„Der Segen für die Lektoren sind die schlechten Gedichte.“

Fritz Deppert, Gründungsschulleiter der Brecht-Schule Darmstadt im Interview mit Thea Nivea

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© Klaus Mai

FRIZZ: 2017 findet zum 20. Mal der Literarische März in Darmstadt statt. Was genau muss man sich darunter vorstellen?

Fritz Deppert: Beim Literarischen März kommen junge Autorinnen und Autoren unter 35 Jahren nach Darmstadt und stellen ihre Gedichte vor. Man bekommt in lebendigen Lesungen und Diskussionen einen Einblick in die neue Lyrik und erlebt durchaus auch Überraschungen. Und natürlich wird auch ein Preis vergeben.

Dieser Leonce-und-Lena-Preis gilt als der renommierteste Preis für junge Lyriker. Warum ist das so?

Es war von Anfang der am höchsten dotierte Lyrikpreis für junge Leute, denn der, der ihn damals mit Wolfgang Weyrauch zusammen initiiert hat, der damalige OB Heinz-Wilfried Sabais, wollte, dass ein junger Lyriker ein Jahr lang sorgenlos schreiben kann. Heute reicht das Preisgeld …

… es sind 8.000 EUR…

… ja, das reicht heute nicht mehr ganz. Aber es war damals die Intention, junge Lyriker, die mit ihren Gedichten kaum Geld verdienen können, zu fördern, also ihr Schreiben zu fördern.

Verhilft der Leonce-und-LenaPreis zur Karriere?

Ja, fast alle Preisträger haben ihren Weg gemacht und sind bekannt geworden, es gibt ganz wenige, von denen man nichts mehr hört.

Sie sind von Anfang an, also seit 1979, als Lektor dabei …

… ja, mit Karl Krolow und Wolfgang Weyrauch zusammen habe ich das erste Lektorat gebildet und habe auch vorher schon, beim Vorläuferpreis, der seit 1968 als ganz persönlicher Preis von Wolfgang Weyrauch lief, mit beraten. Weyrauch hatte 1.000 DM in der Tasche und hat sie für ein einziges Gedicht verliehen. Der erste Preisträger 1968 war Wolf Wondratschek. Damals gab es Aufregung, Skandal, Presse, Leserbriefe über dieses moderne Gedicht. Inzwischen ist die Bevölkerung viel ruhiger geworden.

Was hat sich denn überhaupt seit dem geändert? Schreiben junge Leute heute anders?

Das kann man nicht ganz so eindeutig sagen. Es gab mal die Welle mit sozial engagierten Texten, oder dass man seine persönlichen Leiden, seinen Kummer kundgetan hat. Dann gab es Stadtgedichte, dann Wellen mit Naturgedichten. Es sind in letzter Zeit sehr oft intellektuelle Gedichte dabei, man merkt, dass die jungen Leute viel gelesen haben.

Wie muss man sich die Arbeit eines Lektors genau vorstellen?

Hartnäckig. Man muss bereit sein, unendlich viel Lyrik am Stück zu lesen. Etwa 5.000 Gedichte sind es, die man von November bis Dezember liest und liest und liest. Da kommt es einem irgendwann zu den Ohren raus. Dann macht man mal eine Pause, hört Musik und denkt vielleicht: Zum Teufel mit der Lyrik. Aber dann gehts ein halbe Stunde später wieder weiter, denn wenn man nicht fanatisch wieder dran geht, kommt man nicht durch. Und der Segen für die Lektoren sind die schlechten Gedichte, die kann man ganz schnell aussortieren. Die Qual sind die mittelmäßigen Gedichte, wo man nicht auf Anhieb weiß, die liest man dann zwei oder sogar drei Mal.

In diesem Jahr haben sich wieder 486 Lyriker/innen beworben, davon lesen nur neun, also gerade mal 2% schafften es ins Finale. Warum so wenige, hätten Sie nicht 10 oder 12 einladen können?

Ja, wenn wir 10 oder 12 gefunden hätten. Wir wollen uns ja nicht blamieren. Ich habe bei manchen Lesungen schon mal feuchte Hände Wir haben also schon unsere Ansprüche, und das war die letzten Male schwierig. Das letzte Mal warenes auch nur 12, wir könnten ja bis zu 20 einladen.

