„Die Vergangenheit darf nicht weggeworfen werden, denn aus ihr entsteht die Zukunft“

FRIZZmag im Gespräch mit Nikolaus Heiss, der treibenden Kraft hinter der Mathildenhöhe-Bewerbung zum Weltkulturerbe.

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Ehemaliger Denkmalpfleger der Stadt Darmstadt, Koordinator des Mathildenhöhe-Welterbeprojekts, Architekt, Fotograf, Buchautor – das alles ist Nikolaus Heiss. In diesem Jahr hat er seinen 80. Geburtstag gefeiert und den Hessischen Verdienstorden für sein Engagement rund um Darmstadt erhalten – ein gutes Jahr für das Multitalent. Und Zeit, ein Resümee zu ziehen.

FRIZZmag: Herzlichen Glückwunsch zum Hessischen Verdienstorden, Herr Heiss. Was bedeutet eine solche Auszeichnung für Sie? Das ist ja eine große Ehre, die nicht jedem von uns widerfährt.

Nikolaus Heiss: Ich reiße mich nicht um solche Dinge und habe nie an so etwas gedacht. Aber, wenn es dann so weit kommt, ist man natürlich stolz. Mich freut vor allem, dass meine Arbeit dadurch hessenweit anerkannt wird. Im Laufe der letzten acht Jahre habe ich zwei weitere Auszeichnungen erhalten: die bronzene Verdienstplakette für meine Tätigkeit für die Stadt Darmstadt und, für mich als Architekt besonders wichtig, den Preis für Baukultur vom Bund Deutscher Architektinnen und Architekten. Mit ihnen habe ich immer gut zusammengearbeitet und tue es nach wie vor, unter anderem in diversen Projekten.

Dass Sie auch mit 80 Jahren noch sehr aktiv sind, was Ihre Arbeit angeht, bleibt nicht verborgen. Immer wieder hört und liest man von Ihnen – vor allem als Geschichtsexperte, der Führungen gibt, Vorträge hält und Darmstadt in- und auswendig kennt. Wie kam es zu dieser Leidenschaft für die Historie der Stadt?

Nach meinem Architekturstudium war ich zuerst in einem Büro angestellt und habe Häuser gebaut und betreut, später arbeitete ich eine Zeit lang freiberuflich. Ich wollte aber etwas anderes und habe mich schließlich mit Sanierungen von alten Häusern beschäftigt, Sanierungspläne für historische Objekte und Stadtgebiete entwickelt und meine Leidenschaft dafür entdeckt. Das war auch der Grund dafür, dass die Stadt mich fragte, ob ich Denkmalpfleger werden möchte. Im Laufe der letzten 40 Jahre habe ich dann als Denkmalpfleger viele, viele Menschen in Darmstadt beraten und mich um historische Häuser, Gärten, Brücken und Kunst im öffentlichen Raum gekümmert – Darmstadt hat über 2.500 denkmalgeschützte Objekte. 

Und was fasziniert Sie an historischer Bausubstanz?

Die Vergangenheit darf nicht weggeworfen werden, denn daraus entsteht die Zukunft. Die Erhaltung von alter Substanz hat außerdem etwas mit Nachhaltigkeit zu tun und ist ein wichtiger Umweltaspekt. Ich habe einfach Freude an der Wahrung von Dingen, schaffe aber auch gerne Neues, was mit dem Alten harmoniert. Als Architekt baut man normalerweise immer neu, was bedeutet, dass ich den Beruf der Denkmalpflege erst lernen musste. Dazu habe ich meine Perspektive geändert: Altes nachgebaut ist nicht zu vergleichen mit dem Original, denn das hat unverwechselbare Gebrauchsspuren und Charakter, wie ein älterer Mensch. Außerdem brauchen wir die historischen Objekte, um uns zu Hause zu fühlen und uns mit unserer Stadt zu identifizieren.

Darmstadt ist nicht Ihre Geburtsstadt. Geboren sind Sie in Bleicherode im Harz. Wie und wann sind Sie hierhergekommen?

Ich bin während der Flucht meiner Eltern von Berlin nach Darmstadt zur Welt gekommen: In Bleicherode im Harz hat mich meine Mutter quasi „fallengelassen“. An die erste Zeit in Darmstadt kann ich mich gar nicht erinnern, ich war gerade ein Jahr alt und weiß nur aus Erzählungen, dass wir ausgebombt wurden, durch die Gegend zogen und bei Bauern unterkamen. Dann haben wir für ein paar Jahre in Groß Umstadt gelebt, bevor wir in die Kittlerstraße ins Martinsviertel zogen. Erste Erinnerungen haben mit dem Wohnen dort zu tun, mit dem Einkaufen mit Lebensmittelmarken und mit dem Spielen auf der Mathildenhöhe. Das habe ich als sehr eindrucksvoll empfunden. Dort oben war nicht die normale Welt, es sah nicht aus wie in der Stadt überall, sondern wie in einer Märchenwelt. Ich habe mich vor den Figuren dort oben gegruselt, mich darauf gesetzt, im Brunnen und im Platanenhain gespielt. Es war einfach magisch.

War Ihre Faszination als Kind für diesen Ort auch der Grund, dass Sie später als Koordinator tätig waren, als es darum ging, die Mathildenhöhe bei der UNESCO als Weltkulturerbe zu bewerben?

Die Mathildenhöhe war immer ein besonderer Ort für mich. Als Denkmalpfleger hatte ich sie auch im Fokus, aber hier oben geschah nicht viel. Erst nach der Jahrtausendwende kamen erste Überlegungen auf, ob sie vielleicht international von Bedeutung sein könnte. Immerhin liegt hier die Wiege zur modernen Architektur, die Mathildenhöhe ist ein Ort des Aufbruchs. 2012 stellte die Stadt dann den Antrag zur Aufnahme in die Liste von Objekten, die sich bei der UNESCO bewerben können, und ich arbeitete mit vier Personen an diesem Antrag. Bundesweit wurden sieben Objekte für die Bewerbung auserkoren, darunter wir. Das war ein tolles Gefühl, aber damit erweiterte sich die Arbeit. Ab da hatten wir viele Menschen im „Boot“ und ich war nicht mehr allein verantwortlich, sondern Mitarbeiter im Welterbeteam, was aufgrund der hohen Verantwortung aber auch gut war. Dass ich den Weg eingeleitet habe, erfüllt mich aber bis heute mit Stolz.

Die Mathildenhöhe war nicht das einzige öffentliche Projekt im Laufe Ihrer Karriere. Sie haben sich um den Hauptbahnhof, um das darmstadtium und das Jugendstilbad gekümmert. Nun sind Sie schon einige Zeit in Rente, halten aber trotzdem noch Vorträge und geben Führungen. Sie haben sicher auch Pläne für die Zukunft?

Ja, ich habe Pläne. Es gibt drei Projekte, die in nächster Zeit anstehen. Über die darf ich aber noch nicht sprechen. Vorträge, Führungen und Publikationen gehören auf jeden Fall weiterhin dazu, ich bin immer noch als Aufklärer rund um historische Objekte unterwegs. Und wenn von meiner Seite etwas geschieht, das die Öffentlichkeit interessiert, kriegt man es auf jeden Fall mit (er lacht).


nikolaus_heiss.vita

*3.10.1943 in Bleicherode/Harz, Abitur, Architekturstudium an der Technischen Hochschule Darmstadt. Dipl.-Ing., Fortbildung in der Denkmalpflege in der Probstei Johannesberg, seit 2010 in Rente und Freiberufler, lebt in einem spätklassizistischen Kulturdenkmal aus dem Jahre 1872 im Johannesviertel.
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