„Es geht mir um alle Menschen in der Stadt“

FRIZZmag im Gespräch mit dem neuen Darmstädter Oberbürgermeister Hanno Benz (SPD)

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Am 2. April wurde er gewählt, seit dem 25. Juni ist er im Amt, der 2. Oktober ist sein 100. Tag als OB, 2.092 Tage liegen noch vor ihm. Eine ordentliche Strecke, die angesichts der politischen Konstellationen in Darmstadt einen langen Atem verlangt. Viel Zeit zum Verschnaufen blieb Hanno Benz bisher nicht.

FRIZZmag: Wir kennen uns ja schon gefühlt ewig, praktisch seit meiner ersten Glosse im Februar 2008, da warst du noch fast taufrischer Vorsitzender der SPD-Fraktion. Wir bleiben also beim Du?

Hanno Benz: Selbstverständlich bleiben wir beim Du, warum auch nicht? 

Am 2. Oktober ist dein 100. Tag im Amt, davor ist Sonntag, danach Einheitsfeiertag. Nutzt du das als Brückentag und machst frei? 

Ja, ich nutze den Feiertag für eine kurze Verschnaufpause. Ich freue mich besonders darauf, Zeit mit meiner Familie zu verbringen. Kurz muss ich den Urlaub allerdings für eine zweitägige Dienstreise nach München unterbrechen. 

Die ersten 100 Tage gelten ja gemeinhin als Schonfrist. Von wem oder was bist du bislang verschont geblieben oder hat das real keine Bedeutung mehr?

Einem Oberbürgermeister geht es wie jedem anderen auch, der einen neuen Job beginnt. Das ist wie Schulanfang, nur ohne Schultüte. Das Arbeitsumfeld ist neu, die Kolleginnen und Kollegen sind überwiegend neu. Als Personaldezernent trage ich Verantwortung für alle fast 4.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Stadt. Hinzu kommt, dass mir in meinem Dezernat mehr als 20 Ämter mit über 600 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern direkt zugeordnet sind. Mich den Kolleginnen und Kollegen persönlich vorzustellen und Gespräche zu führen, ist mir gerade zu Beginn besonders wichtig. Ich bin aktuell auch immer noch damit beschäftigt.

Neben mir als Person stand im Wahlkampf auch mein Programm zur Wahl. Daraus leite ich  Schwerpunkte meiner politischen Arbeit in den nächsten Jahren ab. Sich schnell einen Überblick über die laufenden und zukünftigen Projekte zu verschaffen und nach Prioritäten zu sortieren, ist besonders wichtig. Zusätzlich warten in meinem Zuständigkeitsbereich vielfältige und große Aufgaben, wie die Neustrukturierung der Kulturverwaltung, auf mich.

Gute und nachhaltige Politik braucht Zeit, da reichen 100 Tage nicht aus. In erster Linie handelt es sich deshalb um einen symbolischen und kommunikativen Anlass und um eine gute Gelegenheit, eine erste Bilanz zu ziehen und sich darauf zu fokussieren, welche Projekte zuerst bearbeitet werden müssen.

Vor deinem ersten Tag im Amt am 25.6. gabs ja auch schon ne Menge zu regeln, z. B. was?

Nach dem sehr intensiven Wahlkampf ging es nahtlos mit der Vorbereitung der Amtsübernahme weiter. Bereits im Wahlkampf habe ich eine Neuausrichtung der Mobilitätspolitik im Falle meiner Wahl angekündigt. Die Verantwortung für diesen Bereich habe ich meinem Kollegen Stadtrat Wandrey übertragen. Gemeinsam mit Paul Wandrey habe ich bereits viele Gespräche geführt, mit Verantwortlichen innerhalb der Stadt, aber auch Bürgergruppen wie der Interessengemeinschaft Dieburger Straße. Aber es gab auch Änderungen in meinem Verantwortungsbereich. Zusätzlich zu den Aufgaben, die mein Amtsvorgänger wahrgenommen hat, bin ich nun auch für Sport zuständig. Ein erster Meilenstein für mich war neben diesen personellen und strukturellen Weichenstellungen die erste Sitzung der Stadtverordnetenversammlung. In dieser wurde die erste von mir eingebrachte Magistratsvorlage mit Mehrheit verabschiedet. Ich freue mich sehr, dass der Beschluss, das Mühltalbad umfassend zu sanieren, nun gefallen ist.