Sind Sie sich über die Auswahl mit ihren Mitlektoren Christian Döring und Hanne F. Juritz eigentlich immer einig?

Relativ schnell. Wenn wir zusammen kommen, hat jeder alle Texte gelesen und hat seinen Zettel, mit denen, die er für möglich hält. Dann haben wir ganz schnell sechs, sieben oder acht zusammen, die wir alle drei auf dem Zettel haben. Der Kern steht also ganz schnell. Und dann geht das Gespräch los, dann kann es sein, dass einer von uns jemanden vorschlägt, der von den anderen akzeptiert wird, obwohl sie ihn zuerst anders bewertet haben.

Unter den Finalisten sind diesmal ja keine Darmstädter dabei, oder welche, die mit Darmstadt zu tun haben, z.B. aus der Darmstädter Textwerkstatt wie im letzten Jahr David Krause als Sieger und Özlem Dündar als Förderpreisträgerin. Hat sich dieses Jahr niemand aus Darmstadt beworben?

Doch, es waren auch welche von der Textwerkstatt dabei. Aber das ist für uns kein Kriterium. Man liest sie vielleicht etwas sorgfältiger.

Haben Sie persönlich einen Favoriten oder ein Favoritin dieses Jahr?

Nein. Und wenn ich ihn hätte, würde ich ihn nicht sagen. Und wir waren diesmal auch nicht so ganz begeistert.

Das letzte Wort hat ja dann die Jury, und da sitzen mit Kurt Drawert, Jan Koneffke und Marion Poschmann drei Preisträger des Literarischen März. Finden Sie das gut?

Wir als Lektorat schlagen die Jury vor, wir sind seit Jahren bemüht, Leonce-undLena-Preisträger in die Jury zu bekommen, die ihren Weg gemacht haben.

Sie haben angekündigt, dieses Mal das letzte Mal als Lektor dabei gewesen zu sein. Bleibt es dabei und warum?

Ich habe mich in der Vergangenheit oft aufgeregt, wenn jemand in einem Alter war, in dem er es nicht mehr bringen konnte und hab mich dann gefragt: Warum sagt dem keiner, er soll aufhören? Und bevor mir das passiert, hör ich lieber selber auf. Es schleift sich jetzt auch ein bisschen ab, die Neugier lässt nach, die Spannung lässt nach. Und dann komm ich mir langsam auch ein bisschen komisch vor, ich bin 84 und die sind 35, das soll jetzt mal ein Jüngerer machen. Gibt es schon eine Nachfolgeregelung? Das weiß ich nicht genau. Offiziell regelt das die Stadt, aber die beiden verbleibenden Lektoren werden sicher einen Vorschlag machen.

Sie sind selbst ein bekannter Schriftsteller, im Herzen Lyriker, haben aber in den letzten Jahren auch drei Darmstadt-Krimis geschrieben. Das letzte Mal ist Ihr Kommissar Buttmei 2012 im Dunkeln getappt. Gibt es bald einen neuen Buttmei?

Ich hatte schon einen angefangen und dann kam die Krankheit meiner Frau, sie ist ja im September verstorben. Krimis muss man mit leichter Hand schreiben, da sitze ich am Computer und lächle, über das was ich mache. Ich habe dann abgebrochen, ich konnte so nicht mehr schreiben in dieser Zeit. Insofern kann ich heute noch nicht sagen, ob ich ihn weiter schreibe.

Sie sind ja auch lange Jahre im Schuldienst gewesen. Viele unserer Leser/innen kennen Sie noch als Schulleiter der Bertolt-Brecht-Schule. Welche Bedeutung hatte die Brecht in Ihrem Leben?

Also, ich wollte ja eigentlich nie Lehrer werden. Genau genommen bin ich der Liebe wegen in die Schule geraten, ich wollte da nicht hin, denn ich habe selbst keine guten Schulerfahrungen gemacht. Und dann hab ich mir gesagt, wenn du schon in die Schule gehst, dann willst du es anders machen. Und dann habe mit der Brechtschule die ideale Möglichkeit dazu bekommen. Da konnte ich all das einbringen, was im Rahmen der Bedingungen möglich war und wirklich versuchen, eine andere Art von Schule zu machen als die, die ich selbst erlebt habe.

