„Humor schaut charmant aufs Alltägliche“

Darmstädter Tage der Fotografie: Albrecht Haag und Julia Reichelt im Gespräch

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Die Darmstädter Tage der Fotografie (DTdF) sind an zahlreichen Ausstellungsorten und erstmals mit spektakulären Bilderinstallationen in der Innenstadt zu erleben.

Den ganzen Herbst über finden die 11. DTdF mit zwölf Fotoausstellungen und einem großen Programm samt Preisverleihung statt. FRIZZmag sprach mit Festivalleiter Albrecht Haag und mit Julia Reichelt, Leiterin des Kunstforums der TU Darmstadt.

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Das Thema der diesjährigen DTdF lautet „Skurrile Fluchten – Humor in der Fotografie“. Verratet mir doch mal, wie es dazu kam.

Albrecht Haag: Aus einer Gesprächsrunde heraus – bisher wurde das Thema Humor in der Fotografie in Deutschland kaum behandelt. Humor bedeutet Perspektivwechsel, Zusammenbringen von gegensätzlichen Positionen – das sind Techniken, die auch in der Fotografie angewendet werden.

Julia Reichelt: „Skurrile Fluchten“ hatte ich in Zusammenhang mit dem österreichischen Künstler Erwin Wurm entdeckt. Der Titel hat die Jury begeistert. Wir wollen dieses Jahr nicht so aufs Medium Fotografie schauen, sondern mehr auf den Menschen. Humor ist heute eine wichtige Strategie, die es zu bewahren gilt! 

Die DTdF zählen zu den größten deutschen Fotofestivals. Das Eröffnungswochenende war schon im September. Was erwartet uns im Oktober?

Albrecht Haag: Wir haben dieses Jahr wirklich ein reichhaltiges Programm dank der großzügigen Förderung des Kulturfonds Frankfurt RheinMain. Das Festival wird mit der Preisverleihung des hochdotierten „8. Merck-Preises“ am 23. Oktober in der Centralstation eröffnet. Im Designhaus wird dann die Wettbewerbsausstellung mit 16 Künstler*innen bis 1. November zu sehen sein, außerdem finden ein internationales Symposium, die Jahrestagung der Deutschen Fotografischen Akademie (in digitaler Form), Workshops und Führungen statt. Insgesamt gibt es zwölf Fotoausstellungen mit Werken von 49 internationalen Fotograf*innen an verschiedenen Orten, darunter drei kuratierte Ausstellungen – in der Kunsthalle, die des TU-Kunstforums und Konsum Mathildenhöhe in der Pützerstraße.

Julia, die von dir kuratierte Ausstellung „Trautes Heim“ vom Kunstforum der TU Darmstadt wurde zum Auftakt des Festivals eröffnet. Durch die Platzierung von großformatigen Bildern u. a. auf dem Friedens- oder Karolinenplatz hat sie sehr viel Aufmerksamkeit erhalten. Was können sich die Betrachter*innen unter dem Thema vorstellen?

Julia Reichelt: „Trautes Heim“ zeigt eine große Bandbreite künstlerischer und humorvoller Reaktionen auf das „traute Zuhause“. Dieses wird zur Projektionsfläche unkonventioneller Auseinandersetzungen mit sich selbst, der eigenen Vergangenheit oder Herkunft – oder mit dem Partner. Im Mittelpunkt der 90 Arbeiten internationaler Stars der Fotokunstszene stehen existenzielle Fragen wie: „Wer bin ich und wie will ich leben?“ Gezeigt wird das Alltägliche, aber humorvoll, ohne zu brüskieren. Auf dem Friedensplatz sind Werke von Alexey Shlyk, einem jungen preisgekrönten Künstler aus Weißrussland, der sehr erfolgreichen finnischen Künstlerin Iiu Susiraja, die sich selbst sehr skurril inszeniert, sowie von der chinesischen Künstlerin Pixy Liao, die mit Männlichkeit und Weiblichkeit spielt. Im Schlossgraben zeigen wir Werke von AdeY und Andy Kassier, auf dem Karolinenplatz Fotos der Pioniere der inszenierten Fotografie Anna & Bernhard Blume. Im Konsum wird u. a. ein Film des erfolgreichen Gegenwartskünstlers Erwin Wurm vorgeführt. Viele Arbeiten sind erstmals in Deutschland zu sehen. Durch einen QR-Code können die Betrachter*innen Informationen zu den Fotos erhalten.

