„Vor 9 Uhr fang ich ungern an. Abends wirds dann oft ziemlich spät.“

FRIZZmag im Interview mit Brigitte Lindscheid

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© Klaus Mai

FRIZZmag: Frau Regierungspräsidentin, der Bundespräsident ist der Präsident der Bundesrepublik, der Bundestagspräsident der Präsident des Bundestags und der Heinerfestpräsident der Präsident des Heinerfests. Von welcher Regierung sind Sie die Präsidentin?

Brigitte Lindscheid: Erstmal ist das ja eine interessante Reihung! (lacht) Nein, ich bin nicht die Präsidentin einer Regierung. Regierungspräsidium ist die Bezeichnung für eine Behörde und davon gibt es in Hessen drei. Andere Bundesländer haben für ihre Mittelbehörde ganz andere Bezeichnungen.

Was macht eine Regierungspräsidentin genau? Nine to five, also morgens ins Büro und abends wieder heim?

Also, neun Uhr stimmt in der Regel. Aber abends wirds dann oft ziemlich spät. Gestern Abend 22 Uhr, vorgestern 23 Uhr, das ist immer abhängig von den Terminen, die ich habe. Und da das Regierungspräsidium Darmstadt den gesamten südhessischen Bereich abdeckt, bin ich auch sehr viel unterwegs. Ich habe jede Menge Außentermine, viele Veranstaltungen, die ich besuche, auch viele Kolleginnen und Kollegen, Bürgermeister, Landräte, und natürlich habe ich auch Termine in Wiesbaden (Sitz der Landesregierung, Anm. der Redaktion).

Und als Darmstädter Grüne fahren Sie logo mit der Straßenbahn, also mindestens ins Büro, oder?

Wenn es möglich ist, selbstverständlich gerne mit dem Fahrrad oder mit öffentlichen Verkehrsmitteln. Aber es gibt natürlich auch Termine und Terminhäufungen, die so nicht zu schaffen sind.

Haben Sie eigentlich auch dieses Freifahrtticket des Landes?

Ja, das habe ich. Und ich bin sehr froh, dass das so gekommen ist, weil es ein wichtiges umweltpolitisches Signal ist. Ich habe als Stadträtin für das Jobticket gekämpft und ich habe auch für das Landesticket gekämpft.

Als Sie noch Baudezernentin waren, konnte man über Sie fast täglich, na ja, wöchentlich, was in der Zeitung lesen, jetzt nicht mehr. Ist Regierungspräsidentin ein politisches Amt oder reine Verwaltungsleitung?

Ich hoffe mal, dass, wenn Sie das so sagen, nicht meine Pressestelle protestiert. Ich finde, wir sind als Regierungspräsidium öffentlich und in den Medien schon sehr präsent.

Ja klar, ich meinte natürlich hier den Lokalteil der Tageszeitung, der interessiert die Darmstädter ja immer noch am allermeisten.

Klar, wir sind natürlich weit über den lokalen Bereich hinaus tä- tig. Auch wirken sich unsere Entscheidungen oft mehr im Hintergrund aus. Und wir sind keine politische Behörde. Das Regierungspräsidium ist eine ganz normale Verwaltungsbehörde, die nach Recht und Gesetz agiert. Nur das Amt des Regierungspräsidenten oder der Regierungspräsidentin ist politisch besetzt.

Und Ihr unmittelbarer Vorgesetzter? Gibt es überhaupt einen?

Ja, den gibt es, das ist der hessische Innenminister, Peter Beuth

Das RP ist, wie Sie ja gerade gesagt haben, eine Mittelbehörde. Heißt das so, weil Sie für Darmstadt die Haushaltsmittel genehmigen, also auch sagen, wie viele Schulden Darmstadt 2018 machen darf?

Nein (lacht). Mittelbehörde, das hat gar nichts mit der Verteilung von Mitteln zu tun, sondern es benennt die Struktur. Mittelbehörde insoweit, als wir zwischen den einzelnen Landkreisen und Kommunen und der hessischen Landesregierung agieren und vermitteln. Und wir sind auch eine Bündelungsbehörde, weil wir unter einem Dach vielfältige Aufgaben bündeln. Nach letzter Zählung sind das immerhin über 5000.

Noch mal zu den Mitteln im Sinne von Geld: Ist es ein Vorteil für den Darmstädter Kämmerer, dass er Sie persönlich kennt, also schon, als Sie noch beide ganz normale Stadtverordnete waren?