Auf die Brecht sind ja viele in der Oberstufe gewechselt, die in den klassischen Gymnasien nicht so klarkamen, an der Brecht dann aber durchgestartet sind.

Es war eine Mischung. Ich habe immer darauf geachtet, dass wir von den Noten her gute Schüler aufgenommen haben und welche, wo wir das Gefühl hatten, die haben unter anderen Umständen ein gute Chance. Ich wollte, dass man sieht, wir leisten nicht nur gute Arbeit, was die Schüler betrifft, sondern wir halten auch gewisse Leistungsstandards ein.

Im Grunde ist es an der Brecht ja heute noch so. Hat sich Ihr Gründungsgeist von damals gehalten oder woran liegt das?

Ja, das glaube ich, es sind ja auch beide, die nach mir kamen, Leute, die aus dem Haus kommen. Dafür habe ich mich auch eingesetzt. Das war schon notwendig, damit die Schule sich auch durchsetzt.

Sie sind als Urdarmstädter am Rande der Altstadt aufgewachsen und, wie Sie selbst formuliert haben, nach der Brandnacht am 11. September 1944 war ihre Kindheit zu Ende.

Ja, da war mein Kindheit im Grunde zu Ende, das war so drastisch, so dramatisch, da war das Lachen weg, die Unbekümmertheit weg. Selbst ein Teil meines Kindheitsgedächtnisses ist verschwunden in dieser Nacht.

Haben Sie angesichts der aktuellen politischen Entwicklung Angst, dass sich die Geschichte wiederholen könnte?

So weit will ich nicht gehen, aber ich bin völlig entsetzt und überrascht, wie ein einziger Mensch die Welt verändern und wieder in Gefahr bringen kann.

In Deutschland haben wir ja auch eine deutliche Zunahme rechtspopulistischer Tendenzen. Was raten Sie uns, dagegen zu tun?

Da muss man laut und öffentlich dagegen halten und sich äußern. Da muss man sich zu Wort melden, um möglichst alle, die das nur aus Protest tun, wieder davon weg zu bekommen, denn so groß ist das rechte Potential noch nicht. Da sind auch die etablierten Parteien in der Pflicht, denn sie haben auch nicht mehr genug den Kontakt zu ihren Wählern gesucht. Man muss alles dafür tun, dass möglichst viele wieder zum Wählen gehen, das Wahlrecht ist das wichtigste Recht in unserer Demokratie. Also, Laut geben und wählen gehen.

Vielen Dank für das Gespräch.


FRITZ DEPPERT VITA

24.12.1932 in Darmstadt, studierte Germanistik, Geschichte, Kunstgeschichte sowie Philosophie und promovierte zum Dr. phil. über die Dramen Ernst Barlachs. Als Juror und Lektor des Literarischen März seit 1979 ist er auch Mitherausgeber der Buchreihe „Lyrik unserer Zeit“, in der die Ergebnisse des Literarischen März veröffentlicht werden. Er ist Mitglied des PEN (1993–1998 im Vorstand), des Verbands Deutscher Schriftstellen (VS) und Ehrenpräsident der Kogge. Von 1974 bis 1996 war er der erste Leiter der Bertolt-Brecht-Schule in Darmstadt.


TERMINE: LITERARISCHER MÄRZ

17.03.2017, 18 Uhr, Centralstation, Darmstadt

Eröffnung durch OB Jochen Partsch

Die Autor/innen und Autoren stellen sich vor, die Lesereihenfolge wird ausgelost.

Danach: „ Lyrik im Gespräch“ mit den früheren Preisträgern David Krause, Steffen Popp, Ulrike Almut Sandig und Katharina Schultens.

Moderation: Insa Wilke

Anschließend gibt es einen Rückblick mit Peter Benz zum 20. Geburtstag der Anthologie.

18.03.2017, 9 Uhr, 11.15 Uhr, 14.45 Uhr

Lesungen von jeweils 3 Autor/innen

öffentliche Diskussion der Jury

18.03.2017, 20 Uhr

Preisverleihung durch OB Jochen Partsch

Weitere Infos:

www.literarischer-maerz.de

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