Woher kommt das eigentlich?

Herkunftsgeschichte eines Kunstwerks wissenschaftlich erforschen

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© Klaus Mai

Nicht erst seit der Entdeckung des „Schwabinger Kunstschatzes“ in der Wohnung von Cornelius Gurlitt, Sohn des Kunsthändlers Hildebrand Gurlitt, ist Provenienzforschung ein Thema. Das spektakuläre Ereignis rückte es jedoch prominent in den Fokus der Öffentlichkeit. Die systematische Erforschung der Herkunftsgeschichte eines Kunstwerks steht jedoch bereits länger auf der Agenda von Kunstmuseen oder Kunstsammlungen.

Seit Mai 2017 verstärkt Shammua Maria Mohr als Provenienzforscherin das Team des Instituts Mathildenhöhe Darmstadt. Auf die Frage, was sie eigentlich zur Provenienzforscherin qualifiziert, lacht sie, und man weiß sofort, es gehört viel mehr dazu als nur fundiertes kunsthistorisches Fachwissen. In der Museologie zu Hause sein, Archivarbeit leisten, langwierige Recherchen durchstehen können – manchmal auch ohne sichtbares Ergebnis. Die Liste ist lang. „Aber“, so Mohr, „ebenso wichtig sind die persönlichen Eigenschaften“. Der sorgfältige Blick auf das Detail, ohne das Ganze aus dem Auge zu verlieren, Kreativität, viel Geduld, eine hohe Frustrationstoleranz, kritisches Hinterfragen oder Sensibilität im Umgang mit schwierigen Fragestellungen gehören mit zu dem Gesamtpaket. Und man nimmt es ihr nach kurzem Gespräch sofort ab, sie bringt diese Eigenschaften mit. Eine gute Netzwerkerin zu sein, ist hilfreich. Daher gehört sie auch dem Arbeitskreis Provenienzforschung an, der für wissenschaftlichen Austausch sorgt und in komplizierten Fällen mit Rat zur Seite steht. Informationsnetze werden im Abgleich mit den Recherchen der anderen Beteiligten geknüpft. Im Idealfall helfen sie der eigenen Forschungsarbeit weiter.

Das Deutsche Zentrum Kulturgutverluste, eine 2015 von Bund und Ländern gegründete Stiftung, finanziert Mohrs Projektstelle – zunächst bis 2019. In dieser Zeit muss sie sich einer Sisyphusarbeit stellen. Rund 550 bereits im Vorhinein ausgewählte Gemälde der Städtischen Kunstsammlung Darmstadt, deren Entstehungszeit vor 1945 liegt und die nach 1933 in die Sammlung gelangten, sind genau unter die Lupe zu nehmen und auf ihre Herkunft zu untersuchen. Ein Großteil davon wurde nach 1945 erworben und stammt aus dem Kunsthandel. In vielen Fällen sind die Umstände des Erwerbs unklar und somit Bestandteil ihrer aufwendigen Forschungsarbeit.

Die dringende Notwendigkeit, diese Zeitspanne genauer zu betrachten, liegt nahe. Gibt es Gemälde, die in den Bestand der Städtischen Kunstsammlung Darmstadt gelangten, die den Besitzern während der NS-Zeit von 1933 bis 1945 unrechtmäßig entzogen wurden? Angesichts der dramatischen machtpolitischen Verhältnisse in der damaligen Zeit liegt der Verdacht oftmals nicht weit. Gemälde für Gemälde wird Mohr in nächster Zeit systematisch aufarbeiten, von einer ersten Einschätzung zur Verdachtshypothese, über Vermutungen und Indizien sowie teils mühselige Recherchen bis hin zu einer – hoffentlich – lückenlosen Dokumentation der Erwerbungsgeschichte.

Zentrale Stelle für Provenienzforschung in Hessen

Anfang 2015 hat das Land Hessen eine zentrale Stelle für Provenienzforschung eingerichtet.

© HLMD

Die zwei fest angestellten Wissenschaftlerinnen sind dabei, die Bestände in den Landesmuseen Darmstadt, Kassel und Wiesbaden systematisch nach NS-Raubgut zu untersuchen. Basis für die weitere Zusammenarbeit mit den Museen ist eine gemeinsam erstellte Verdachtsliste von potentiell NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kunstwerken. Im Anschluss daran beginnt die eigentliche Arbeit der Provenienzforscherinnen, die aufwendige Recherche zur Herkunftsgeschichte der Kunstwerke, die ein detailliertes Dossier dokumentiert. Anhand der Dossiers können Empfehlungen gegeben werden: unbedenklich, kritisch oder verdächtig.

Wichtig für die konstruktive Zusammenarbeit und den Abgleich der Museen untereinander ist ein Beirat aus Vertretern der Landesmuseen, des Ministeriums und externer Fachkompetenz.

Verantwortliche Ansprechpartnerin im Hessischen Landesmuseum Darmstadt (HLMD) ist Dr. Mechthild Haas, Leiterin der Graphischen Sammlung. Auch hier rückt die kritische Zeitspanne von 1933 bis 1945 zunächst in den Fokus. „Die Zahl der Erwerbungen in dieser Zeit ist überschaubar“, so Haas. Die Provenienzforscherinnen gehen anhand der Inventarlisten chronologisch vor.

Etliche Gemälde im HLMD haben bereits eine genaue Prüfung überstanden. Die 1937 erworbene „Wormser Tafel“ wurde anhand des Dossiers als unbedenklich eingestuft. Das um 1260 entstandene Kunstwerk ist ein Glanzstück früher mittelalterlicher Tafelmalerei. 

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