In einer verantwortlichen Position wie deiner ist ein gut funktionierendes und gut organisiertes Vorzimmer von besonderer Bedeutung. Hier laufen zunächst alle Informationen zusammen, müssen sortiert und aufbereitet werden. Das OB-Büro bildet die Kommandozentrale. Musstest du dein Team komplett neu zusammenstellen? 

Mein Team besteht aus Kolleginnen mit denen ich schon länger zusammenarbeite, aber auch aus erfahrenen Kolleginnen und Kollegen aus der Stadtverwaltung, die die internen Abläufe aus dem Effeff kennen. Das OB-Büro ist in der Tat Dreh- und Angelpunkt. Dafür benötigt man einsatzfreudige, kluge und vorausschauende Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen. Es geht dabei ja nicht nur um klassische Organisationsaufgaben, sondern auch um fachliche Kompetenzen. Ich bin sehr zufrieden mit meiner Wahl und vertraue jedem einzelnen absolut.

Dein Sieg bei der OB-Wahl kam ja für die Grünen sehr überraschend und führte kurzzeitig zur Schockstarre. Wie schwierig war es, eine geregelte Übergabe hinzukriegen und in der Folge auch die Positionen zu übernehmen, die dem OB klassisch zugeordnet sind, z. B. den Aufsichtsratsvorsitz bei der Entega?

Natürlich hätten die Grünen sich ein anderes Ergebnis gewünscht, das kann ich gut nachempfinden, das ging der SPD 2011 genauso. Dass die Enttäuschung groß war, hat man tatsächlich nach der Wahl gemerkt. Es hat etwas gedauert, aber ich habe mit allen Kollegen im hauptamtlichen Magistrat und den Vertreterinnen und Vertretern der demokratischen Fraktionen schließlich intensive Gespräche geführt und Lösungen gefunden.

Die Konstellation im Kollegialorgan Magistrat ist ja bekannt, du hast als OB nicht nur keine Mehrheit in der Stavo, sondern sitzt auch im Magistrat fünf hauptamtlichen Dezernenten der grün-schwarz-lila Koalition als Primus inter pares gegenüber. Habt ihr euch schon ein bisschen eingegroovt?

Die Situation ist nicht einfach, aber alle sind aufgerufen, damit konstruktiv umzugehen. Uns eint ja ein gemeinsames Ziel, das Beste für Darmstadt und die Bürgerinnen und Bürger zu erreichen. Welcher der richtige Weg dahin ist, darüber werden wir sicherlich diskutieren. Am Ende muss aber klar sein, dass wir Kompromisse schließen müssen und nicht einfach weiter so durchregiert werden kann. 

In den Sommerinterviews der lokalen Tagespresse halten sich die schwarz-grünen Hauptamtlichen, was die Einschätzung des Betriebsklimas im Umgang mit dem OB angeht, mit bemerkenswert einheitlichem Wording noch sehr bedeckt. Einzig mit Holger Klötzner von Volt scheints komplett spannungsfrei zu laufen, mehr Einvernehmen geht fast nicht. Täuscht der Eindruck oder hat sich da auch insgesamt was entwickelt?

Die Konstellation ist in der Tat selten und geht mit besonderen Herausforderungen für alle Beteiligten einher. Für mich als neuen OB, der nicht Teil der Kollation ist, und für die Koalition, die nicht mehr den OB stellt. Aber die Wählerinnen und Wähler haben sich sehr bewusst dafür entschieden und damit bewusst die Veränderung gewählt. Der gesamte Magistrat hat jetzt den Auftrag, das große Bild vor Augen zu haben. Wir dürfen uns nicht im kleinlichen Parteienstreit erschöpfen. Der Magistrat ist ein Kollegialorgan, wie du richtig sagst. Ich arbeite mit allen Kollegen im hauptamtlichen Magistrat sehr gut und auch vertrauensvoll zusammen, bisher ist es uns immer gelungen, Kompromisse zu finden.  

Deine neuen Dezernatszu- bzw. -beschneidungen sind ja ziemlich professionell verarbeitet worden. Einzig deine Stellvertreterin, Bürgermeisterin Akdeniz, hatte wohl ein bisschen länger daran zu knabbern, dass ihr das Sportdezernat weggenommen wurde. Wie hat sich das Verhältnis zu deiner Stellvertreterin entwickelt?

