"Es geht immer um die Qualität der Texte.“

Vor 20 Jahren gründete Kurt Drawert die Darmstädter Textwerkstatt

by

© Ute Döring

Wenn ich jetzt anfange, einzelne Namen aufzuzählen, dann komme ich in eine sehr prekäre Lage.“ Kurt Drawert, Leiter der Darmstädter Textwerkstatt und vielfach preisgekrönter Autor, will niemanden unter den Teilnehmer* innen besonders hervorheben.

156 Autor*innen in 20 Jahren Textwerkstatt sind im Dossier der jüngsten Textwerkstatt-Anthologie gelistet. Dazu kommen noch einmal ca. 150, die auf der Lesebühne aufgetreten sind. Viele darunter haben sich einen Namen gemacht. Am bekanntesten wohl Silke Scheuermann, eine der ersten Textwerkstattteilnehmerinnen (2000/2001) und David Krause (2013/2014), der Leonce- und Lena-Preisträger 2015, und vielleicht auch die Gewinnerin des Wolfgang-Weyrauch-Förderpreises im gleichen Jahr, Özlem Özgül Dündar (2010/2011). Literatur-Insider werden weitere Autor*innen entdecken, die zahlreiche Wettbewerbspreise erringen konnten, sei es den Irseer Pegasus, den Wilhelm-Busch-Preis oder die serienartig wiederholten Gewinne bei regionalen Literaturwettbewerben wie z.B. in Mannheim und Stockstadt. „Die Anzahl derer, die im Literaturbetrieb angekommen sind, ist außerordentlich groß“, resümiert Kurt Drawert die erfolgreiche Arbeit seiner Textwerkstatt.

Angefangen hat das alles bereits 1996. Drawert siedelte von Rom, wo er als Stipendiat der Villa Massimo gelebt und gearbeitet hatte, nach Darmstadt über, wo der damalige Oberbürgermeister und Kulturdezernent Peter Benz gerade dabei war, ein Literaturhaus einzurichten. „Ich hatte dazu die Idee – ganz in der Tradition des Literarischen März - eine Werkstatt für angehende Autoren zu gründen, wie ich sie schon lange Zeit davor an der Uni in Leipzig geleitet und gute Erfahrungen damit gemacht hatte“, erzählt Kurt Drawert. Peter Benz unterstützte diese Idee - so konnte Drawert 1997/98 mit einer ersten Gruppe von acht Autor*innen aus Darmstadt und Umgebung beginnen. 1999 pausierte die Textwerkstatt für ein Jahr - Drawert hatte ein Stipendium in Krakau erhalten -, im Jahr 2000 ging die Werkstatt mit 14 Teilnehmer*innen aus dem gesamten Rhein-Main-Gebiet in die nächste Runde. Gearbeitet wurde im Foyer des Vortragssaals im Literaturhaus, eigene Räume gab es erst 2004 mit dem Umzug in die Bibliothek der sich in Auflösung befindlichen Martin-Behaim-Gesellschaft. Direkt daneben erhielt Kurt Drawert sein Büro. „Ein Quantensprung“ für Drawert, der die Gründung des „Zentrum junge Literatur“ nach sich zog: Zur Textwerkstatt kam als zweite Säule die Lesebühne hinzu, „als ein Ort der offenen Werkstattabende“, erklärt Drawert, „zwei Autoren lesen und stellen ihre Texte in einem Werkstattgespräch mit mir zur Diskussion.“ 2006 spendierte die Stadt Darmstadt eine Renovierung – die Textwerkstatt hatte nun endlich einen angemessenen Arbeitsraum.

© C. H. Beck

Jeden ersten Montag im Monat von 18-22 Uhr, zehnmal im Jahr, treffen sich dort 15 Autor*innen, außerdem noch zu einem Arbeitswochenende im Sommer im Odenwald. Sie kommen aus der ganzen Bundesrepublik, von München bis Bremen und Hamburg, von Köln bis Leipzig, Dresden und Berlin. 80-100 Bewerbungen, auch aus der Schweiz und Österreich, sichtet Drawert pro Jahr, nur 10% davon kann er annehmen. „Das macht Stress“, sagt Kurt Drawert, er bekommt viele interessante Texte und muss immer wieder Leuten absagen, die er eigentlich gerne genommen hätte. „Wenn ich in den Texten etwas sehe, wo ich denke, das kann ich entwickeln, das ist spannend, da ist Potential, dann möchte ich gerne mit den Autoren arbeiten. „Es geht immer um die Qualität der Texte und es geht immer um die Entwickelbarkeit von Potential.“ Deshalb nimmt er auch ältere Autor*innen auf, weil er Nachwuchs nicht altersdefiniert versteht, sondern „als Anfängerstatuts auf dem Wege zum publizierten Autor.“

In der Regel beträgt die Teilnahmedauer zwei Jahre, danach besteht die Möglichkeit, in der sog. Textwerkstatt II unter der Leitung von Martina Weber, einer ehemaligen Absolventin seiner Textwerkstatt I, weiterzuarbeiten.