Es ist immer gut, wenn man sich kennt. Aber auf der anderen Seite ist das völlig unerheblich, weil für den Kämmerer hier in Darmstadt genau das gleiche Recht gilt wie für den Kämmerer in Offenbach oder den Kämmerer in Oestrich-Winkel. Alle unterliegen den gleichen Regularien, da hat keiner irgendwelche persönlichen Vorteile.

Ich hab mal gezählt und gerechnet: Sie waren knapp 1.000 Tage Baudezernentin in Darmstadt und sind jetzt schon weit mehr als 1.000 Tage Regierungspräsidentin. Gibt es Tage, wo Sie lieber wieder Baudezernentin wären?

Nein, ich fühle mich sehr wohl an der Stelle, an der ich bin. Und das kann ich für alle meine Jobs, die ich bisher gemacht habe, sagen. Ich war immer mit Herzblut dabei, es hat mich interessiert, hat mir Spaß und Freude bereitet, und das ist durchgängig auch hier so.

Worauf freut man sich, wenn man morgens aufwacht und einem dann einfällt, ach, ich bin ja die Regierungspräsidentin, super, und draußen scheint auch noch die Sonne oder es hat gerade frisch geschneit?

Wenn ich morgens aufwache, beginne ich den Tag regelmäßig mit einer Tasse Tee, darauf freue ich mich als erstes. Und dann freue ich mich darauf, dass es ein spannender Tag wird, denn es gibt keinen Tag, an dem hier Langeweile aufkommt. Und ich freue mich auch auf nette Kolleginnen und Kollegen hier, die mir meine Arbeit erleichtern.

Wie sind Sie eigentlich nach Darmstadt geraten nach dem Abi in Frankfurt und dem Jurastudium auch in Frankfurt?

Ich bin im Referendariat nach Darmstadt gekommen und habe die Stadt in dieser Zeit als sehr lebenswert kennengelernt. So hat es mich letztlich dann hierher verschlagen.

Gibt es einen Lieblingsort in Darmstadt? Weil, zum Fotografieren durften Sie sich ja keinen aussuchen, da war das Kollegiengebäude Pflichtkulisse.

Es gibt ein paar Orte, wo ich sehr gerne bin, z.B. auf der Schlossbastion. Das ist für mich einer der schönsten Orte, mitten in Darmstadt, mitten im Geschehen und trotzdem total ruhig und beschaulich.

Wäre Ihr Amtssitz nicht viel sinnvoller der Amtssitz Ihres Parteifreundes Jochen Partsch, also das Darmstädter Rathaus? Kann man da nicht irgendwie was dran drehen, weil, günstiger wird doch die Personenkonstellation nicht mehr?

Das könnte ich Jochen Partsch nicht empfehlen. Das Gebäude ist zwar sehr schön, es ist ja auch ein historisches Gebäude und wird seit jeher für die Landesverwaltung genutzt. Aber es gibt einen kleinen Instandhaltungsrückstau, hier muss noch sehr viel saniert werden. Und für ein Darmstädter Rathaus bietet es viel zu wenig Platz.

Welches Ihrer als Baudezernentin begonnen Projekte, die Sie gerne fortgeführt hätten, ist denn in ihrem Sinne abgeschlossen worden? Konversionsflächen, Fahrradstraßen, Marienplatz?

Was mich sehr freut ist, dass es gelungen ist, die Konversionsflächen zu bekommen und zu entwickeln, das ist jetzt wirklich auf einem guten Weg. Als ich damit angefangen habe, war die Situation doch sehr verfahren, das waren schwierige Verhandlungen. Es ist schön, dass das geglückt ist und sämtliche Flächen jetzt entwickelt werden. Die Fahrradstraßen finde ich auch gut. Das integrierte Klimaschutzkonzept läuft auch, also, es gibt viele Sachen, die ich gerne mitverfolge.

Und der Marienplatz wird bestimmt noch ein paar mehr Baudezernent*innen überleben. Sie haben ja schon die zweite Nachfolgerin in Ihrem Ex-Amt, hat das was mit dem Amt zu tun oder eher mit den Frauen, die es inne hatten?

Ich kann in diesem Punkt nur für mich eine Antwort geben: Mein Weggang hatte nichts mit dem Amt zu tun, ganz im Gegenteil. Es war ein ambitioniertes Dezernat und es war eine gute Vorbereitung für hier. Denn alles, was ich da schon bearbeitet habe, vom Abfall bis zum Zoo, mit der Straßensanierung, dem Baubereich, das alles spiegelt sich auch h

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ier wieder.

Haben Sie ein klassisches Hobby? Töpfern, Seidenmalerei, ein Musikinstrument spielen, Literatur, Theaterabo?

