„An den zweiten Wahlgang denk ich gar nicht.“

Die FRIZZ-Interview-Serie zur Oberbürgermeisterwahl 2017 in Darmstadt

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© Klaus Mai

Am 19. März 2017 wählen die Darmstädterinnen und Darmstädter ihren Oberbürgermeister. FRIZZmag stellt die Kandidaten im Interview vor, diesmal Kerstin Lau von UFFBASSE. Die Fragen stellte Thea Nivea.

FRIZZ: Hallo Kerstin, wir sagen ja beim Interview auch Du, oder? Wie sonst in der Krone, oder?

Kerstin Lau: Ja, klar.

Du interessierst Dich ja ziemlich für Fußball. Jetzt kommt ne gendermäßig sehr mäßige Frage: Warum? (Jungs würde man das ja eher nicht fragen.) Nur für die Lilien? Hast Du selbst mal aktiv gekickt?

Also, ich hab nie aktiv gekickt, ich fand Fußball auch immer furchtbar blöd - früher. Aber, wie das so ist im Leben, man kriegt immer das, was man verdient. Deshalb hab ich zwei fußballspielende Söhne bekommen, die haben sehr früh damit angefangen. Das hat dann damit geendet, dass ich jeweils Samstag und Sonntag am Platz gestanden hab, und irgendwann hab ich es geliebt und wurde dann natürlich auch Lilienfan.

Ihr seid ja als Fanbündnis immer noch ziemlich stur fürs Bölle. Warum? Und jetzt immer noch? Wenn Ihr damals schon „vernünftig“ gewesen wärt, hätte das nicht zwei Jahre Zeit sparen können?

Also, erstens: Das Fanbündnis hat nichts verhindert. Zweitens halten wir nicht stur am Bölle fest. Drittens: Hast Du irgendeinen ernstzunehmenden Grund gegen das Bölle gehört? Viertens: Kennst Du eine Alternative?

Na ja, da gabs doch ernstzunehmende Einsprüche, oder?

Das einzig Ernstzunehmende, was ich gehört habe, ist die Parkplatzsituation, und das seh ich ganz klar so: Wenn die TU die Lichtwiesenbahn haben will, dann soll sie Parkplätze rausrücken.

UFFBASSE ist ja jetzt ziemlich staatstragend, oder sagen wir besser: stadttragend. Könnt Ihr trotzdem noch auf die Regierung uffbasse, oder muss jetzt was Neues gegründet werden, z.B. UUU = Uff UFFBASSE uffbasse?

Also, (lacht), falls ich im ersten Wahlgang gewinne, bin ich dafür, dass UUU gegründet wird. Aber ansonsten, wir sind weder staats- noch stadttragend, und wir passen immer noch sehr gut auf.

Und wenn Du im zweiten Wahlgang gewählt wirst, wärst Du nicht dafür, UUU zu gründen?

An den zweiten Wahlgang denk ich gar nicht (lacht).

Klar, es kann ja eigentlich sowieso nur der Partsch gewinnen, sagen so die Leute. Aber Du als einzige Frau könntest in die Stichwahl kommen. Wie schätzt Du Deine Chancen ein, jetzt mal realistisch?

Ich mach mir gar nicht so viel Gedanken um meine Chancen, mir geht es darum, dass zur Demokratie Wahlmöglichkeiten gehören. Ich bin die einzige Frau, ich bin hier regional verankert, ich hab kommunalpolitische Erfahrung und ich komme beruflich aus der freien Wirtschaft. Ich bin also durchaus eine Alternative zu den etablierten Kandidaten, die hier antreten.

Dann erklär mal bitte vier wählergruppenrepräsentanten Menschen, warum sie Dich wählen sollen, am besten jeweils in einem Satz: mir, meiner Mutter, einer leidenschaftlichen Grünen, meinem Vater, ein frustrierter Sozi, und meiner Oma, die glaubt nicht mehr an Politik.

Ich will diese Stadt weiterhin so schön erhalten, wie sie ist. Wir haben einiges an Herausforderungen vor uns stehen, ich finde, Darmstadt ist eine sehr liebenswerte Stadt und hat ein hohes Maß an Ehrlichkeit verdient. Ich glaube, es ist wichtig, dass mal jemand an der Spitze steht, der erstens die Verwaltung bürgerfreundlich reformiert und zweitens den Leuten klar sagt, was noch geht und was nicht geht. Denn die vielen Pläne, die wir hier machen, die sind finanziell nicht umsetzbar, und ich glaube, Thea, dass Du auch nicht möchtest, dass wir uns immer weiter verschulden.

