„Natürlich müssen wir besser werden.“

Bundeswirtschaftsministerin Brigitte Zypries

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©Klaus Mai

FRIZZmag: Werden Sie Weihnachten mit der Entlassungsurkunde des Bundespräsidenten unter dem Tannenbaum feiern können?

Brigitte Zypries: Das hoffe ich, aber das weiß ich natürlich nicht.

Was ist Jamaika in Ihren Augen, also außer Karibik, Reggae und Bob Marley?

Na, der erste Versuch einer schwarz-gelbgrünen Koalition auf Bundesebene.

Die SPD im Bund geht ja konsequent in die Opposition, will sich stärken und festigen, und die Regierung kriegt zukünftig „in die Fresse“. Hier in Darmstadt hat sich die SPD nach sechs Jahren Opposition noch nicht so richtig gefunden, oder doch?

Na ja, ich finde, dass es in Darmstadt mit der SPD ganz gut läuft. Es gibt natürlich immer mal wieder Querschüsse von einzelnen Leuten, das wird man aber wahrscheinlich gar nicht abstellen können. Wir haben eine aktive und gute Fraktionsarbeit, die Partei fördert und ermöglicht die Debatte, z.B. durch das Woogsfest oder die Infostände jeden Samstag am Markt. Schön wäre es, wenn sich noch mehr der dieses Jahr neu Eingetretenen aktiv beteiligen würden. Da arbeiten wir dran.

18 Prozent und 16 Prozent bei den beiden letzten kommunalen Wahlereignissen 2016 und 2017 sind ja noch nicht so das Gelbe vom Ei bzw. das Rote vom Radieschen, oder?

Natürlich müssen wir besser werden. Wir sind dabei, den Generationenwechsel zu schaffen, haben bei der letzten Kommunalwahl viele junge Leute nach vorne gestellt, die auch sehr engagiert in der Fraktion da- bei sind. Wenn ich an Oliver Lott denke, Anne Marquardt oder Tim Huß, die machen alle eine gute Arbeit, aber bis sie sich in der Stadt bekannt gemacht haben, dauerte natürlich ein bisschen.

Sie sind ja jetzt bald vom Amte befreit, werden Sie dann als SPD-Vorsitzende und Stadtverordnete stärker ins parlamentarische Geschehen eingreifen? Mehr Ausschüsse oder sogar Fraktionssprecherin mit oder, wie manche munkeln, statt Siebel?

Nee, nee, nee. Michael Siebel macht einen sehr guten Job. Das soll er gerne weiter machen. Ich will ein bisschen mehr machen, insbesondere beim Thema Digitale Stadt, da habe ich ja auch einige Kompetenzen einzubringen.

„Weder 2005 noch 2009 oder 2013 hat es eine ehrliche und tiefer gehende Debatte über die Gründe der damaligen Wahlniederlagen gegeben und es sind auch keine echten Konsequenzen gezogen worden.“ Kennen Sie das Zitat?

Nein. Aber es ist bestimmt von jemandem, der will, dass die Agenda 2010 wieder aufgehoben wird.

Also, das Zitat stammt von Martin Schulz, zitiert nach einem Artikel, kürzlich in der Frankfurter Rundschau. Würden Sie mit Ihrem Parteivorsitzenden übereinstimmen?

Nein, ich stimme mit dem Zitat nicht überein. Ich finde nicht, dass die Aufarbeitung schlecht war. Natürlich, man kann immer sagen, noch mehr wäre noch besser gewesen. Ich glaube, dass wir objektiv in einer schwierigen Situation sind, das gilt nicht nur für die SPD, das gilt für alle Parteien, für Volksparteien noch mehr, und dafür gibt es eine Menge Gründe. Aber einfach zu glauben, die CDU müsste ein bisschen rechter werden und wir ein bisschen linker, dann würde alles besser werden, das sehe ich nicht so. Der Rechtsruck verbunden mit einem Populismus ist auch ein Stück weit Ausdruck eines Zeitgeistes, den es auch in anderen Ländern gibt.