Wer hatte die Idee, mit der Kunst in die Stadt zu gehen?

Julia Reichelt: Wegen der Corona-Krise kam mir die Idee, die Stadt selbst als Präsentationsfläche zu nutzen. Es war eine neue Erfahrung, die Bilder im öffentlichen Raum auf tausenden von Quadratmetern zu platzieren – wie sind die Blickachsen, wie fügt sich das in die Umgebung ein? Die Ausstellung in der Innenstadt – auf dem Friedens-, Karolinenplatz und im Herrngarten – kommt bei den Darmstädter*innen sehr gut an. Mir ist wichtig, dass dadurch viele Menschen einen Zugang zur Kunst erhalten – die Bilder können vielleicht ihr Leben inspirieren, zum Nachdenken anregen oder einfach erheitern.

Albrecht, Du bist ja Initiator und Organisator des Festivals, das seit 2005 zeitgenössische Fotokunst vorstellt. Was macht dir bei deiner Tätigkeit am meisten Freude?

Albrecht Haag: Das Privileg zu haben, die fotografischen Arbeiten genauer kennenzulernen und die Menschen dazu zusammenzubringen – Künstler*innen und Besucher*innen.

Was ist eigentlich das Besondere an den Darmstädter Tagen der Fotografie?

Albrecht Haag: Es ist ein echtes Festival, zu dem Künstler*innen aus der ganzen Welt kommen; in diesem Jahr natürlich eingeschränkter. Daraus entsteht ein großes Netzwerk.

Julia Reichelt: Bedeutsam ist auch das Vermittlungsprogramm für Schulen. 

2019 wurde nach 10 Festivals die Struktur der DTdF erneuert und mit der TU Darmstadt eine Partnerschaft gegründet. Wie kam das?

Julia Reichelt: Albrecht kannte ich schon lange durch die DTdF, die auch meine Begeisterung für Fotografie geweckt haben. Das Kunstforum wurde 2016 mit einer Ausstellung der DTdF eröffnet und außerdem gab es einige Ausstellungskooperationen wie die Unwort-Ausstellung oder RAY.

Albrecht Haag: Die TU Darmstadt bietet eine sehr gute Infrastruktur. Dadurch hat das Festival gewonnen – jeder der Partner ist stärker geworden. Das Ergebnis kann man bei den 11. DTdF sehen…

info.vitae


Julia Reichelt ist seit 2016 Kuratorin und Leiterin des Kunstforums der TU Darmstadt. Von 2003-2015 war sie für das Ausstellungsmanagement und die Öffentlichkeitsarbeit der Kunsthalle Darmstadt zuständig und leitete die Geschäftsstelle des Kunstvereins Darmstadt e.V., außerdem freiberufliche Tätigkeit als Journalistin. Sie studierte Romanistik und Germanistik in Mainz und Marseille und Journalismus an der freien Journalistenschule Berlin.

Albrecht Haag ist Initiator, Organisator und Festivalleiter der Darmstädter Tage der Fotografie, seit 2019 Mitarbeiter des Kunstforums der TU Darmstadt. 1999 machte er sich als Fotograf selbstständig. 2002 war er der 2. Darmstädter Stadtfotograf, der ein Stipendium von der Werkbundakademie erhielt. Er hat Kommunikationsdesign an der Fachhochschule Darmstadt studiert.

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