Zusätzlich zu seiner Gruppe am Montag, der Kerngruppe der Textwerkstatt, bietet Drawert 2018 ein Wochenend-Seminar für ehemalige Textwerkstattteilnehmer*innen an. Dieses Angebot wird auf das Jubiläumsjahr beschränkt bleiben, denn „wir sind jetzt so groß, dass wir nicht mehr größer werden können, das ist sonst von der Organisation nicht mehr zu schaffen“, schätzt Drawert realistisch ein. „Alle Anmeldungen und Bewerbungen laufen über mich, ebenso Organisationsdinge“. Auch als Herausgeber ist Drawert gefordert. Seit Beginn der Textwerkstatt gibt es kleine Anthologien mit Teilnehmertexten, 1998 und 2000 erschienen sie jährlich, danach bis 2012 alle zwei Jahre. 2013 erschein im Poetenladen Leipzig mit „Kasinostraße 3 - 15 Jahre Darmstädter Textwerkstatt“ die erste große Buchpublikation, 2015 folgte „Die Signatur deiner Augen“ bei luxbooks. 

Die jüngste, soeben wiederum im Poetenladen Leipzig erschienene Anthologie „Das Eigene im Anderen. Istanbul“ wird bei der Jubiläumsveranstaltung am 7. Februar erstmals vorgestellt. Die Beiträ- ge stammen allesamt von Teilnehmer*innen der Textwerkstatt. Im Frühjahr 2015 und 2016 verlegte Kurt Drawert einige Seminare nach Istanbul, um, wie er hoffte „diese geradezu magische wie an Eindrü- cken reiche Stadt für poetische Reflexionen nutzbar zu machen.“ Die Magie der Metropole am Bosporus inspirierte die Teilnehmer*innen in beeindruckender Weise. Die Texte zeichnen ein facettenreiches, buntes Bild, die kulturelle Vielfalt dieser Stadt an der Schnittstelle zwischen Europa und Asien spiegelt sich in Form und Inhalt. Die für 2017 geplante „Fortsetzung der Erfahrungsreise“ fiel den politischen Entwicklungen zum Opfer. „Geblieben ist ein Nachdenken darü- ber, was das Eigene im Anderen grundlegend bedeutet, oder, mehr noch, inwieweit es außerhalb eines Anderen überhaupt existiert. Politischer und aktueller als diese ist keine andere Frage“, schreibt Kurt Drawert im Vorwort, „und wenn es darauf auch keine einfachen Antworten gibt, so gibt es doch Spuren in die richtige Richtung. Spuren der Sprache, die zur Wirklichkeit werden, Wirklichkeit, die zur Sprache wird. Nicht mehr und nicht weniger haben wir versucht.“ Der Versuch darf als gelungen bezeichnet werden.

Bei aller eigenen Unermüdlichkeit lobt Kurt Drawert explizit die Stadt Darmstadt für ihr Engagement: „Dass es so eine Einrichtung wie die Textwerkstatt gibt, ist bundesweit einmalig, da ist Darmstadt ein sehr, sehr guter Ort.“ Das bekomme er immer wieder bestätigt von Teilnehmer*innen und Autor*innen, die zur Lesebühne von weit her angereist kommen. „Wir sind mit den großen Schreibschulen Hildesheim und Leipzig schon fast auf Augenhöhe. Nur haben die natürlich ein ganz anderes Management institutionalisiert.“ Sein Credo: „Wir dürfen nicht mehr größer werden“ ist deshalb gut nachvollziehbar. Leise und nachdenklich bestätigt er im Gespräch, dass die Gefahr sonst groß sei, dass er über all dem mit seinem eigenen kreativen Schaffen „nicht mehr so zum Zuge komme.“ Das wäre - bei aller Wertschätzung für die Erfolge der Textwerkstatt - ein zu hoher Preis. Schließlich hat Kurt Drawert ein eigenes bedeutendes Werk vorzuweisen. Wie schön wäre es, wenn zum silbernen Jubiläum der Textwerkstatt ein weiterer Roman oder Lyrikband hinzukommen würde.

Info:

Die 1998 gegründet Darmstädter Textwerkstatt bildet gemeinsam mit der 2004 eingerichteten Lesebühne das „Zentrum junge Literatur“, das allen zugänglich ist, die kreativ schreiben und eine kompetente Unterstützung ihrer Bemühungen suchen. Das „Zentrum junge Literatur“ richtet offene Werkstattabende aus, stellt den Kontakt der Schreibenden untereinander her und kooperiert mit anderen Schreibgruppen der Region. Es ist ein Modell der Förderung und Pflege des literarischen Nachwuchses, steht in der Tradition des „Literarischen März“, wird getragen von der Wissenschaftsstadt Darmstadt und gefördert von Sparkasse Darmstadt, Kulturfreunde Darmstadt gGmbH, Darmstädter Förderkreis Kultur e.V., Entega und Merck KgaA.

Mehr Infos unter:

www.kurtdrawert.de

www.darmstadt.de/darmstadt-erleben/kultur/literatur/textwerkstatt

Back to topbutton