„Ich bleibe in jedem Fall in Darmstadt.“

Die FRIZZ-Interview-Serie zur Oberbürgermeisterwahl 2017 in Darmstadt

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© Klaus Mai

Am 19. März 2017 wählen die Darmstädterinnen und Darmstädter ihren Oberbürgermeister. FRIZZ stellt die Kandidaten im Interview vor. Wir beginnen mit dem amtierenden OB Jochen Partsch. Die Fragen stellte Thea Nivea.

FRIZZ: Lieber Herr Oberbürgermeister, ich freu mich, dass ich Sie interviewen darf, weil ich hab ja schon ganz oft über Sie in meiner Glosse geschrieben.

Jochen Partsch: Ich freu mich auch und bin gespannt.

Gut, dann fang ich einfach mal an. Was hat eigentlich eine fränkische Gastwirtschaft mit Darmstadt gemeinsam?

Mmh, gute Frage, also ne fränkische Gastwirtschaft hat mit Darmstadt gemeinsam, dass die Leute, die sich da treffen, zusammenhalten, sich durchaus deutlich die Meinung sagen, aber genau wissen, dass es am Ende darauf ankommt, gemeinsam voranzukommen.

War es hilfreich für Ihren politischen Werdegang in Darmstadt, aus einer Metzgerfamilie zu stammen?

(lacht) Da gibt es ja schon unterschiedliche Milieus (schmunzelt). Metzgerfamilien haben in Darmstadt eine riesen Tradition, es gibt natürlich unterschiedliche Einschätzungen, wie diese Tradition zu bewerten ist. Es gibt unstreitig den Oberbürgermeister, der nach dem 2. Weltkrieg die Stadt gemeinsam mit den Leuten aufgebaut und vorangebracht hat. Sein Sohn hat dann in den 80-er und 90-er-Jahren dafür gesorgt, dass die Grünen stark geworden sind. Ich hab mich mit den Metzgers persönlich immer gut verstanden. Also, es war sicher kein Nachteil, aus einer Metzgerfamilie zu kommen (lächelt).

Kommen wir mal zum Fußball, ich weiß, dass Sie selber gerne spielen …

Stimmt!

Sind Sie ein Sandro Wagner-Typ? Oder doch eher Gondorf – also das wäre ja naheliegend, wenn man in der Gundolfstraße wohnt? Oder sogar Gandalf-Fan wie bei „Herr der Ringe“ …

Gandalf, wollte ich gerade sagen, Gandalf nicht, Herr der Ringe auch nicht so . (überlegt) Gondorf, wenn, dann Gondorf. Also, der Sandro Wagner ist halt ne richtige Spitze, und so ganz vorne rein? In der Jugend war das eher so, da hab ich richtig vorne gespielt, danach hab ich mich dann eher zurückfallen lassen, so Helmut Haller-mäßig, wobei natürlich die technischen Fertigkeiten weder an Gondorf, nach an Wagner, noch an Helmut Haller ranreichen, das ist ja völlig klar.

Jetzt sind Sie ja logischerweise Fan vom SVD, waren Sie auch mal Fan von Nürnbersch? Also Glubberer?

Nee, nie.

Aber für wen hält man als Unterfranke, der mit DA noch nix am Hut hat?

Wenn man 1962 in Unterfranken geboren ist, gut, da war Schweinfurt 05, damals 2. Liga, ne Zeit lang interessant. Und nach der WM 1970 hat man sich entschieden, für Gladbach oder Bayern zu sein. Ich hab mich dann für Bayern entschieden, was viele meiner Freunde aus den eher linken Milieus als charakterliche Schwäche ansehen. Aber, da muss ich dann halt durch. Immerhin haben die Bayern einen kleinen Anteil daran gehabt, dass Darmstadt 98 aus der finanziellen Krise rausgekommen ist. 2008 war ja das Benefizspiel (im OB-Büro hängt noch das Plakat) und sie sind ja mit allen Stars gekommen, das war keine B-Mannschaft, da haben auch Luca Toni und Lukas Podolski mitgespielt.

Ja, ich war da auch damals, meine Mutter hat für Luca Toni geschwärmt und ich für den Pascal Pellowski, der ging zu mir auf die Schule. Der spielt jetzt in Walldorf und hat mit dafür gesorgt, dass die Lilien im Pokal rausgeflogen sind.