Es war für mich von Anfang an klar, dass ich im Falle meiner Wahl das Amt des Sportdezernenten übernehmen werde. Dazu gehören auch die Bäder in Darmstadt. Zum einen aufgrund meiner ehrenamtlichen Erfahrungen in diesem Bereich. Ich kenne quasi die andere Seite der Medaille und weiß, wo bei den Vereinen der Schuh drückt. Ich möchte gerade für das Ehrenamt innerhalb der Vereine beste Rahmenbedingungen und verlässliche Förderungen schaffen. Zum anderen aber auch aufgrund der sozialen Dimension des Sports, gerade in Zeiten von Corona wurde uns der Wert des sozialen Miteinanders wieder vor Augen geführt. Die Vereine leisten hervorragende Präventions- und Integrationsarbeit. 

Der neue OB kommt nicht mit dem Rad, sondern mit dem Auto ins Büro. Demonstrativ oder warum?

Nein, das ist kein Zeichen. Ideologie hat in der Mobilitätspolitik nichts zu suchen. Wie viele berufstätige Menschen nutze ich verschiedene Verkehrsmittel. Ich fahre Bahn oder auch mal mit dem Heiner Liner. Aber als OB habe ich viele Termine und Anfragen, dabei halte ich ja nicht im Rathaushof, sondern gehe zu den Menschen. Als OB habe ich angekündigt, die gesamte Stadt in den Blick zu nehmen – von Wixhausen bis Eberstadt. Um das terminlich zu schaffen, ist das Auto für mich auch weiterhin ein Fortbewegungsmittel.

Wie sieht es aus mit den Korrekturen, die du bei deiner Amtsantrittsrede angekündigt hast? Was ist der Stand in Sachen zweiter Aldi in Arheilgen und Luxusbebauung im Bürgerpark? Außerdem gibt es ja jetzt keinen Termin mehr für die Fertigstellung des Ausstellungsgebäudes auf der Mathildenhöhe. 

Die Pläne für den Aldi in Arheilgen und die Bebauung im Bürgerpark sind weit vorangeschritten, die Beschlüsse der Stadtverordnetenversammlung liegen vor. Die Koalition hat Fakten geschaffen, mit denen ich jetzt umgehen muss. Ich hole diese Projekte wieder auf die politische Tagesordnung. Dazu bereiten wir uns verwaltungsseitig darauf vor, dass alle Möglichkeiten, über die ich als OB verfüge, konsequent genutzt werden. Aber auch die Fraktionen in der Stadtverordnetenversammlung werden sich wieder mit den Themen beschäftigen müssen und den aus meiner Sicht klaren Willen der Wähler umzetzen.

Die Eröffnung der Ausstellungshallen auf der Mathildenhöhe – das ist ein Thema, das mich sehr beschäftigt. Auch ich habe mich auf eine Zeit gefreut, in der wir die Mathildenhöhe wieder ohne Bauzäune erleben dürfen. Ein Datum zur Eröffnung werden wir erst kommunizieren, wenn feststeht, dass dieses auch eingehalten werden kann. Der ohne Zweifel große Erfolg, dass die Mathildenhöhe Weltkulturerbe ist, und die Freude darüber hat so manche Probleme rund um die Sanierung der Ausstellungshallen verdeckt.

Wie gehts voran mit der stärkeren Einbeziehung der Stadtteile?

Ich bin häufig vor Ort bei den Menschen. Auch die Verwaltung werde ich neu strukturieren, die Präsenz vor Ort intensivieren und institutionalisieren. Dies bedeutet regelmäßige Bürgersprechstunden in den Stadtteilen, ergänzend zu den Stadtteilrunden, sowie die Neu- bzw. Wiedereröffnung von Bürgerbüros.  

Hast du dich auch deshalb im Eberstädter Mühltalbad fotografieren lassen?

Das Mühltalbad zählt zu den ersten Erlebnisbädern Deutschlands. Es ist ein richtiges Kulturdenkmal. Die umfassende Sanierung, der Erhalt des Sprungturms und der Panoramafenster sind für mich Herzensangelegenheit. Mehr noch, wir erhalten den Charakter des Bades als Familien- und Freizeitbad und erhalten damit ein niedrigschwelliges Angebot, also Spaß und Vergnügen für wenig Geld. Bei der Nutzung eines Freizeitbades steht ein gesellschaftliches Miteinander ohne soziale Ab- und Ausgrenzung im Vordergrund.  Sportstätten wie diese sind ein zentraler Bestandteil kommunaler Infrastruktur und kommunaler Daseinsvorsorge. Und zwar nicht nur für den Vereins- oder Schulsport, sondern für alle Bürgerinnen und Bürger. 

