Die Anziehungskraft eines Darmstädters

Inmitten ihrer Bücher- und Bilderwelt fühlen sich Kunsthistorikerin Elisabeth und Künstlerin Johanna Krimmel mit Hündchen Pina wohl

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Eine orangerote Ader aus kleinen Mosaiksteinen führt den Besucher directement ins Eldorado der Krimmels. Schon im Garten gibt es so viele interessante Details, an denen man hängen bleibt und die man genauer erkunden möchte. Drinnen im Haus führen sie dann ins Unendliche: Bilder,Bücher, Objekte, Skulpturen, Papier, Pinsel,Farbtuben, Stifte, Zeitungen, ein Bonsai und das kleine Hündchen Pina, stets zu Streicheldiensten seiner Frauchen bereit.

Für die Bewohner sind viele der Dinge Arbeitsmaterial, denn die Kunsthistorikerin Dr. Elisabeth Krimmel muss hier und da nachschlagen zur Recherche ihrer Texte für Künstler, Kunsthistoriker oder die Jüdische Gemeinde, ihre Tochter, die Künstlerin und Illustratorin Johanna schöpft kreativ aus den Materialien, Farben und Formen. Sie wurde 1974 in diesen wunderbaren Kosmos hineingeboren, kann sich nichts anderes vorstellen und baut ja tatkräftig an diesem mit.

Nicht nur als Zeichnerin und Szenographin will sie einen Raum „als ganzheitliches Erlebnis“ erfahren, sondern auch im Leben, wo doch immer alles mit allem verbunden ist. Ganz natürlich war es für sie, ihren Vater auf dem Sterbebett zu porträtieren, denn „ich war mit einbezogen, war Teil“, besonders „von der Einheit, die meine Eltern gebildet haben, emotional wie geistig“ - zudem beeinflusst „von der Arbeitsweise von Papa“. Seit vielen Jahren arbeitet Johanna Krimmel künstlerisch frei, sie wollte nicht länger „unter der Fuchtel eines Unternehmens stehen“, begleitet zeichnerisch Bühnenproduktionen und visualisiert Firmenideen bei Veranstaltungen wie Messen oder Events. Hierfür erschafft sie Stimmungen in Räumen, und ist daran interessiert, wie sich „analoge Prozesse mit Hilfe digitaler Technik in den Raum bringen lassen, damit es zu einem ganzheitlichen Erlebnis“ wird.

Die Krimmels sind bekannt in Darmstadt: Bernhard (Bernd) Krimmel (1926 bis 2020) wurde 1965 zum Kulturreferent der Stadt Darmstadt berufen und 1972 Leiter des Stadtmuseums, das er zum eigenständigen Institut Mathildenhöhe weiterentwickelte. Direktor der Mathildenhöhe und der Städtischen Kunstsammlung war er zwischen 1975 und1989. Er selbst war Künstler: Maler, Zeichner und Bildhauer. Die ersten Ausstellungen auf dem Musenhügel wurden noch im Ernst-Ludwig-Haus präsentiert, wo seinerzeit einige Vereinigungen und Künstler beherbergt waren, das Büro von Krimmel befand sich noch im Kennedy-Haus. Elisabeth Decker, wie sie damals noch hieß, lernte ihren späteren Mann während der Vorbereitungen der „3. Internationale der Zeichnungen“ kennen, für die sie von Berlin aus mitarbeitete. Sie hatte eine Stelle beim Gründungsdirektor der 1968 eröffneten Neuen Nationalgalerie, Werner Haftmann, und war für die Zusammenstellung der Matisse-Zeichnungen für Krimmels Schau in Darmstadt beauftragt. Eine aberwitzige Vorstellung heute, wie sie bemerkt, denn: „Ich habe in Paris und New York angerufen und all‘ diese Arbeiten einfach bekommen.“

Dass Bernd und Elisabeth überhaupt zueinanderfanden, ist der Quirligkeit der jungen Kunsthistorikerin geschuldet: Geboren 1937 in Hanau, aufgewachsen mit drei Geschwistern in Frankfurt am Main und Detzem an der Mosel, führte ihr Weg dann von St. Ingbert über Merzig nach Genf und Berlin. „Weil ich gerne mit Tieren und Pflanzen zu tun hatte, studierte ich Biologie und Botanik.“ Sie hatte das Sezieren von Fischen richtig gut drauf, doch als sie nach Berlin wechselte, wurden ihr „die praktischen Anweisungen zu langweilig“, auch, weil das Studium mehr und mehr Mathematik und Chemie verlangte. Mit offenen Augen und Ohren erkundete sie das faszinierende Berlin, schwärmt von den „großartigen Museen“ und wie „man einfach rüber nach Ostberlin“ konnte. Ein Familienbekannter, Professor Metz, merkte spitz an: „Mädchen, die Naturwissenschaften haben bei Dir keinen Sinn.“ So versuchte sie ihr Glück 1959 in Freiburg: studierte fortan Kunstgeschichte, Germanistik und Archäologie bei begnadeten Professoren wie Karl Schefold, Martin Gosebruch, Joseph Gantner, die ihren Studenten „systematisch die Geschichte über das Geschehen der Kunstgeschichte in Europa“ nahe brachten und die Studenten zu sich nach Hause einluden.