Ja, stimmt, links durchgesetzt und die Vorlage zum entscheidenden Tor. Die in der 4. Liga können halt auch kicken.

Lilien-Spiele in der 4. Liga, auch schon geguckt?

Ja.

Das Derby gegen Erzhausen? Da hat mich mein Vater mit hingenommen.

Nein, das nicht, aber auch schon geguckt. Also, überhaupt das allererste Mal, dass ich in Darmstadt war, war bei einem Spiel von Darmstadt 98. Ein entfernter Verwandter von mir, der Vater der späteren Nationalspielerin Britta Unsleber, war Jugendtrainer bei den Lilien, der kam irgendwann mal nach Langendorf und meinte: Ihr könnt doch mal gegen uns spielen. Und dann sind wir eingeladen worden, und wir, also die Jugendmannschaft von SV 73 Langendorf, haben gegen Darmstadt gespielt, ne Wurst und ne Cola gekriegt und durften uns danach noch ein Spiel von Darmstadt 98 angucken. Das war, ja, 1976 im Rückspiel, hier (geht an den Schreibtisch und sucht) hab ich noch ein Foto mit dem Plakat vom Hinspiel. Und die Jungs, die damals mit dabei waren, wir haben seitdem immer mal beobachtet, wie Darmstadt so gespielt hat. Dann war ich allerdings fast 20 Jahre nicht mehr in Darmstadt.

© Veranstalter

Sie haben ja in Göttingen studiert. Sind Sie eigentlich der erste in der Familie mit Abitur?

Ja, bildungsferne Familie, wir waren fünf Kinder, ich bin der Älteste. Mein Vater ist gelernter Müller, Flüchtlingskind aus dem Sudentenland, war dann bei der Bundeswehr in Hammelburg und hat auf einem seiner Streifzüge im Gasthaus „Zum Adler“ meine Mutter kennengelernt und geheiratet. Meine Mutter hat eine Hauswirtschaftslehre gemacht. Meine Eltern wollten nicht, dass ich aufs Gymnasium gehe, ich sollte den Hauptschulabschluss machen und den Hof übernehmen. Mein Lehrer hat sie dann überzeugt, dass ich aufs Gymnasium muss. Also, ich bin schon früh aus der Rolle gefallen.

Und dann später noch mal aus der Rolle gefallen mit der Gründung der Grünen?

Ja, völlig aus der Rolle gefallen, mein Vater war bei der Bundeswehr und CSU-Mitglied. Das kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen, damals hatte die CSU im Landkreis Bad Kissingen 70% und bei uns auf dem Dorf 80%. Die SPD, das waren ja Kommunisten. Und dann noch die Grünen, mein Vater ist ziemlich hart angegangen worden.

Umsatzeinbuße im Gasthaus „Zum Adler“?

Nein, so war das nicht. Ich musste ja immer arbeiten, landwirtschaftlicher Betrieb, Gastwirtschaft, da ist es normal, dass ich schon als Kind auf dem Feld mithelfen musste, Kühe melken, Schweinestall ausmisten und auch mal schlachten, natürlich in der Wirtschaft arbeiten. Wenn meine Kumpels schon in der Disco waren, habe ich freitagsabend in der Kneipe bedient und bin dann mit dem letzten Bus um elf nach Hammelburg gerauscht. Also, da hat es viele Diskussionen gegeben. Das ist auf der anderen Seite sehr lehrreich gewesen. Natürlich gab es auch aufgeklärte Konservative, aber es waren auch richtig Reaktionäre dabei, da habe ich gelernt zu diskutieren. Hammelburg, Truppenübungsplatz, Kampftruppenschule, das war ja „Zonenrandgebiet“, da waren die Bundeswehr und die Amis allgegenwärtig, und wenn du dann plädiert hast für Abrüstung oder ökologische Landwirtschaft, das gab dann natürlich Probleme.

Das ist ja heute noch teilweise ein Problem.

Ja, das ist heute noch ein Problem. Das kann man sich gar nicht vorstellen, wie völlig ineinander strukturiert und aufeinander abgestimmt das alles war: die katholische Kirche, die Bundeswehr, der Landhandel, das war ja ein, das war …

Gut vernetzt, würde man heute sagen.

