Handelnd auf der Seite der Reflexion

Künstler, Architekt, Soziologe - Werner Durth ist ein unermüdlicher Impulsgeber nicht nur in und für Darmstadt.

by

©Klaus Mai


Mit Beiträgen zur Architekturgeschichte und -soziologie, Ausstellungen und Standardwerken hat sich Werner Durth auch international einen Namen gemacht. Er war maßgeblich an der Konzeption der „Grand Tour der Moderne” zum Bauhausjubiläum beteiligt.


FRIZZmag: Lieber Werner, Deine Vita ist ja allenthalben lückenlos dokumentiert, erzählst Du uns trotzdem noch ein bisschen was dazu?

Ich bin in Mengeringhausen, einer kleinen nordhessischen Fachwerkstadt, geboren, sie ist für mich bis heute mein Heimatort geblieben. Da meine Lehrer empfohlen hatten, mich doch bitte weiter zu fördern, bin ich in Wiesbaden aufs humanistische Gymnasium gekommen. Der Wunsch meiner Eltern war dann, dass ich Pfarrer werde. Für mich war immer klar, dass ich gerne irgendetwas Künstlerisches tun wollte. So führte mein Weg nach Darmstadt, wo ich an der Architekturfakultät Malen, Zeichnen, plastisches Gestalten studieren konnte, was, wie ich fand, konkreter und reichhaltiger war als es in einer Kunstakademie möglich gewesen wäre. 

Hast Du seit 1967 immer in Darmstadt gewohnt?

Ja, vom ersten Semester an. Ich habe in wechselnden Konstellationen bis 1983 immer in Wohngemeinschaften gelebt. 

Landwehrstraße im Johannesviertel, Mollerstraße im Martinsviertel, Hölderlinweg im Steinbergviertel - ist das ein klassischer Darmstädter Wohnumfeldaufstieg?

Nein, in der Landwehrstraße wurden wir gekündigt und in der Mollerstraße wurde gerade eine Wohngemeinschaft frei, wir haben das nicht als sozial-kulturellen Aufstieg erlebt. Der Umzug in den Hölderlinweg war auch nicht statusbedingt, sondern weil wir mit unseren Kindern gerne einen Garten haben wollten. Das hatte den Nebeneffekt, dass ich direkt neben der Lichtwiese wohnte und nur 15 Minuten Fußweg rüber zur Architekturfakultät hatte.

Künstler, Architekt, Stadtsoziologe - verschmelzen diese drei Professionen in Deiner Person? Oder sind das changierende oder gar konkurrierende Identitäten?

Bis heute ist es meine Schlüsselmotivation geblieben, nicht nur Handelnder in einem Prozess von Architektur und Stadtplanung zu sein, sondern auch um die Kräfte zu wissen, die hinter Stadtentwicklung stehen, die gesellschaftlichen Bedingungen erklären zu können unter denen wir jetzt beispielsweise diesen irrsinnigen Mangel an erschwinglichem Wohnraum haben. Deshalb habe ich 1968 ein Zweitstudium in Soziologie und Philosophie in Frankfurt begonnen.  Meine erste Anstellung, die ich je irgendwo hatte, war als  Assistent bei Manfred Teschner im Institut für Soziologie hier im Schloss.

Deine professoralen Hochschulstationen in Mainz, Stuttgart und schließlich in Darmstadt die Professur für Geschichte und Theorie der Architektur - der lange Marsch von der Unmittelbarkeit zur Metaebene?

Das trifft es insofern, als ich mich auf meiner Stelle als Soziologe von der sozialen Wirklichkeit zu weit entfernt fühlte. Dann habe ich mich mit 30 Jahren auf eine Professur in Mainz beworben, die es so noch gar nicht gab: Umweltgestaltung - gebundenes Zeichnen. Die Exkursion nannte ich damals „zeichnerische Ortserkundung”, wir sind in alle möglichen Wohnviertel und Industriegebiete gegangen. Ich habe in diesen zwölf Jahren auch weiterhin geforscht, Bücher über Stadtentwicklung und Wiederaufbau geschrieben. So kam es zur Anfrage auf die Stelle für Grundlagen moderner Architektur, das war für mich schon sehr ehrenvoll, nach Stuttgart zu wechseln, an das erste Institut, das sich ab 1968 überhaupt mit Architekturtheorie beschäftigt hat. 