1960/61 tauschte sie Freiburg gegen Basel ein, weil „meine Eltern den Kunstsammler Dr. Dötsch kannten und ich bei der Familie wohnen konnte“. Sie lernte deren Gemäldegalerie mit Originalen von Bonnard, Klee, Kandinskiund den deutschen Expressionisten kennen, mit denen sie nun lebte. In diesen fünf Schweizerjahren erweiterte Elisabeth ihr Wissen, besuchte Florenz, Rom, Neapel, die Adria, denn ihre Professoren waren unisono der Meinung, dass man die Werke der Bildhauer Donatello, Ghiberti und anderen im Original gesehen haben muss. Dazu kamen die Texte von Novalis und Celan, und sie erinnert sich an „eine Zeit, die mich bis heute geprägt hat“. Bei dem Kunsthistoriker Joseph Gantner (1896 bis1988) schrieb sie ihre Doktorarbeit.

1966 bekam sie in Berlin die Möglichkeit, zu volontieren und erlebte mit, wie der Mies van der Rohe-Bau am Potsdamer Platz, die Neue Nationalgalerie, Gestalt annahm. Bewegt schildert sie, wie beeindruckend es war, „die Beton- und Glaswände, die Einfahrt und Stahlkonstruktion des Gebäudes“ so im Entstehen zu sehen und die umfassende Mondrian-Eröffnungsschau zu erleben „war sagenhaft und wurde nie wieder so gezeigt“. Sie war hauptsächlich Werner Haftmann, dem heute die Nähe zu den Nationalsozialisten vorgeworfen wird, zu verdanken. Er habe künstlerisch den Ton angegeben und großen Einfluss auf die ganze Inszenierung gehabt. Mit einer neuen Aufgabe durfte sie in der Nationalgalerie ihre Karriere als Kunsthistorikerin starten: „Ich sollte einen Katalog des Bestandes erstellen.“ Doch seit Kriegsende hatte sich niemand mehr mit den Werken befasst, die „noch im Schutt unterirdischerKeller lagen“.

Als Assistentin von Werner Haftmann verdiente die aus Hanau Stammende nun eigenes Geld, bezog eine eigene Wohnung und lernte über die Ausstellung des französischen Künstlers Ipoustéguy ihren Zukünftigen kennen. Es sei zwar nicht Liebe auf den ersten Blick gewesen, aber Elisabeth bemerkte sofort, wie „empfindungsvoll“ der Darmstädter mit den Skulpturen von Ipoustéguy umging: „Wie er sie anfasste und gemeinsam mit dem Bildhauer zusammensetzte.“

Als dann die Anfrage mit den Matisse-Zeichnungen kam, wurden die Kontakte häufiger und zur Ausstellung 1970 wurde sie mit anderen Mitarbeitern zu Krimmel nachhause eingeladen: Wie dieser als charmanter Gastgeber in Nullkommanichts für alle Bratkartoffeln mit Eiern und Speck briet, ja, da wars um sie geschehen. Elisabeth Krimmel war zwar zu diesem Zeitpunkt noch mit dem Werkverzeichnis von Wols beauftragt, wofür sie mit Werner Haftmann bereits in Paris die Arbeiten gesichtete hatte, zog aber dennoch nach Darmstadt und heiratete noch im selben Jahr in Kappel bei Freiburg ihren Bernd. In Darmstadt dann setzte sie sich zunächst mit dem Bildhauer Vangi auseinander, dessen Werk auf der Mathildenhöhe gezeigt wurde, später kam sie über Feuilletonchef Jürgen Diesner zum Darmstädter Echo, verfasste Artikel über dieAusstellungen im Landesmuseum und in den vielen Galerien, die es damals noch gab. Sie freut und amüsiert sich bei ihrer Erinnerung an Freunde wie Klaus Schmidt, Helmut Lortz, Annelie und Wilhelm Loth, Georg und Anni Hensel, Fritz Hausmann, den Roethers und Engelmanns, die Brüder Schlotter, erwähnt den unermüdlichen Pit Ludwig und die rührige Liane Palesch, erzählt, dass man Renate Wingler überall in der Stadt traf und, dass ohne diese gar nichts lief. Es seien alles Menschengewesen, die hart miteinander stritten, aber dickste Freunde waren, herrlich auf Darmstädterisch die neuesten Geschehnisse zum Besten gaben. „Wie im Datterich“ - sagt Elisabeth Krimmel und lacht übers ganze Gesicht. Hier hat sie viel gefunden, wurde gerne heimisch, ruft aus: „Gott, was für Menschen.“.
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