Trend des »Urban Gardening« durch. Viele Angebote sind nicht an die Mitgliedschaft in einem Gartenverein gebunden oder können auch temporär genutzt werden. Das Hofgut Oberfeld bietet an, Parzellen für den Gemüseanbau zu mieten. Mit dem Projekt »Ackerhelden« überlässt Alnatura auf dem neuen Campus Schul- und Erlebnisgärten. Projekte der Initiative »Essbares Darmstadt« sind überall in der Stadt sichtbar. Die »Grünpause« auf dem Campus Lichtwiese ist ein Gemeinschaftsgarten für Studierende sowie Anwohnerinnen und Anwohner. 
Back to topbutton