In der zurückliegenden Legislaturperiode hätte die SPD im Bund gemeinsam mit den Grünen und den Linken eine Mehrheit gehabt für eine echte alternative Gesellschaftspolitik und hat sie nicht genutzt. Würden Sie das als Versäumnis sehen oder war es richtig, noch mal in eine große Koalition zu gehen?

Also, von mir als Seeheimerin (Gemeint ist der „Seeheimer Kreis“, ein Zusammenschluss von SPD-Bundestagsabgeordneten, der als konservativer Flügel der Fraktion gilt. Anm. der Red.) kann man nicht erwarten, dass ich es bedaure, mit Sarah Wagenknecht keine Koalition gehabt zu haben.

In Darmstadt gibt es den ähnlichen Vorwurf einer Nicht-Aufarbeitung der kommunalen Niederlagen von 2011, 2016 und 2017, nicht nur aus dem kleinen, Galle spuckenden Dorf im Norden, sondern durchaus auch aus den Reihen der Stadtverordneten-fraktion. Wird es diese Aufarbeitung jetzt geben, oder muss aus Ihrer Sicht nichts mehr aufgearbeitet werden?

In Darmstadt ist es ja nicht so, dass man so sehr inhaltliche Differenzen hätte. In Darmstadt geht es vielmehr um „Deine Nase mag ich, und deine Nase mag ich nicht“. Wenn es wirklich um linke oder rechte Positionen ginge, könnte man immer Kompromisse finden. Aber das funktioniert halt nicht, wenn es einfach nur um Befindlichkeiten geht, die inhaltlich nicht unterlegt sind.

Würden Sie das Mögen und Nichtmögen unter den Parteien in Darmstadt der etwas rauen Art des langjährigen Fraktionsvorsitzenden Hanno Benz zuschreiben, oder war das stilistisch „klare Kante“ und zur Profilbildung nötig?

Dass er uns nichts genutzt hat im Verhältnis zu anderen Parteien, das war wohl so. Die Bemerkung Jochen Partschs nach seiner ersten Wahl, er rede mit jedem, nur nicht mit der SPD, zielte wohl da-rauf, dass das Verhältnis der Grünen zu der SPD im Stadtparlament ziemlich zerrüttet war. Hanno Benz hat es den Leuten nicht leichtgemacht. Auf der anderen Seite war er auch immer ein verlässlicher Partner, das muss man auch mal klar sagen.

Anfang der 2000er Jahre stellte die Darmstädter SPD noch den OB, den Bürgermeister, den Kämmerer, einen weiteren Dezernenten, hatte einen Bundestagsabgeordneten und zwei Landtags-abgeordnete. Seit 2011 hat die SPD keinen Hauptamtlichen mehr im Magistrat, das Bundestagsmandat ist gerade verloren gegangen und 2018 tritt der letzte Hauptamtliche, MdL Siebel, nichtmehr an. Damit fehlt es an Pro s und natürlich auch an Geld, um professionelle Referenten zu bezahlen. Ist ein Wiedererstarken der SPD ausschließlich mit Hobby-Politikern zu stemmen? 

Dass die SPD in Darmstadt abgewählt

wurde, ist eine Folge interner und hausgemachter Probleme. Dass wir jetzt das Bundestagsmandat verloren haben, ist echt bitter für die Darmstädter SPD, gar keine Frage. Allerdings war der Wahlkreis immer hart umkämpft. Ich habe ihn einmal mit nur 46 Stimmen Vorsprung gewonnen, das war auch kein Glanzergebnis. Und diesmal ist es zur anderen Seite rüber gerutscht, da spielt das niedrige Ergebnis der Bundes SPD auch eine erhebliche Rolle. Bei einem Zweitstimmen Ergebnis von knapp 21 Prozent weiß ich nicht, ob ich selbst das Direktmandat gewonnen hätte. Und um jetzt auf die Frage zu antworten: Ja, ich glaube, dass das geht, ich glaube, dass wir ehrenamtlich sehr gut arbeiten und die Partei wieder groß machen können. Was das Stadtparlament angeht, sind wir sehr arbeitsfähig, und haben die letzten Stadtverordnetensitzungen gut mit unseren Anträgen und Diskussionsbeiträgen gestaltet. Das hat sich auch in den Medien niedergeschlagen. Und das ist ja jetzt schon alles ehrenamtlich.