Das mit den Musikinstrumenten ist nicht so meine Sache. Meine Hobbys sind Fahrrad fahren, wenn das Wetter danach ist, und ansonsten lese ich sehr gerne.

Hatten Sie etwa auch Blockflötenzwangsunterricht?

Genau das (stöhnt), ja, Blockflöte, und dann noch ein bisschen Gitarre. Aber das überlasse ich lieber denen, die daran Spaß und Freude haben und es auch können.

Gehen Sie gerne auf so typische Feste wie Oarhelljer Kerb, Frühjahrsmesse, Heinerfest? Oder ist das auch so ein Jobvorteil, da jetzt nicht mehr hinzumüssen?

Jetzt habe ich den Vorteil, dass ich nicht mehr hin muss, um ein Bierfass anzustechen. Jetzt kann ich da ganz privat hingehen und das tue ich sehr gerne.

Bierfassanstechen ist jetzt auch nicht gerade die nachgefragteste Aufgabe einer Regierungspräsidentin, oder?

Nein (lacht), das ist es ganz und gar nicht.

Was wünschen Sie sich für Darmstadt für den Rest Ihrer Amtszeit, die noch wie lange geht?

Meine Amtszeit ist nicht befristet. Aber sie ist abhängig von der politischen Entwicklung, etwa den kommenden Landtagswahlen. Für Darmstadt wünsche ich mir, dass es auf dem Weg, der jetzt eingeschlagen wurde, stetig weiter geht - eine prosperierende, weltoffene Stadt zu sein.

Und was könnten Sie als Regierungspräsidentin dazu beitragen?

Aus dem Amt heraus nicht viel. Aber als Darmstädter Bürgerin kann ich das engagiert mitbegleiten.

Dann vielen Dank, dass Sie sich die Zeit genommen haben und ich Sie interviewen durfte.

Brigitte Lindscheid Vita:

*21.2.1961 und aufgewachsen in Frankfurt studierte Brigitte Lindscheid dort und legte 1990 das 2. Juristische Staatsexamen ab. Im November 2000 folgte die Zulassung als Rechtsanwältin beim Landgericht Darmstadt. Ab 1991 war Brigitte Lindscheid beim Mieterbund Darmstadt tätig, seit 1995 als stellv. Geschäftsführerin. Im Juni 2011 wechselte sie zur Wissenschaftsstadt Darmstadt, wo sie als hauptamtliche Stadträtin u.a. für die Bereiche Stadtplanung, Bau, Umwelt und Verkehr zuständig war. Brigitte Lindscheid war zehn Jahre Stadtverordnete in Darmstadt sowie fünf Jahre Fraktionsvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen. Seit dem 1. März 2014 ist sie Regierungspräsidentin des Regierungspräsidiums Darmstadt.

Regierungspräsidium Vita:

Das Regierungspräsidium (RP) mit Standorten in Darmstadt, Frankfurt und Wiesbaden ist eine Landesbehörde, die im Regierungsbezirk Darmstadt als Schaltstelle zwischen der Hessischen Landesregierung und den Kommunen zahlreiche Aufsichts-, Kontroll- und Genehmigungsfunktionen erfüllt. Im Fokus stehen die Sicherheit und die Lebensqualität der Menschen in Südhessen und die strukturelle Weiterentwicklung der Region. Im RP arbeiten rund 1.500 Männer und Frauen an der Umsetzung von unterschiedlichsten Aufgaben in den Bereichen Gesundheit, Integration, Ausländerrecht, Regionalplanung, Bauwesen, Verkehr, Arbeits- und Umweltschutz, Landwirtschaft, Forsten, Naturschutz und Verbraucherschutz. Als Fach- und Bündelungsbehörde spielt das RP eine wichtige Rolle bei der Vermittlung zwischen Belangen des Allgemeinwohls und denen von Betroffenen und wirkt auf einen fairen Interessenausgleich hin. Das RP Darmstadt ist die größte Einbürgerungsbehörde Deutschlands. Im vergangenen Jahr hat es beispielsweise mit einer spektakulären Bombenentschärfung in Frankfurt von sich reden gemacht, stand aber auch wegen der Genehmigung von Windkraftanlagen oder dem Schutz von Verbrauchern im Zusammenhang mit den „Fipronil-Eiern“ in der öffentlichen Wahrnehmung. Der Regierungsbezirk Darmstadt umfasst den südlichen Teil Hessens einschließlich der Region Frankfurt/Rhein-Main und ist mit bald vier Millionen Einwohnern eine der bedeutendsten Wirtschaftsregionen in der Europäischen Union. 

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