Während der Mainzer und Stuttgarter Zeit hast Du weiterhin in Darmstadt gewohnt?

Ja, weil wir hier ein soziales Umfeld hatten, das weder meine Kinder noch meine Frau aufgeben wollten. Ich bin gependelt, wobei ich in Stuttgart auch eine Wohnung hatte. 

Wie spannend ist Darmstadts Stadtentwicklung für Dich? Welche Entwicklungen sind für Dich besonders markant?

Nach meinem Doppelstudium habe ich ganz bewusst den Zivildienst in Kranichstein gemacht, um einen solchen Stadtteil im Werden ein Stück mit zu begleiten und von innen zu erleben. Die ökumenische Jugendarbeit dort war auch eine ganz entscheidende Erfahrung sozialer Wirklichkeit.

Das war 1976, als die Maysche Planung gerade abgeplant wurde?

Ja, und heute kann man wie in einem Freilichtmuseum sehen, wie diese Siedlung den Spielraum geboten hat, neue Erkenntnisse und soziale Erfahrungen in sehr unterschiedlichen Bauformen und Ensembles umzusetzen.

Ist Kranichstein nach wie vor der spannendste Stadtteil in Darmstadt?

Der architektonisch spannendste, wenn man die aktuellen Entwicklungen sieht. Unter historischen Aspekten ist es auch das Paulusviertel, das in der damaligen Zeit eine kleine Kulturrevolution des Städtebaus war - statt der gradlinigen Gründerzeit mit Stadtgrundrissen wie im Johannes- und Martinsviertel ein malerischer Städtebau mit geschwungenen Straßen, mit Alleen, eine kurze Phase des Städtebaus, der ganz bewusst das Bauen als Schaffen von Erlebnissen konzipiert hat. Ich bin glücklich, so in der Nähe wohnen zu können. Das eigentliche Faszinosum Darmstadts von meinem ersten Tag an aber ist die Mathildenhöhe: Mit dem Schlafsack im Platanenhain zu schlafen, am nächsten Morgen aufzuwachen und durch die Blätter den Hochzeitsturm zu sehen, das war ein Schlüsselerlebnis. Und nachdem ich dann sehr viel über den Zusammenhang von Woog, Mathildenhöhe und Rosenhöhe als eine Besonderheit des landschaftlichen, räumlichen Gefüges geschrieben habe, ist inzwischen der Umgang mit dem Oberfeld - ich war Mitgründer der Stiftung Hofgut Oberfeld - für mich zu einem Lebensthema geworden, die Entwicklung der ökologischen Landwirtschaft dort, das inklusive Leben mit Behinderten.

Bausünden?

In jeder Zeit gab es Bausünden und ich versuche stets zu erklären, warum sie überhaupt entstehen konnten. Und es gibt eben auch Dinge, die nicht zustande kamen, was wir heute als großes Versäumnis ansehen, wie z.B. das Bauhausarchiv, was aber, wenn man sich die Quellen und die Akten ansieht, wirklich kaum zu stemmen war, weil Berlin einfach die besseren Bedingungen hatte.

Am 12. April jährt sich die Bauhaus-Gründung zum 100. Mal. Du gehörst zu denjenigen, die das Programm 100 Jahre-100 Orte mitgestaltet haben. Was erwartet uns da?