Es fällt auf, dass in der SPD, auch und besonders in Darmstadt, ganz viele junge Menschen, also sogar unter 30 oder knapp drüber, aktiv sind. In der mittleren Altersklasse, die gemeinhin als magistrabel gilt, klafft eine große Lücke. Was hat die SPD versäumt? Es ist ja wohl nur ein schwacher Trost, dass die anderen Parteien das gleiche Problem haben oder kriegen werden?

Das ist in den anderen Parteien schon ein bisschen anders. Es liegt in der SPD schon daran, dass diese Generation zu einem Teil zu den Grünen in deren Gründungsphase gegangen ist. Die fehlen uns jetzt.

Unmittelbar nach der Bundestagswahl war der am häfigsten gehörte Satz: Wir haben verstanden. Auch Michael Siebel hat das unmittelbar nach der Kommunalwahl 2016 und der OB-Wahl 2017 gesagt. Was konkret hat die SPD denn verstanden, und vor allem, was wird sie umsetzen?

Auf der kommunalen Ebene ist ein ganz wichtiger Punkt, dass wir stärker mit den Leuten ins Gespräch kommen müssen. Des- wegen finde ich es ganz super, dass sich bei uns in der Partei Leute gefunden haben, die an den Samstagen nach der Bundestagswahl gleich wieder einen Stand aufgemacht haben, um mit den Leuten zu sprechen und zu hören, was sie umtreibt. Auf kommunaler Ebene müssen wir noch stärker ein Profil gegen die Stadtregierung oder Alternativen zu dem, was die Stadtregierung macht, entwickeln, damit eine Polarisierung deutlich wird. Man kann ein öffentliches Interesse nur herstellen, wenn es auch Konfliktthemen gibt. Als Partei müssen wir in Darmstadt noch besser wahrnehmbar wer- den, auch deshalb ist es gut, dass wir nach der Wahl mit unserem Stand aktiv geblieben sind. 

Sie haben noch drei Jahre Zeit bis zum nächsten Kommunalwahlkampf, nach Weihnachten beginnen die Weichenstellungen für die Landtagswahl. Wohin fährt der Darmstädter SPD-Zug?

Ich würde mir schon sehr wünschen, dass wir das Landtagsmandat von Michael Siebel im Wahlkreis 49 verteidigen können, und dass es uns auch gelingt, im Wahlkreis 50 einen Kandidaten durchzubringen.

Und wie lange mit Ihnen auf der Lok? Wie interpretieren Sie Ihre Rolle als Parteivorsitzende?

Da müssen wir mal schauen. Ich hatte ja angekündigt, dass ich im nächsten Sommer den Parteivorsitz abgeben will. Dann sollten wir so aufgestellt sein, dass das auch funktioniert.

Warum ist die SPD 2021 für die Darmstädter wieder eine wählbare und zählbare Alternative und ein möglicher starker Koalitionspartner für die übermächtig erscheinenden Grünen?

Wir haben bis dahin gezeigt, dass wir gute Alternativen bieten zu einer inzwischen immer schlechter werdenden Kommunalpolitik. Was Großprojekte oder Entwicklungsperspektiven anbelangt, ist das ja mehr als deutlich. Nur als Beispiel das Thema Digitale Stadt: Darmstadt hat vor vier Monaten dieses Label gewonnen und seitdem ist nichts geschehen, außer dass eine GmbH gegründet wurde. Wir haben bis 2021 deutlich gemacht, dass wir es besser können und dass wir junge engagierte Leute haben, die das auch gerne tun wollen.