Mmh, ja, ich hab mal gelesen, 2020 hätte Darmstadt eine Milliarde Schulden.

Nein, wir haben Ende nächstes Jahr schon fast ein Milliarde Schulden. Und wir haben erneute Auflagen vom RP bekommen, die beinhalten, dass wir ab 2018 die Kassenkredite, die derzeit noch bei 300 Millionen Euro liegen, jährlich um 15 Millionen reduzieren müssen. Das heißt, wir müssen entweder noch mehr Einnahmen generieren oder eben einsparen. Das heißt aber auch, dass wir nicht so viele Pläne machen müssen, wie wir sie im Augenblick machen, das ist ziemlich aktionistisch, weil wir das Geld dafür nicht haben werden.

Also, keine weiteren Schulden!?

Es geht nicht nur um Schulden, es geht mir darum, die Infrastruktur zu erhalten und die Gelder so einzusetzen, dass sie beim Bürger ankommen. Ich weiß nicht, Thea, ob Du eine Landesgartenschau brauchst oder ein Weltkulturerbe. Vielleicht ist es doch wichtiger, dass das Berufsschulzentrum neu gebaut wird oder dass die Schulen endlich saniert werden oder – Du willst ja bestimmt mal Kinder haben - dass es weiterhin Kindergartenplätze gibt oder dass die Straßen in Ordnung sind.

Und für meine Mutter jetzt?

Für die ist das auch wichtig, die fährt bestimmt Auto, oder?

Nee, die fährt Fahrrad.

Dann will sie bestimmt neue Fahrradwege haben, die sind ja in einem so katastrophalen Zustand.

Und mein Vater, der frustrierte Sozi, warum soll der Dich wählen?

Vielleicht einfach, weil die Sozialdemokraten in Darmstadt leider keine Alternative mehr für irgendjemand sind?

Und meine Oma? Die glaubt an nix mehr, die sagt, wenn Wahlen wirklich was ändern würden, wären sie abgeschafft.

Deine Oma wird sich freuen, ich würde einfach für ein sehr gutes Klima hier in der Stadt sorgen, also zwischenmenschlich.

Und ich dachte gerade schon, dass es im Sommer nicht mehr so heiß ist …

Ja, (lacht) das würde sie bestimmt auch freuen. Nein, ich glaube, man muss einfach auch in den Stadtteilen eine gute Infrastruktur aufbauen, dass sich die Leute gegenseitig unterstützen, einfach wieder bürgernahe Lösungen finden, z.B. dass, statt einer Landesgartenschau, die Bürger selbst Blumen anpflanzen können.

Wenn Du Oberbürgermeisterin bist, was machst Du am ersten Tag? Also, der Walter Hoffmann hat seinen Schreibtisch auf den Lui gestellt z.B. …

Ich würde, nach dem ich gefeiert habe, ein großes Treffen mit der Verwaltung machen und würde eine sehr emotionale Rede darüber halten, wo der Weg hingeht und was wir in Angriff nehmen müssen, um erst mal alle mit ins Boot zu holen.

Du bist in Dieburg geboren und dann nach Darmstadt gekommen. Wie ging das?

Ich habe immer in Darmstadt gewohnt. Meine Oma hat in Dieburg gewohnt, und meine Mutter war bei meiner Geburt bei ihr. Aber ich bin eigentlich Darmstädterin, ich bin nach drei Tagen schon wieder in Darmstadt gewesen.

Also, der Geburtsort Dieburg ist eher ein Versehen.

Es hat mir sozusagen den Lebenslauf versaut (lacht).

An welcher Schule hast Du Abi gemacht?

An der Bertolt-Brecht.

Da, wo alle hingehen, die an ihrer Schule …

… gescheitert sind, ja …

… aber auch die Aufrechten. Warst Du die Erste in der Familie, die Abi gemacht hat, und hat Dein kleiner Bruder nach Dir auch Abi gemacht?

Mein kleiner Bruder hat auch Abitur, und ich war die erste. Wobei es eigentlich klar war in meiner Familie, dass ich Abi machen soll, das musste ich mir nicht erkämpfen. Ich war vorher übrigens auf der Edith-Stein Schule, und da bin ich aus persönlichen Gründen gegangen.

Wie macht man Politik, wenn man einen richtigen Beruf hat, zwei Söhne und alleinerziehend ist?