Ich habe von Anbeginn dafür plädiert, dass man die Vorgeschichte des Bauhauses mit einbeziehen muss. Jetzt sind diese 100 Orte eine „Grand Tour der Moderne“ durch das 20. Jahrhundert geworden, beginnend mit den Reformorten, in denen diese Ideen, die Gropius dann in Weimar umgesetzt hat, geboren und auch schon praktiziert wurden. Dazu gehören Dresden, Breslau, Hagen und vor allem Darmstadt. Schon in England mit der beginnenden Industrialisierung gab es genau diese, aus einer humanistischen Perspektive kulturkritisch gedachte Forderung, dass der Mensch nicht durch die industrielle Arbeitsteilung zerstückelt werden darf, sondern dass Kopf und Hand wieder zusammenkommen müssen. Diesen Gedanken hat der junge Großherzog Ernst Ludwig aufgenommen - er hatte ja seine Kindheit und Jugend großenteils in England verbracht - als er im Alter von 23 Jahren hier die Macht übernommen hat. Als erstes hat er sich in den 1890-er Jahren das neue Palais von englischen Reformkünstlern ausstatten lassen, die Gründung der Künstlerkolonie war eine Verlängerung der Reformbewegung aus England. Mit den Ausstellungen von 1901-1914 wurde das zu etwas ganz Eigenem und gilt auch als Vorgeschichte des Bauhauses.  

©Werner Durth

Du hast Dich folgerichtig auf der Mathildenhöhe fotografieren lassen, vor dem Haus Behrens. Warum genau dort?

Peter Behrens hat mit seinem Haus, mit dieser ganz einfachen Linienführung, ein solches Signal gesetzt, dass er sofort abgeworben wurde und eine unglaubliche Karriere gemacht hat. Er war kein Architekt, sondern Maler und Grafiker und wurde als Chefdesigner der AEG sozusagen der Erfinder des Corporate Design. Er hat vom Briefbogen über Werbeplakate bis hin zu den großen Industriehallen den Gedanken des Gesamtkunstwerks in die Industrie übertragen. An seinem größten Bau, der Turbinenhalle in Berlin, haben als junge Praktikanten nebeneinander Walter Gropius, Mies van der Rohe und ein junger Schweizer mitgearbeitet, der sich später den Künstlernamen Le Corbusier gegeben hat.

Im Mai wirst Du 70 Jahre alt. Wenn Du Dir etwas wünschen könntest, was am Morgen Deines Geburtstages schlagartig Realität wäre, was wäre das?

Dann wäre es, dass mein Sorgenkind, der große alte Kuhstall, der in der Domäne Oberfeld steht, mit einer wunderbaren Nutzung bespielt, denkmalgerecht saniert wäre und als Schlussstein dieses einzigartigen Ensembles tatsächlich eine neue Qualität entfalten könnte. 


Danke für das Gespräch.

werner_durth.vita


*17.5.1949 in Mengeringhausen, Kreis Waldeck, 1967 Abitur in Wiesbaden, 1967-1973 Studium Architektur und Stadtplanung TH Darmstadt, 1971-1975 Studium Soziologie und Philosophie J. W. Goethe-Universität Frankfurt und an der TH Darmstadt, 1973 Diplom-Ingenieur, 1975-1977 Zivildienst in Darmstadt-Kranichstein, 1976 Promotion, 1978-1981 Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Soziologie an der TH Darmstadt, 1981-1993 Professor für Umweltgestaltung an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, 1993-1998 Professor an der Universität Stuttgart, 1998-2017 Professor für Geschichte und Theorie der Architektur der TU Darmstadt, 2005 Ehrendoktorwürde der Polytechnischen Nationaluniversität Lviv (Lemberg) Ukraine. Vielfache Auszeichnungen, u.a. Schelling-Architekturpreis für Architekturhistoriographie und Fritz-Schumacher-Preis für sein Lebenswerk. Mitglied u.a. der Akademie der Künste in Berlin, vielfache Tätigkeit als Preisrichter. Verheiratet, zwei erwachsene Kinder. Am 17.5.2019 wird ihm in Berlin die Ehrenmitgliedschaft des Bundes Deutscher Architekten verliehen.

Back to topbutton