50 Jahre Leon­ce-und-Le­na-Preis

Der bedeutendste Wettbewerb für junge Lyriker*innen findet am 29. und 30. März in der Centralstation statt.

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© DUBBEL SPÄTH


Mein Leben gähnt mich an wie ein großer weißer Bogen Papier, den ich vollschreiben soll, aber ich bringe keinen Buchstaben heraus“, sagt Prinz Leonce in Leonce und Lena. Den Finalist*innen des gleichnamigen Preises ist es offenbar nicht so ergangen.

Nach Georg Büchners polit-satirischem Lustspiel ist der bedeutendste Preis für junge Lyriker*innen im deutschsprachigen Raum benannt. Er wird im Rahmen des Wettbewerbs Literarischer März nun schon seit 50 Jahren verliehen, erstmalig im Jahr 1968 mit Wolf Wondratschek als Preisträger. 1969 und 1972 folgten die nächsten Wettbewerbe, seit 1973 findet er regelmäßig alle zwei Jahre statt.

357 Dichter*innen, 199 Frau-en und 158 Männer haben diesmal ihre Texte eingereicht. Für  Oberbürgermeister Jochen Partsch zeugt das davon, wie „lebendig die literarische Tradition Darmstadts ist“. 284- Autor*innen kommen aus Deutschland, 53 aus Österreich, zwölf aus der Schweiz. Zwei Bewerbungen trafen aus Frankreich ein, jeweils eine aus Argentinien, Dänemark, Italien, Norwegen, Polen und den USA. Von den deutschen Bewerber*innen leben die meisten in Berlin, vier in Darmstadt.


Einblicke in die Arbeit der Jury


Für die Mammutaufgabe, alle Bewerbungstexte zu sichten, hat das Lektoratsteam mit Christian Döring, Lektor u.a. bei Suhrkamp und Dumont, Hanne F. Juritz, Leonce-und-Lena-Preisträgerin 1972, und Kurt Drawert, der den Preis 1989 gewann, drei Monate Zeit. „Das ist ausreichend”, sagt Kurt Drawert im Gespräch mit dem FRIZZ-Magazin. Nach über 20-jähriger Jurytätigkeit ist Drawert in die „Vorjury” gewechselt, was er „sehr spannend” findet, weil er „diesmal den kompletten Bewerbungsbackground” hatte, man bekomme so ein ganz anderes Gefühl für Entwicklungstendenzen.  Am wenigsten Arbeit machten dabei die schlechten Texte, „das sind etwa die Hälfte”, bestätigt Drawert seinen langjährigen Vorgänger im Lektorat, Fritz Deppert.  Den gleichen Effekt gäbe es bei den besonders Begabten, „das geht im Grunde auch sehr schnell.”


©Christoph Pabst


„Unverabredet”, so Drawert, bringe jeder Lektor seine Favoriten zum gemeinsamen Treffen mit, und „diesmal gab es viele, die bei jedem von uns Dreien in der Auswahl waren.”  Die seien dann „automatisch dabei”, sprich, sie werden nach Darmstadt eingeladen. Über Autor*innen mit zwei Voten werde heftig diskutiert, „weil sie nicht alle genommen werden können”, das Votum nur eines Lektors reicht im Grunde nicht aus.

Mit zwölf Finalist*innen, 2017 waren es neun, hat das Lektorat das Maximum ausgeschöpft. Drawert begründet das mit der hohen Qualität der Texte. Es sei ein sehr starker Jahrgang, „es sind viele Texte, die mich sehr beeindruckt haben.”, so Drawert.


Vier Absolventen der Darmstädter Textwerkstatt im Finale


Nicht unerwartet leben mit Marit Heuß, Ronya Othmann, Andreas Pargger und Sebastian Weirauch vier Finalist*innen in der Literaturstadt Leipzig. Eher überraschend ist es, dass diesmal mit Yevgeniy Breyger, Alexandru Bulucz und Martin Piekar gleich drei Autoren aus Frankfurt antreten und es mit Charlotte Warsen und Saskia Warzecha nur zwei aus dem großen Berliner Bewerberfeld geschafft haben. Dazu kommen Miriam H. Auer aus Knittelfeld in Österreich, Ann Kathrin Ast aus Stuttgart, die schon im Finale 2011 dabei war, und Katrin Pitz aus Darmstadt.