Was verbindet Sie persönlich mit Darmstadt? Sie haben sich in der Orangerie fotografieren lassen, haben Sie zu diesem Ort eine besondere Beziehung?

Anlässlich einer Asyldiskussion in Seeheim-Jugenheim vor ca. zehn Jahren hat mich der Moderator gefragt, wie ich mich denn in Südhessen integriert habe, weil ich ja ursprünglich aus Nordhessen komme. Ich habe geantwortet, dass ich mich sehr gut integriert habe. Allerdings waren die Voraussetzungen auch gut. Ich wollte mich gerne integrieren, und die Menschen in Darmstadt haben mich alle sehr freundlich aufgenommen. Ich habe hier inzwischen Freunde gefunden, nicht nur politische und interessengeleitete Freunde, sondern auch darüber hinaus, und das ist sehr schön. Ansonsten ist Darmstadt eine Stadt, die einem das Leben leicht macht: überschaubar, kurze Wege, gut gelegen, mitten in der Natur, alles prima.

Und die Orangerie?

Ich wohne ganz in der Nähe und deswegen bin ich ab und an morgens zum Laufen dort.

Zum Schluss noch mal zurück zum Bund. Falls Jamaika scheitert, stünde die SPD nach Weihnachten doch für eine schwarz-rote Koalition zur Verfügung, oder wären Sie für Neuwahlen?

Das ist jetzt gerade nicht mein Thema. Die vier Parteien sollen sich jetzt mal anstrengen und ein gutes Ergebnis zustande bringen.

Wenn dann eine neue Regierung im Amt ist, gönnen Sie sich erstmal Urlaub, bevor es in Darmstadt mit vollem Einsatz weitergeht?

Ja, ich fliege auf alle Fälle über Weihnachten und Silvester wieder nach Teneriffa.

Und hoffentlich mit Entlassungsurkunde ...

... ja, das wäre natürlich gut (lacht), dann bleibe ich ein bisschen länger.

Dann alles Gute für die nächste Zeit und danke für das Gespräch.

Vita: 

*16. November 1953 in Kassel, studierte Rechtswissenschaft in Gießen und legte 1978 die erste juristische Staatsprüfung ab, das zweite Staatsexamen folgte 1980. Von 1980 bis 1984 war sie wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Gießen und arbeitete danach bis 1988 als Referentin in der Hessischen Staatskanzlei unter Ministerpräsident Holger Börner. 1988 wurde sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin im Ersten Senat an das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe abgeordnet. 1991 wechselte Zypries in die niedersächsische Staatskanzlei als Referatsleiterin für Verfassungsrecht. Von 1997 bis 1998 war sie Staatssekretärin im Ministerium für Frauen, Arbeit und Soziales des Landes Niedersachsen. 1998 wurde sie Staatssekretärin im Bundesministerium des Innern unter Otto Schily, von 2002 bis 2009 war sie Bundesministerin der Justiz in den Kabinetten Schröder II und Merkel I. Von 2013 bis 2017 war sie Parlamentarische Staatssekretärin mit Zuständigkeit für die Bereiche IT sowie Luft- und Raumfahrt unter Sigmar Gabriel, dessen Amt sie als Bundesministerin für Wirtschaft und Energie im Januar 2017 übernahm.

1991 trat Brigitte Zypries in die SPD ein. Seit 2005 ist sie Mitglied des Deutschen Bundestages, sie wurde im Wahlkreis 186 Darmstadt mit 44,8 Prozent direkt gewählt. 2009 und 2013 konnte sie ihr Direktmandat verteidigen, zur Wahl 2017 trat sie nicht mehr an. Seit Juni 2012 ist sie Vorsitzende des SPD-Unterbezirks Darmstadt.

Brigitte Zypries ist ledig und hat keine Kinder.

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