Indem man gut organisiert ist. Meine Söhne sind auch nicht mehr so klein, sie helfen schon mit, sie stehen hinter mir, auch hinter der OB-Wahl, ich hab sie gefragt, und wenn sie es nicht gut gefunden hätten, hätte ich es nicht gemacht. Ich muss halt viel vorausplanen, aber es geht. Die meisten Menschen haben ja ein Hobby und kriegen das hin, und mein Hobby ist eben die Politik.

Damals in der Stadtverordnetenversammlung, als Du neu kamst, 2004, hat mir mein Vater erzählt, hat man Dich ziemlich schnell respektiert, und die Presse hat immer was geschrieben von sachlich und fair und so. Bist Du Dir da nicht ein bisschen ikonisiert vorgekommen? So wie Schneewittchen bei den sieben Zwergen oder die Schneekönigin zwischen den tätowierten Trollen von UFFBASSE?

Ich glaube, es ging nicht nur um UFFBASSE, sondern insgesamt um meinen Stil, wie ich kommuniziere. Ich bin Sozialpädagogin und Mediatorin, vielleicht hat man da eine andere Art. Ich glaube, ich habe in all den Jahren niemanden persönlich angegriffen, ich bin nie laut geworden, ich versuche sachlich zu bleiben und alle Seiten zu sehen, und dann, klar, auch eine Entscheidung zu treffen, mich zu positionieren.

© Klaus Mai

Bist Du eigentlich auch tätowiert?

Ja, klar.

Und klebst Du das dann ab, wen Du OB’in bist?

Nee, (lacht) wieso?

Na ja, ich hab halt gedacht.

Ich hätte gar nicht gedacht, dass Du das so eng siehst, Thea.

Wieso, Ich finde Tattoos cool.

Wenn ich Oberbürgermeisterin werde, dann werde ich mir noch die Amtskette tätowieren lassen.

So ein bisschen die Ikone der Unabhängigkeit bist Du aber schon noch? Oder für bessere Umgangsformen?

Es wird doch auch Zeit für einen neuen Stil, oder? Ich finde, wir haben in der Politik ganz, ganz schlechte Umgangsformen, die man in keiner Firma so leben könnte. Dieses gegenseitige Dissen, den anderen nicht ausreden lassen, den anderen persönlich angreifen, das stört mich.

Du hast ja neben den Umgangsformidealen oder eigentlich Normalvorstellungen auch ein paar politische Ideale: Bedingungsloses Grundeinkommen, Ehrenamtsverpflichtung, hab ich mal gelesen. Stimmt das und gibts noch welche? Und kommt da der Opa ein bisschen durch?

Bedingungsloses Grundeinkommen finde ich toll. Und Ehrenamtsverpflichtung habe ich so nie gesagt, ich finde es einfach wichtig für jeden Einzelnen und die Gesellschaft, dass man ein Ehrenamt ausübt, egal ob im Sportverein oder ob man sich um die Nachbarin kümmert oder sonst irgendetwas. Ich glaube, das brauchen Menschen, wir sind eben soziale Wesen. Ja, und bei meinen Grundwerten hat mich mein Opa extrem geprägt, ich hab ihn sehr bewundert.

© Klaus Mai

„Die vorrangige Funktion einer Regierung ist es, die Minderheit der Reichen vor der Mehrheit der Armen zu schützen.“ Hast Du ne Ahnung, wer das gesagt haben könnte?

Keine Ahnung. (überlegt) Irgendwas Konservatives? Irgendein FDP-Politiker?

Das hat der 4. US-Präsident James Madison (1809-17) gesagt. Und damals vielleicht ja auch genau so gemeint.

Ja, es ist immer die Frage, was artikuliert wird und was gelebt wird. Heute artikuliert man das nicht mehr so, weil es politisch nicht korrekt ist, aber gelebt wird es nicht wirklich anders.

Du hast ja mal gesagt zur KOOP von UFFBASSE mit Grün-Schwarz, dass es in Sachen Harmonie darauf ankomme, „wie gut Grün-Schwarz damit klarkommt, dass UFFBASSE den nächsten OB stellt.“ Glaubst Du, die würden mit Dir als OB’in klar kommen? Und was macht dann Jochen Partsch?

Der arbeitet dann Daniela Wagner zu, als persönlicher Referent (lacht). Ja, aber ich glaube schon, dass wir gut miteinander auskommen würden.

Aber um Jochen Partsch würdest Du Dich nicht unbedingt so kümmern müssen?

Hat sich damals jemand um Walter Hoffmann gekümmert, als er gehen musste?

Keine Ahnung. Okay. Du hast Dich im Stadion fotografieren lassen, was verbindet Dich damit?