Pitz ist aktuell Absolventin der von Kurt Drawert gegründeten und geleiteten Darmstädter Textwerkstatt, die mit ihr, Ann Kathrin Ast (Textwerkstatt 2009/10), Marit Heuß (2014/15) und Andreas Pargger (2013/14) ein Drittel der finalen Teilnehmer*innen 2019 stellt. Eine überragende Quote, denn nur sechs Textwerkstättler hatten sich beworben.

Traditionell ist die Darmstädter Textwerkstatt beim Literarischen März gut vertreten, bereits 2001 gewann mit Silke Scheuermann eine ihrer ersten Absolventinnen. David Krause gelang 2015 der Sieg, im gleichen Jahr gewann Özlem Özgül Dündar, Preisträgerin beim Ingeborg-Bachmann-Preis 2018, den Wolfgang-Weyrauch-Förderpreis. Mit Natascha Huber stellte die Textwerkstatt eine der neun Finalteilnehmer*innen 2017.

Bei solchen Erfolgen bleibt es nicht aus, dass hin und wieder, anspielend auf Drawerts langjährige Jurytätigkeit, Einflussnahmen vermutet werden. Solche Unterstellungsdiskurse seien leicht zu spinnen, meint Drawert, weil man die Redestränge nicht mitverfolgen könne. Deshalb wäre er „fast dafür”, die Jurydiskussion mitzuschneiden und öffentlich zu machen, denn „alles relativiert sich im Diskurs an der Freiheit des anderen, der eine andere Ansicht hat.”

Die Jury bilden wieder die Autor*innen Ulrike Draesner, Marion Poschmann und Jan Koneffke (Preisträger 1987), dazu die Kritiker Michael Braun und als Nachfolger Kurt Drawerts Peter Geist.

Ihr Votum wird am Samstagabend vom Darmstädter Oberbürgermeister verkündet, zuvor stellen sich die Autor*innen in fünf Leseblöcken - die Reihenfolge wird am Freitagabend ausgelost -  dem Publikum und der Jury, die unmittelbar nach jeder Lesung die Texte bespricht. Moderieren wird erneut Insa Wilke, seit 2015 auch Moderatorin der Neuen Darmstädter Gespräche im Staatstheater. 

Auf die Preisträger*innen wartet ein Preisgeld von 8.000 Euro für den Leonce-und-Lena-Preis, von je 4.000 Euro für die Wolfgang-Weihrauch-Förderpreise. Eine Menge Geld, das Georg Büchner vor 180 Jahren auch hätte gut gebrauchen können, denn sein Stück Leonce und Lena hatte er eigentlich für einen Wettbewerb geschrieben. Doch da er den Einsendeschluss versäumte, wurde es erst sechzig Jahre später uraufgeführt.

Das sollte dem oder der Preisträger*in nicht passieren, obgleich Kurt Drawert„eine Inflation der Bedeutung von Preisen” konstatiert. Seinerzeit, erinnert er sich,  „haben alle  Feuilletons berichtet, das Fernsehen war da, es war ein großes Ereignis” - und für Drawert der Einstieg in den Suhrkamp-Verlag.

Heute ist ein Verlagsvertrag leider nicht zwingende Folge, dennoch habe, so Drawert, der Leonce-und-Lena-Preis „noch immer das Alleinstellungsmerkmal, der wichtigste Preis für Nachwuchslyrik zu sein, es gibt nichts Vergleichbares.” Und nach diesem Literarischen März wird keiner der zwölf Finalist*innen mehr sagen: „Mein Leben gähnt mich an wie ein großer weißer Bogen Papier.“


Fr., 29.3. 18 Uhr, Eröffnung, Vorstellung der eingeladenen Autor*innen, Auslosung der Lesereihenfolge 18:45 Uhr: 1. Lesung

Sa., 30.3. 10-11:30 Uhr: 2. Lesung, 11:45-13:15 Uhr: 3. Lesung 14:45-15:45 Uhr: 4. Lesung, 16-17 Uhr: 5. Lesung 20 Uhr: Preisverleihung

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