„Wir sind ein Festival, das historische Orte bespielt.”

Wolfgang Seeliger inszeniert seit 2001 die Darmstädter Residenzfestspiele

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©Klaus Mai


Im Achteckigen Haus in der Mauerstraße 17 ist der Konzertchor Darmstadt und der Kulturverein Darmstädter Residenzfestspiele e.V. zu Hause.Die steile, enge Sandsteinwendeltreppe führt in den ersten Stock in Wolfgang Seeligers Arbeitszimmer.


Die Korrekturabzüge für Plakat und Programmheft der 19. Residenzfestspiele unter dem Motto „Klangfarben” sind gerade eingetroffen, seine Mitarbeiterin will sie mit ihm gleich durchsehen. „Wir sind spät dran”, weiß Seeliger, „aber wir müssen hier eine Menge Organisation ehrenamtlich leisten.”

Seeliger ist Intendant und künstlerischer Leiter der Festspiele. „Und ich kümmere mich auch ums Organisatorische“, lacht er, um gleich danach anzumerken: „Eigentlich bin ich ganz normaler Dirigent im klassischen Bereich.” 

Der gebürtige Heidelberger studierte am Mozarteum in Salzburg, wurde u.a. geprägt von Nikolaus Harnoncourt, war danach dort Universitätsmusikdirektor und Assistent bei Herbert von Karajan bevor er 1975 am Staatstheater Darmstadt zweiter Kapellmeister und Chordirektor wurde. 1977 wechselte er nach Enschede/Holland, blieb aber Darmstadt über den im gleichen Jahr von ihm gegründeten Konzertchor erhalten. 1983 wurde er Assistent von Sir Colin Davis, ab 1984 bis zu dessen Tod Mitarbeiter von Leonard Bernstein. Danach war er als Dirigent und Chordirektor an mehreren Opernhäusern und Rundfunkanstalten tätig. 1982 folgte er einem Ruf als Dozent für Orchesterdirigieren an die Musikhochschule Heidelberg-Mannheim.

Erst 2005 zog der Wahl-Salzburger nach Darmstadt, musikalisch geprägt hat er die Stadt schon in den 30 Jahren zuvor. Dem Konzertchor verhalf er zu weltweitem Ansehen, sieben Jahre in Folge veranstaltete er die Sommerspiele Jagdschloss Kranichstein und entwickelte aus diesen Erfahrungen heraus die Darmstädter Residenzfestspiele.  

„Wir hatten uns die Aufgabe gestellt,historische Räume und Plätze wieder zu entdecken, sie bespielbar und dem Publikum zugänglich zu machen”, erzählt Seeliger. So z.B. das Kollegiengebäude, das zwar „im Herzen Darmstadts, aber leider immer noch nicht in den Herzen der Darmstädter erkannt worden war.” Es steht dieses Jahr wegen Renovierungsarbeiten leider nicht zu Verfügung. Seeliger traute sich, den Woog als Lustspielort wiederzuentdecken oder 2003 das Böllenfalltorstadion nach vielen Jahren für das Eröffnungskonzert mit Elton John zu reaktivieren. Er nutzte dabei seine internationalen Verbindungen, „mein Leben ja hat sich nicht nur in Darmstadt abgespielt”,lächelt der Maestro.

Mit Konstantin Wecker ähnlich prominent besetzt ist das diesjährige Abschlusskonzert und auch hier gibt es persönliche Verbindungen. Wecker wird auf seiner Weltenbrand-Tournee begleitet von der Bayerischen Philharmonie, mit deren Dirigent Mark Mast ihn eine fast 20-jährige Zusammenarbeit verbindet. Mast wiederum studierte zunächst bei Wolfgang Seeliger in Mannheim-Heidelberg, später in Paris und München.