Oder Filz kann man auch sagen. Also, das war anstrengend. Andererseits, wenn man auf dem Dorf aufwächst, da kennen dich die Leute auch. Wenn du bei den Ministranten bist, bei der Feuerwehr, Fußball spielst und die Leute jeden Tag in der Wirtschaft triffst, und du ihnen das Bier bringst oder den Schweinebraten, dann ist das natürlich so, dass sie dich trotz linker grüner Positionen ernst nehmen.

Und das haben Sie alles gemacht, Ministrant, Feuerwehr, Fußball?

Ja, klar, und katholische Landjugendbewegung. Meine K-Gruppe war die KLJB. Und da gab es mit 14, 15 die ersten Diskussionen über Nord-SüdAusgleich, ist es denn gerecht, wie wir leben, wird das, was in der Bergpredigt steht, wirklich umgesetzt, mit einer Politik, die auf Ausbeutung der Natur setzt, Gleichgewicht des Schreckens ...

Elf Jahre nach der Grünen-Gründung nach Darmstadt, und 1997, das hat mir mein Vater verraten, da gab es dann ein legendäres Hochzeitsvideo mit einem überglücklichen Ehemann, der immer gesagt haben soll: Ich spreche auch im Namen der Braut. Stimmt das?

(lacht) Richtig, ja, stimmt genau.

Ist das heute noch so? Für wen spricht ein OB ansonsten? Ich bin der OB, ich spreche für den Magistrat! Oder sogar für ganz Darmstadt?

Mein Verständnis ist, dass in den politischen Debatten, die wir im Parlament führen - und wir haben eine sehr lebhafte Streitkultur in der Stadtverordnetenversammlung - ich selbstverständlich für den Magistrat spreche. In anderen Zusammenhängen, im Präsidium des hessischen Städtetags oder im deutschen Städtetag oder bei Gesprächen mit Gewerkschaften, Unternehmen, bei der Expo, spreche ich natürlich für die ganze Stadt. Das muss ich auch machen als OB, und das mache ich auch gerne. Das ist ja das Schöne. Bei allem, was es bei uns auch an Problemen gibt, wir sind eine wachsende, kreative Stadt wie wenig andere in Deutschland. Wir haben sehr viele Gestaltungsmöglichkeiten, und das macht jeden Tag Spaß.

Ich hab mal gehört, und das stand ja auch schon in meiner Glosse, dass jemand im Magistrat das Arbeitsverhältnis scherzhaft als „unter Jochen“ bezeichnet hat? (Partsch lacht) Wie würden Sie das beschreiben, in einem oder zwei Wörtern?

Das Arbeitsverhältnis im Magistrat ist professionell und hochkonzentriert - trotzdem mit dem Versuch, dass wir alle Freude dabei haben. Ich glaube, es kommt darauf an, die Positionen des anderen ernst zu nehmen, Dialoge zu führen, weil das auch die eigene Möglichkeit, Dinge einzuschätzen, nur verbessern kann. Aber es ist auch völlig klar, am Ende müssen natürlich Entscheidungen getroffen werden. Und es ist schon so, dass ich dann darauf dränge und sage: Wir machen das jetzt, wenn es gemeinsam diskutiert ist. Politik hat eine prozesshafte Dimension. Herfried Münkler, Politologe aus Berlin, spricht von der Moratoriumsfähigkeit der parlamentarischen. Demokratie – im Gegensatz zur direkten Demokratie. Wir haben immer die Möglichkeit, innezuhalten und nachzudenken: Müssen wir das so machen, gibt es noch eine andere Möglichkeit?

© Klaus Mai

Aber irgendwann dann eben Schlussstrich, Bilanz, und dann: „So mache mers!“

Genau. Ja, es wird manchmal scherzhaft von dieser Darmstädter Strategie: „Mer redde noch mal drübber“ geredet. Das ist natürlich die Moratoriumsfähigkeit unserer kommunalen Herangehensweise in Darmstadt, das kann man aber nicht ewig machen. Also, Dialog und Entscheidung, so wie es unser grün-schwarzer Koalitionsvertrag im Titel führt.