Was war für dich das beeindruckendste Erlebnis in den ersten Amtstagen? 

Zu meiner persönlichen Bilanz der ersten 100 Tage gehört sicherlich, dass ich viele interessante Menschen kennenlernen durfte, die mir zum Teil beeindruckende Projekte vorgestellt haben. Die Innovationskraft unserer Stadt, aber auch das ehrenamtliche Engagement begeistert mich. Besonders herausragend war darüber hinaus meine Dienstreise nach Sizilien. Zum zweiten Mal wurde in diesem Jahr der von Bundespräsident Steinmeier und  Staatspräsident Mattarella ausgelobte deutsch-italienische Städtepartnerschaftspreis verliehen. Mit dem Preis werden besonders innovative deutsch-italienische Städtepartnerschaften und Projekte gewürdigt. Die Wissenschaftsstadt Darmstadt und die Stadt Brescia haben sich gemeinsam um diesen Preis beworben und ihn auch erhalten. Aus den Händen des Bundespräsidenten und seinem Amtskollegen durfte ich den Preis in Italien entgegennehmen. Dies war eine besondere Erfahrung. 

Und was war das Bedrückendste?

Das Gedenken an die Brandnacht am 11. September ist immer wieder ein ergreifendes und bedrückendes Erlebnis. 

Die Familie Benz hat jetzt mit der Familie Metzger gleichgezogen, jeweils Vater und Sohn waren bzw. sind OB. Ist Papa Peter stolz auf dich, dass du das Amt für die SPD zurückerobert hast?

Das Politische habe ich gleichermaßen von meiner Mutter und meinem Vater. Sich für die Demokratie und  für andere einzusetzen, diese Werte wurden mir von Beginn an vermittelt. Als OB habe ich jetzt die Möglichkeit zu gestalten und auf diese Herausforderung freue ich mich. Ansonsten geht es hier ja nicht um einen Überbietungswettbewerb oder dynastisches Denken.

Vor der Wahl hast du im Interview mit mir gesagt, nach sechs Jahren OB Hanno Benz ist die Stadtgesellschaft wieder geeint, Darmstadt ist gerechter und zukunftssicherer und die Menschen vertrauen ihrem OB. Wo geht es bereits gerechter zu und wie viel Vertrauen spürst du schon jetzt?

Ich fühle mich darin bestärkt, dass die Menschen kein „weiter so“ wollen und nicht von oben herab regiert werden wollen. Viele Menschen haben sich mit persönlichen Fragen und Ideen an mich gewandt, diese Tatsache bestärkt mich darin, dass die Menschen in Darmstadt auf mich vertrauen. Echte Bürgerbeteiligung auf Augenhöhe und Zuhören sind wichtig. Und dass wir auch als Politik und Stadt Darmstadt Kompromisse eingehen müssen. Davon überzeugt und hier fühle ich großen Rückhalt auch innerhalb der Bürgerschaft.

Auf welche Frage, die ich dir nicht gestellt habe, würdest du gerne zum Schluss unseres Gesprächs noch antworten?

Ich bin ja ein leidenschaftlicher Läufer. Von Beginn an war mir wichtig, trotz der neuen Rolle und der damit einhergehenden Verpflichtungen weiterhin Zeit für das Laufen zu finden. Das gelingt mir bisher ganz gut. Ich hoffe das bleibt auch so.


hanno_benz.vita

*21.8.1972 in Darmstadt, wuchs in Arheilgen auf, wo er auch heute wohnt. Abitur an der Bertolt-Brecht-Schule, Studium Politik und Germanistik mit Abschluss Magister Artium in Frankfurt. Nach Stationen bei einem Telekommunikations- und Beratungsunternehmen war er tätig bei einem Energieversorger im Rhein-Main-Gebiet als Leiter Public Affairs. Seit 25.6.2023 ist er Oberbürgermeister der Wissenschaftsstadt Darmstadt. Benz ist seit seiner Jugend in der SPD aktiv. Der Vater von zwei erwachsenen Kindern ist begeisterter Läufer und lebt in fester Partnerschaft.
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