„Ich habe einen gewissen Zug nach vorne.”

Der neue „Inter Pares” hat Ambitionen auf den „Primus”

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FRIZZmag: Zunächst mal: Glückwunsch zum Amt. Empfindest du es als Glück und war es schon immer dein Wunsch, Dezernent zu sein?

Schon immer auf jeden Fall nicht, das hat sich in den letzten Monaten eher so ergeben. Andererseits, so eine Gelegenheit gibt es wahrscheinlich nur einmal im Leben und ich wollte deswegen zugreifen. 

Wir haben uns ja schon mal bei einem Interview im Mai 2018 kennengelernt, da warst du noch ganz normaler Nachwuchsstadtverordneter. Darf ich eigentlich jetzt auch noch „du” sagen?

Klar.

„Darmstadts next Top-Politiker” hieß die kleine Serie damals, zu „next” hats nicht ganz gereicht, den Titel hat Philip Krämer ergattert, der ja jetzt MdB ist. Aber „Darmstadts übernächst Top-Politiker" bist du schon. Stolz darauf?

Stolz, ja, durchaus. Das kann man, denke ich, auch sein. Aber schon auch ein bisschen nervös, eine gewisse Demut vor der Aufgabe und auch ein gewisser Druck, weil man ja jetzt auch was liefern muss.

Die CDU hat ja jetzt wieder zwei hauptamtliche Dezernenten. Du bist auch CDU-Vorsitzender, deshalb ist die Frage hoffentlich erlaubt: Warum ist Rafael Reißer das nicht wieder geworden oder besser gleich geblieben? Der wird ja schließlich noch bis Juni 2023 voll bezahlt?

Ja, gut, das war ein Ergebnis der Koalitionsverhandlungen damals, wo vereinbart wurde, dass Bündnis 90/Die Grünen die Bürgermeisterposition stellen würde.

Vor gut einem Jahr hatte der Magistrat neben dem OB zwei weibliche grüne Dezernentinnen und zwei Jungs von der CDU. Jetzt sind’s mit dem OB fünf Jungs und eine Frau Bürgermeisterin, also weit weg von der Parität. Wär’s nicht irgendwie besser, du wärst ne Paula Wandrey? Oder ihr hättet ne Andrea Schellenberg?

Ja, das wäre in der Außenwirkung besser, mit Sicherheit. Aber wir haben uns auf die Inhaltsebene konzentriert. Wir sind halt, wie wir sind und wer wir sind.

Vielleicht kann man in dem Fall ja von qualitativer Parität sprechen. Die Bürgermeisterin ist so schlau wie alle vier Männer zusammen, oder?

Ja, vielleicht. Und der Oberbürgermeister ist direkt gewählt, und damit außer Konkurrenz.

Die Schlauheit des OB ist unantastbar. Willst du deshalb selbst Oberbürgermeister werden?

Du willst jetzt wissen, warum ich das mache? Das ist ‘ne gute Frage. Also, einmal aus der lokalen Verwurzelung heraus. Natürlich hab’ ich einen gewissen Zug nach vorne. Und ich  glaube und hoffe, dass ich mit meiner unaufgeregten und konsensorientierten pragmatischen Art einen Beitrag dazu leisten kann, dass Darmstadt auch weiterhin in einem guten Fahrwasser ist. 

Könntest du mit einem OB Michael Kolmer gut leben?

Ich kann mit ihm gut zusammenarbeiten. Und er mit mir, denke ich, auch.

Und was macht ihr mit eurer grün-schwarz-lilanen Koalition, wenn Kerstin Lau Oberbürgermeisterin wird?

Dann werden wir uns mit dieser Situation arrangieren und versuchen, das Beste daraus zu machen.

Und wenn’s Hanno Benz wird?

Auch mit Hanno Benz, oder wenn es irgendjemand werden sollte, der nicht aus der Koalition kommt – wir versuchen das natürlich zu vermeiden – würden wir eine Ebene der Zusammenarbeit suchen und hoffen, dass es nicht so läuft, wie in anderen Großstädten, z. B. in Frankfurt.

Ihr stützt euch auf eine Stimme Mehrheit, da ist eiserne Unions-Disziplin gefragt. Kleines Wortspiel, aber du blickst ja bei Fußball ganz gut durch.

Ja, ich war zumindest früher ein regelmäßiger Stadiongänger.

Darf jetzt aus eurer Fraktion keiner mehr Karriere machen, weil dann Stefan Zitzmann nachrückt?