Das Stadion ist der Ort, wo ich meine Freunde treffe, der Ort, egal ob bei Heimspielen oder auswärts, wo ich mich entspanne, das ist das einzige, was nur für mich persönlich ist, wo ich meinem Hobby nachgehe, wo ich es mir gut gehen lasse.

Also noch ein zweites Hobby?

Genau. In der Politik geht es ja nicht darum, ob es mir damit gut geht, das ist ein Hobby, das ich als soziales Engagement begreife, weil ich es wichtig finde, dass im Parlament ein breiter Querschnitt der Bevölkerung repräsentiert ist. Als ich 2004 angefangen habe in der Politik, hatten wir das Thema Kinderbetreuung noch sehr stark, das heißt, es gab keine Betreuungsplätze nach 13 Uhr, das kann man sich heute kaum noch vorstellen, obwohl es noch nicht so lange her ist. Dann waren es einfach betroffene Frauen wie ich und Elterninitiativen, die das in die Parlamente getragen haben, man sieht ja immer eher auch seine eigenen Themen. Wenn man Schulkinder hat, sieht man, was in den Schulen los ist, mit Kindergartenkindern, wenn man Handicaps hat - immer hat man einen etwas anderen Blick auf das, was in der Kommune vor sich geht. Man braucht jeden einzelnen Blick, um einen Gesamtblick zu erhalten. Insofern ist die Politik mein soziales Hobby, Fußball mein persönliches. Da hab ich keine Nebengedanken, das macht mir einfach nur Spaß.

Was war das Blödeste, was Du jemals politisch gemacht hast?

Hab ich auch schon überlegt, mir ist nichts eingefallen.

Und privat?

Ja, da würde mir schon ein bisschen was einfallen, (lacht) aber das soll dann lieber auch privat bleiben. Aber Ich mache schon relativ wenige Dummheiten.

Und das Beste, politisch und privat?

Meine beste private Entscheidung waren meine Kinder. Meine beste politische Entscheidung die gemeinsame OB-Kandidatur mit Jörg (Dillmann) 2011, also auf jeden Fall war das die witzigste.

Okay, das Jobsharing-Modell damals, was ja dann nicht geklappt hat. Und das war strategisch auch unfassbar geschickt, das hat mir mein Vater damals alles genau erklärt, aber das gehört jetzt nicht hier her

. Ja. Und die Idee an sich fanden wir gut, obwohl wir ja schon ahnten, dass das nicht genehmigt wird.

Sollen Deine Söhne mal Fußballstars werden?

Nein, (lacht) die sollen glücklich werden.

Also, wenn sie als Fußballstars glücklich werden, wärs erlaubt?

Ja, natürlich.

Noch schnell fast zum Schluss ne persönliche Frage: Wenn Du OB’in wirst, hab ich dann Chancen, Deine Pressesprecherin zu werden? Ich meine, ich kenn mich ja jetzt ganz gut aus in der Politiker-Szene.

Auf jeden Fall, ich brauche ja auch junge Leute um mich herum.

Und jetzt bitte noch zum Schluss, wie bei allen Interviews, den Satz beenden. Im Gegensatz zu 2016 wird 2017 …

… hoffentlich ein friedlicheres Jahr für alle Menschen.

Bingo. Fertig. Danke.


VITA KERSTIN LAU

*25. August 1971 in Dieburg, wuchs in Darmstadt auf, wo sie 1992 das Abitur absolvierte. Der Vater arbeitete bei der Stadt Darmstadt, die Mutter in einem Versicherungsbüro.

Politisch geprägt wurde sie von ihrem Großvater, dem DGB-Kreisvorsitzenden Alois Peressin. Früh von zu Hause ausgezogen, studierte sie zunächst Politik und Germanistik, dann Sozialpädagogik, was sie 1998 erfolgreich abschloss. Es folgte eine Beschäftigung im Bereich der Jugendmedienarbeit beim Landkreis Darmstadt-Dieburg. 2002 wechselte sie zur Telekom in den Bereich Human Resources, wo sie zurzeit als Accountmanagerin für die DT Technik und stellvertretende Teamleiterin HR tätig ist. Sie hat eine Zusatzausbildung als Mediatorin und Coach, ist Uffbasse-Gründungsmitglied und Mitbegründerin des Fanbündnisses „Tradition hat Zukunft“ des SVD 98.

Kerstin Lau lebt zusammen mit ihren beiden Söhnen, 13 und 16 Jahre alt.

Weitere Infos:

www.kerstin-lau.de

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