Wecker ist die politischste Klangfarbe der 19. Residenzfestspiele, die diesmal mit dem Alt-Star Emil Mangelsdorff eröffnet werden, der durch die Verwendung des Saxophons die Palette der Klangfarben im Jazz erweitert hat. Eine klangvolle Mixtur aus klassischen Meisterwerken von Barock bis Moderne, Jazz und Soundtracks bietet das elfköpfige Blechbläser-Esemble German Brass, die Klangfarben der Bolívar Soloists aus Südamerika reichen von Piazzolla bis Villa-Lobos. „Alle Esembles beschäftigen sich mit dem Motto „Klangfarben“ und berücksichtigen es auch in der Auswahl der Stücke” erklärt Seeliger.

Ferne, magisch berührende Klangwelten der Musik aus dem Italien des 14. Jahrhunderts eröffnen sich mit „Amor mi fa cantar” ebenso wie die klassischen Klänge des Barocks, vom Ensemble „4 Times Baroque” mit einer solchen Frische, Vitalität und Hingabe musiziert, dass es „die Alte-Musik-Szene aufwirbelt”, schwärmt Seeliger. Beide Konzerte finden im Marstall des Jagdschloss Kranichstein statt. In der Orangerie setzt das „Trio Somni” in der außergewöhnlichen Besetzung Violine, Klarinette und Klavier besondere Klangreize.

„Ich bin 25 Jahre am Theater gewesen, alles, was szenisch ist, begeistert mich”, schwärmt Seeliger vom „Lackballett“. „Es ist eine zeitgenössische Farb- und Form-Performance, die das Thema Lackbilder in Kombination mit Lack-Figurinen als intermediale Tanzproduktion auf die Bühne bringt”, erklärt er. Grundlage ist das 1941 vom Bauhaus-Meister Oskar Schlemmer entwickelte Bühnenwerk, das anlässlich 100 Jahre Bauhaus wieder aufgegriffen wurde. Und an welchem Ort könnte das passender sein als auf der Mathildenhöhe.

Dort wird natürlich auch wieder die Italienische Opernnacht stattfinden, das einzige Konzert in diesem Jahr, in dem Wolfgang Seeliger als Dirigent agiert. Die Opernnacht ist Kult und begeistert auch die nicht zahlenden Gäste, die alljährlich ausgestattet mit Decken, Essen und Trinken auf die Mathildenhöhe pilgern und zuhören. Eine Art „Night of the Proms”, findet Seeliger und weiß die Begeisterung dieser Besucher*innen zu schätzen. 

Geschätzt wird die Willkommensatmosphäre der Residenzfestspiele, ihr familiärer Charme auch von den Künstler*innen. „Sie sind bei uns immer ganz glücklich”, fühlten sich willkommen und deshalb werde „nicht einfach nur abgeliefert, weil man engagiert worden ist.” Auch das ist sicher ein Grund, warum die Residenzfestspiel ihr Stammpublikum haben, „weit über Darmstadt hinaus”, weiß Seeliger und wünscht sich - außer gutem Wetter - ausverkaufte Konzerte. Denn natürlich geht es auch ums Geld.

„Wir wünschen uns viel höhere Zuschüsse zur weiteren Professionalisierung der künstlerischen und organisatorischen Arbeit. Wir machen Defizite und müssen am Ende den Kopf dafür hinhalten“, erklärt Seeliger. 25.000 Euro gibt es als Zuschuss von der Stadt, 26.000 Euro kostet alleine die Bühne auf der Mathildenhöhe. Natürlich arbeite man mit Sponsoren und ohne die vielen Ehrenamtlichen sei das alles gar nicht machbar.

Inzwischen drängt seine Mitarbeiterin zur Eile, auf den Treppenstufen ein gemeinsamer Blick auf den Programmzettel. „Wir sind kleiner geworden”, sagt Seeliger und hofft, unten im Konzertbüro angekommen, auf ein großes Bekenntnis der Stadt. Wann wäre das passender als 2020: Die 20. Residenzfestspiele als musikalische Krönung der Stadtkrone, die gerade Weltkulturerbe geworden ist. Nur wenige wären seliger als der Maestro.

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