In der Fraktion wird alles miteinander besprochen. Bis jetzt haben wir es immer geschafft, die Interessen unter einen Hut zu bekommen, da mache ich mir keine Gedanken. Stefan ist unser nächster Nachrücker und darf auch jetzt schon an unseren Fraktionssitzungen teilnehmen.

Kommen wir mal zu deiner neuen Rolle. „Nem Ingeniör is nix zu schwör” heißt es im Volksmund. Was wird das Schwerste sein in deinem neuen Amt?

Da gibt es viele Sachen. Was natürlich jetzt durch die Medien geht, ist das Thema Bürgerservice, Ausländeramt. Da ist in letzter Zeit schon einiges passiert, z. B. an  Stellenbesetzungen. Ich bin morgens um 7 Uhr mal spontan hingegangen und habe mir angeguckt, wie das abläuft. Vieles ist organisatorisch besser, als die letzte Berichterstattung vermuten lässt, aber da wird noch einiges zu machen sein. Die Präsenz der Stadtpolizei wird sicher ein großes Thema, die Aufgaben werden immer größer. Erst sind die E-Roller dazugekommen, jetzt die Zulieferdienste, Gorillas, Flink, wie sie alle heißen, die durch die Stadt heizen. Wir müssen einen Standort für die Feuerwehr finden; die Entwurfsplanung für die neue Südwache ist zwar schon viel weiter, als ich erwartet habe, aber es wird natürlich trotzdem noch ein paar Jahre dauern.

Das sind ja alles Bereiche, die dein Vorgänger schon beackert hat. Wirst du Rafael Reißer ab und zu mal um Rat fragen? Oder hast du schon?

Ja, wir tauschen uns regelmäßig aus. Wir haben einen guten Draht. Rafael ist ein wichtiger Impulsgeber, weil er unglaublich viele Leute kennt und ihm auch viele Prozesse noch geläufig sind.

Ein Dezernent braucht auch gute Mitarbeiter. Dein lila Kollege Holger Klötzner hat schlauerweise das komplette Büroteam vom schwarzen Rafael übernommen. Wie ist es dir gelungen, ein eigenes Topteam zusammenzubasteln?

Ich habe verschiedene Leute aus der Verwaltung und im Magistrat um Empfehlungen gebeten und habe da auch sehr gute bekommen. Ich versuche, weil ich ja selber nicht aus der Verwaltung komme, mich gezielt mit Leuten aus der Verwaltung zu umgeben. Auch mein persönlicher Referent ist eine Empfehlung aus der Verwaltung heraus, er ist parteipolitisch nicht verhaftet und kommt vom Regierungspräsidium Darmstadt. 

Ganz kurz vor Weihnachten bist du 100 Tage im Amt. Was wünschst du dir vom Christkind für die restlichen 2.000 Tage?

Wenn die Bürger am Ende sagen, er hat seine Sache ganz gut gemacht, und auch die anderen Parteien das zähneknirschend zugeben müssen, dann wäre ich schon sehr zufrieden. Konkret wünsche ich mir, dass wir zeitnah einen Standort für die Südwache der Feuerwehr finden und dass die Darmstädter Bürger und die in Darmstadt lebenden ausländischen Mitbürger sagen: Das mit unserem Bürgerservice funktioniert, da kriegen wir in einer akzeptablen Zeit Termine und werden kompetent bearbeitet.

Letztes Mal hast du dich auf der Ludwigshöhe fotografieren lassen, diesmal an der Orangerie. Was bedeutet dir dieser Ort?

Beides sind Orte meiner Kindheit. Auf die Ludwigshöhe bin ich oft mit dem Fahrrad hochgefahren, mit Freunden, an der Orangerie habe ich abends gesessen, Pizza gegessen und Bier getrunken. Ich hab’ dort in der Nähe gewohnt, wir haben da auch nach der Schule oft gechillt. Ich geh’ da auch heute noch gerne mit meiner Frau spazieren und mit den Kindern. Mein Bruder ist da mal in den Brunnen gefallen als kleines Kind, für mich war das ganz witzig damals, für ihn nicht so. Also ne Menge Erinnerungen.


Danke für das Interview und alles Gute!

vita_paul wandrey


*6.7.1990 im Marienhospital, Abitur an der Viktoriaschule Darmstadt, Studium Bauingenieurwesen an der TU Darmstadt, seit 2016 tätig als Bauleiter, verheiratet, zwei Töchter (*2018 und *2019). In der CDU seit 2009, Vorsitzender der CDU Darmstadt seit 2016, vorher sechs Jahre Kreisvorsitzender der Jungen Union.

Stadtverordneter von März 2016 bis August 2022, seit 12. September 2022 hauptamtlicher Dezernent in Darmstadt.
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