Neun Jahre nach der Hochzeit mit Daniela Wagner waren Sie ja dann erst mal Nachfolger der eigenen Ehefrau als hauptamtlicher Dezernent. Wie fühlt sich das an? Kriegt man ständig Ratschläge oder funktioniert die häusliche Kommunikation wie vorher, als Sie als grüner Fraktionsvorsitzender quasi der erste Kontrolleur der Ehefrau-Dezernentin waren?

Einer der Kontrolleure. Und die Stadtverordneten sind ja nicht nur Kontrolleure, sie begleiten das ja auch. Nach der Hessischen Gemeindeordnung ist die Stadtverordnetenversammlung ja auch Teil der Verwaltung. Also, gefühlt ist es okay. Man muss sich immer wieder bewusst sein in der Familie, dass es neben der Kommunalpolitik auch was anderes gibt. Es hat eine positive Seite, dass man mit jemandem, der etwas davon versteht, alles noch mal bereden kann, meine Frau war Schuldezernentin, ich Sozialdezernent. Es hat aber auch die gefährliche Seite, dass man die Politik zu sehr in den familiären Bereich bringt. Da muss man mit gemeinsamen anderen Unternehmungen dagegen arbeiten.

Bei den Grünen gabs mal einen Fundi-Arbeitskreis, hat mir auch mein Vater verraten, den nannten die Realos: Stadtentwicklung, Selbstzerstörung und Verkehr. Stimmt das?

Ja, das stimmt.

Gibts heute so was noch? Gibt es überhaupt noch Fundis und Realos?

Es gibt nicht mehr die Fundis und die Realos. Es gibt schon Arbeitskreise und Mitglieder, die größere Ansprüche an die Durchsetzung originärer, früher hätte man gesagt fundamentaler grüner Positionen stellen. Ich glaube aber, dass der Kreisverband sehr genau erkennt, dass es durch die Stärke, die wir mittlerweile erreicht haben, möglich ist, grüne Positionen durchzusetzen. Aber, selbst wenn ich 2011 mit fast 70% im 2. Wahlgang gewählt worden bin, selbst wenn die Grünen 30% der Abstimmenden bekommen, es gibt immer auch Leute, die andere Auffassungen haben. Ich versuche immer, Leute mitzunehmen und zu überzeugen, und da hat es einen Reifeprozess gegeben dahingehend, dass es von der CDU gute Vorschläge gibt, von der SPD, von UFFBASSE, über die zu reden ist. Und der große Vorteil gegenüber anderen Regierungsbeteiligungen vorher ist, dass wir nach der letzten Wahl auch zentrale Forderungen realisiert haben: der Verzicht auf die Nordostumgehung und stattdessen Straßensanierung, die Regelung mit dem Sander-Museum, der Ausbau der Kinderbetreuung. Und, was viele befürchtet haben, dass uns in der Koalition mit der CDU bestimmte emanzipatorische, soziale oder kulturelle Projekte, die uns wichtig sind, hinten runter fallen, das ist ja nicht der Fall, im Gegenteil, der kommunale Sozialstaat ist ausgebaut worden.

Was war eigentlich die schönste Zeit in der DA-Politik? Am Anfang frisch, frank und frei, als grüner Fraktionsvorsitzender, als Sozialdezernent oder jetzt als OB?

Alles, es war einfach alles eine gute Entwicklung. Die schwierigste Zeit war die Zeit, als es zum Bruch mit der SPD gekommen ist, weil es auch nicht klar war, wie es weiter geht. Ich war zu diesem Zeitpunkt noch Stadtrat, und es gab auch persönlich gute Beziehungen zu einigen Sozialdemokraten, das war nicht so einfach. Aber ich glaube, die Darmstädter haben dann einfach die klare Haltung honoriert, so dass wir als Grüne mit den Stimmenanteilen hier deutlich über dem Niveau von anderen Städten sind. Ich glaube, das hat etwas damit zu tun, dass wir neben dem ökologischen und Stadtentwicklungsaspekt auch immer eine stark sozialpolitische Profilierung hatten.

Das ist ja eigentlich nicht typisch grün.

Für uns in Darmstadt schon.

Typisch für Darmstadt ist auch das Heinerfest, so wie für München das Oktoberfest. Der Bieranstich zum Oktoberfest die eigentliche Amtsweihe. Von Christian Ude, dem Müncher Ex-OB, ein richtiger Literat, gibts da eine sensationell schöne Geschichte, heimliches Üben, Schweiß- ausbrüche und so. Ist das noch ein Vorteil des Gastwirtssohns? Sind Sie beim Heinerfest immer cool oder doch noch manchmal aufgeregt?

