Buch des Monats Juli 2022

Maßstäbe in der Welt der Bücher ...

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… setzen die monatlichen Buchempfehlungen aus Darmstadt. Seit 1952 trifft sich regelmäßig eine unabhängige Jury aus Schriftstellern, Journalisten und Literaturkritikern, um aus der Vielzahl der Neuerscheinungen ein Buch besonders hervorzuheben.

Mit der Auszeichnung soll diesen Büchern zu einer größeren Verbreitung verholfen werden. Dabei fällt die Wahl nicht unbedingt auf literarische Bestseller, manches Buch wurde durch die Auszeichnung „Buch des Monats“ erst erfolgreich.

Aktuell gehören der Jury an:

Peter Benz, Michael Braun, Oliver Jungen, Hanne F. Juritz, Adrienne Schneider, Julia Schröder, Dr. Tilman Spreckelsen, Dr. Gerhard Stadelmaier, Dr. Hajo Steinert, Beate Tröger und Wolfgang Werth.

Begründung der Jury


38 Aktenordner mit abgetippten und datierten Notaten umfasst das Konvolut im Nachlass Wilhelm Genazinos, und die gemessen daran kleine Auswahl von 450 Druckseiten aus den Jahren 1972 bis 2018, die nun erschienen ist, lässt einzelne, sich durchziehende Themen ebenso erkennen wie eine große Bandbreite an Interessen, die sich in Beobachtungen niederschlagen: Genazino registriert, was er auf langen Wanderungen durch die Stadt ebenso wie beim stillen Betrachten seiner Wohnung erlebt, er sieht sich selbst mit dem selben wachen Blick wie er Zufallsbekanntschaften und Fremde sieht, er wägt und siebt, was er für künftige Werke verwenden kann, und bannt Erinnerungen, schmerzhafte wie schöne. Seine Aufzeichnungen stehen an der Schwelle zwischen dem Erleben und dem Verwandeln der Welt – „schriftlich war er eine andere Person“, notiert Genazino 1982, und ein Jahr darauf: „Schriftsteller, die genau beobachten, brauchen nicht zu erfinden. Die genaue Wahrnehmung ist die Erfindung.“ Zugleich beschäftigt ihn die Frage immer aufs Neue, wie im Beobachten auch die Teilhabe möglich ist, jenseits der Beschreibung. Und je mehr der Autor um sich selbst zu kreisen, je mehr er das Gesehene als Material für entstehende Texte zu erfassen scheint, umso mehr wird das Interesse am jeweiligen Gegenüber sichtbar, am Staunen darüber, wie fremd Menschen sein können und wie überraschend vertraut. „Wann schreibe ich meinen Weltabschiedsroman?“, fragt er am 24. Januar 2018, zwei Tage nach seinem 75. Geburtstag und ein knappes Jahr vor seinem Tod. In den Notaten dieses Bandes ist er längst angelegt. Und viele andere Romane auch.  


©Verlag

Der Traum des Beobachters

Rating: 5 of 5

Wilhelm Genazino

Hanser, Carl GmbH + Co.

Roman, Gegenwartsroman

7. März 2022

978-3-446-27620-8

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