Nein, gar nicht aufgeregt. 90% gelingen mir sowieso auf den ersten oder zweiten Schlag, letztes Jahr ein Schlag auf dem Heinerfest, also da kommt mir schon die Grundausbildung in der Gastronomie und auf Dorffesten zugute.

Also, Technik und Entschlossenheit, hat mir mal ein Brauereibesitzer erklärt.

Genau. Philosophieren vor dem Zapfhahn: Wie mache mers denn jetzt?, das ist schlecht.

Welche Machtinsignien brauchen Sie eigentlich als OB, also außer der Amtskette? Walter Hoffmann hat sich nen Audi A8 geholt, Peter Benz hatte Duttenhoefer- und Schlotter-Plastiken im Büro, und Jochen Partsch? Der kann doch nicht nur ein Dienstfahrrad haben? Mit E oder ohne?

Ich habe ein Treckingrad und ein E-Bike. Also, nach Eberstadt z.B. fahre ich mit dem E-Bike, ansonsten kommt es auch darauf an, welches gerade da steht und welches zu Hause ist. Und sonst habe ich hier im OB-Büro nicht viel verändert. Hier gibt es jetzt statt Glastisch und Ledersesseln einen Arbeitstisch mit Stühlen, ja und das Bild hier, „Der Pflüger“ von Eugen Bracht aus der städtischen Kunstsammlung. Das hat mir schon immer gut gefallen. Ich habe es aus dem Baudezernat übernommen, das hing vorher bei Dieter Wenzel.

Was sind die Ziele für die nächsten sechs Jahre als OB, außer dass die Lilien für die gesamte Amtszeit in der Bundesliga bleiben …

Das ist eins der wichtigsten …

… und dass das neue Stadion in Darmstadt, also nicht außerhalb, fertig wird …

Auch wichtig, ja.

Das Lilien-Spiel in Bielefeld, das war Wahnsinn!

Ein neues Rathaus doch noch?

Also, ich sag mal so: Wir brauchen dringend eine bessere Situation für die Beschäftigten der Verwaltung, sowohl im technischen Rathaus in Bessungen als auch im Luisencenter. Das ist fast nicht mehr zumutbar. Es ist auch für die Bürger schwierig, dass sie an verschiedene Stellen müssen. Ich bin schon der Auffassung, dass wir da eine Verbesserung hinkriegen müssen. Wir haben aber andere Prioritäten, und die liegen im Wohnungsbau, in der Verkehrspolitik und in der Schulentwicklungsplanung. Ich kann ja die Kritik an der manchmal schleppenden Projektentwicklung nachvollziehen, aber es ist doch auch klar, dass wir diese Projekte machen werden.

ICE-Halt?

Klar. Wir haben ja jetzt wieder eine gemeinsame Position der Landkreise und der Stadt gewonnen, das war 2011 nicht mehr der Fall, und wir haben die Unterstützung der Landesregierung.

Marienplatzbebauung?

Da knacken Darmstädter Dezernenten doch schon seit gefühlt 100 Jahren dran? Über die Marienplatzbebauung habe ich gerade auf der Expo mit Projektentwicklern und Wohnungsbaugesellschaften gesprochen. Der Marienplatz wird mit einer sehr anspruchsvollen und auch verdichteten Wohnbebauung losgehen.

Fahrradstraßen? Noch irgendwo 300m?

(lacht) Also, Darmstadt ist die hessische Großstadt, in der der Modal Split am besten ist, wir haben einen deutlich höheren Anteil an Fahrradfahrern. Und der ist auch gewachsen in den letzten Jahren, dass hängt natürlich auch damit zusammen, dass wir viele Studierende haben. Klar ist, wir müssen deutlich zulegen und alle Hebel in Bewegung setzen, um den ÖPNV und die Möglichkeiten für Fahrradfahrer und Fußgänger zu verbessern.

Was ist mit IKEA? Wir sind mit IKEA im Gespräch.

IKEA hat ein Interesse daran, dass es einen IKEA Darmstadt gibt, weil die Zielgruppe hier passt. Ein IKEA bringt neben der Gewerbesteuer auch ganz sicher positive Effekte für den Einzelhandel in der Innenstadt. Aber der Punkt ist auch hier die Verkehrsproblematik, da sind wir im Moment dabei, Standorte zu überprüfen, die verkehrlich geeignet sind.

Ein ähnliches Problem wie beim Stadionstandort?

Mmh, ja, ein ähnliches Problem.

Das schönste und das bescheidenste Ereignis als OB waren …?

(überlegt lange) Das schönste Ereignis - das hat jetzt nichts direkt mit dem Amt des OB zu tun - war das Lilien-Spiel in Bielefeld, das war Wahnsinn. Aber als OB? (überlegt) Also, die Grundsteinlegung von Alnatura war schon ziemlich toll, die hatten zwei andere süddeutsche Großstädte noch im Blick, und das sind einfach 500 Arbeitsplätze, Gewerbesteuer und ein weiterer Entwicklungspunkt im Westen der Stadt. Aber ob es das schönste war, ich weiß es nicht. Was war denn das schönste? (überlegt) Der erste Bieranstich beim Heinerfest als OB, und dass er auf Anhieb geklappt hat, doch, das war ein emotional schöner Beginn.

Und das bescheidenste?

Das bescheidenste (überlegt kurz), doch ja, fand ich den Abgang von Frau Zuschke. Das war eine ganz schlechte Erfahrung.

Sie haben Sich am Oberfeld vor den Unbesiegbaren fotografieren lassen, was verbindet Sie mit diesem Ort?

Er symbolisiert eine gute Verbindung zwischen der Kultur- und Wissenschaftsstadt Darmstadt und der grünen und Naturstadt Darmstadt. Und für mich persönlich sind das, wenn ich dort die Kühe sehe und rieche, durchaus Kindheitserinnerungen, ich mag das. Das Oberfeld, die ganze Initiative, hat ökologische und soziale Aspekte mit der Außenstelle der Heydenmühle, hat auch pädagogische Aspekte als Lernort Bauernhof. Und es ist ja auch eine Bürgerbewegung gewesen, die das alles initiiert hat.

© Klaus Mai

Ist das nicht im Grunde die Vollendung des 1983 bei der Gründung des grünen Kreisverbandes Bad Kissingen mitten im Filz der konventionellen Landwirtschaft geträumten Traums?

Man soll ja nie von Vollendung sprechen. Aber ich finde es völlig faszinierend, was dort passiert. Auch die Kunst dort. Und die Unbesiegbaren - da kommen wir noch mal zu den Grünen - diese Hasen, da könnte Detlef Kraft von Joseph Beuys inspriert worden sein. Es gibt ein Wahlplakat von 1979 mit diesem Hasen, den Beuys entworfen hat, vor diesem Hasen stand klein ein Soldat mit Gewehr im Anschlag. Das Plakat hat ein Beuys-Schüler für die Europawahl gemacht, wo Beuys für die Grünen angetreten ist.

Jetzt mal im Gegensatz zu dem Bild vor den Unbesiegbaren: Hätten Sie sich als unterfränkischer Gründungsgrüner mal träumen lassen, unterm Adenauer zu sitzen und OB-Kandidat der CDU in Darmstadt zu sein?

Nein, nie. War auch ein bisschen komisch. Aber okay. Und „Keine Experimente“ ist ja, na ja …

Mein Vater sagt, das ist die typische Bananenwandlung der Grünen, erst grün, dann gelb, dann schwarz, aber der ist ja ein frustrierter SPDler. Aber im Ernst, ist das nicht gefährlich, dass die CDU verzichtet, wg. der AfD? Also ich meine den Echo-Kommentar, wo der noch virtuelle AfD-Kandidat fast schon in die Stichwahl hochgeschrieben wurde?

Ja, genau. Das fand ich journalistisch fahrlässig.

Sehen Sie da eine reale Gefahr, dass es keiner der anderen schafft, das bürgerlich-konservative Klientel der CDU zu erreichen, oder kriegen Sie die, also im ersten Wahlgang?

Bei der letzten Wahl haben mich in der Stichwahl 70% gewählt. Das ist jetzt sicher eine andere Situation. Man muss auch sehen, dass mit so einer Wahl immer viele, viele Hoffnungen verbunden sind von allen möglichen Seiten, wo jetzt sicher auch einige enttäuscht sind. Man denkt dann, jetzt kommt der Neue und es wird alles irgendwie besser. Es ist sicher manches auch besser geworden, vieles braucht auch noch seine Zeit, das ist eben so. Deshalb gehe ich mit Zuversicht, aber auch demütig in den Wahlkampf. Ich glaube, dass ich die wertkonservativen Wähler der CDU schon erreichen kann. Die Vertretung Darmstadts nach außen ist wichtig, die Beschäftigung mit der Darmstädter Geschichte, die klare Haltung in bestimmten Fragen der Erinnerungskultur, auch der Internationalität und Interkulturalität. Und letztendlich ist die OB-Wahl eine Persönlichkeitswahl.

Also, ich frage jetzt nicht, ob Sie glauben, schon im ersten Wahlgang zu gewinnen, weil das Quatsch ist. Aber viele denken, dass es für die anderen Kandidaten ein Erfolg ist, wenn es einen zweiten Wahlgang gibt.

Das lass ich jetzt mal so stehen. Ich finde Darmstadt toll. Es ist faszinierend, was man hier alles machen kann.

Am Ende der nächsten Amtszeit sind Sie 61 – sind 18 Jahre OB ein Ziel, und dann Rente mit 67? Oder doch lieber bayerischer Ministerprä- sident? Oder noch lieber fränkischer? In einem Freistaat Franken?

(lacht) Keine weiteren Separationen, es ist notwendig, dass wir zusammenhalten. Ich gehe jetzt erst mal in die nächste Amtsperiode, wenn die Wählerinnen und Wähler das wollen, und ich freue mich drauf. Was ist 2022/23? Da ist die Landesgartenschau eröffnet, wir sind Weltkulturerbe und die Lilien hoffentlich immer noch in der 1. Bundesliga. Aber, ehrlich gesagt, da mache ich mir noch keine Gedanken drüber.

Es war ja auch eher ironisch gemeint, also ob es eine Idee ist, als Held nach Franken zurückzukehren und die Heimat zu befreien.

Nee, also ich werde in jedem Fall hier bleiben. Ich finde Darmstadt toll, von der Größe her, von den kulturellen Möglichkeiten, den Angeboten, es ist faszinierend, was man hier alles machen kann.

Noch ne intime Frage fast zum Schluss: Was macht ein OB nachts? Schlafwandeln oder tiefer fester Schlaf? An den Kühlschrank gehen und futtern? Pyjama? Nachthemd mit Zipfelmütze?

Kein Pyjama, kein Nachthemd, keine Zipfelmütze. Tiefer Schlaf.

Auch nicht mal sorgenvoll aufstehen?

Nein, das ist auch etwas, da bin ich wirklich froh drum. Ich hatte mal eine Phase, das war zu dem Zeitpunkt dieser ganzen HSE-Krise, wo ich manchmal nachts aufgewacht bin und gedacht habe: Wie soll das denn eigentlich jetzt weitergehen? Da geht unser größtes Unternehmen auf volle Konfrontation gegen die Stadt und den Oberbürgermeister. Aber, grundsätzlich, ich habe einen absolut gesegneten Schlaf. Bei mir ist das super, ich gehe ins Bett, zack, eingeschlafen.

Beneidenswert. Ich kenne nicht so viele, die das können. Und Weihnachten? Ist ja jetzt bald. Elektrische oder Wachskerzen? Oder gar kein Tannenbaum?

Wachskerzen, Tannenbaum mit Wachskerzen.

Und in die Kirche?

Wenn ich das schaffe und am 1. Weihnachtstag nach Unterfranken zu meiner Mutter fahre, gehe ich dort in die Kirche. Weihnachtsmette nicht, 1. Weihnachtsfeiertag mit meiner Mutter, die freut sich drüber.

Und ganz zum Schluss bitte den Satz vollenden: Im Gegensatz zu 2016 wird 2017 …

... ein Jahr, in dem die Bürgerinnen und Bürger in Europa sich wieder klar darüber sind, wie wichtig ein starkes, solidarisches Europa ist.

Super, danke für das Gespräch.


VITA JOCHEN PARTSCH

* 29. April 1962 in Hammelburg, wuchs in einem kleinen Dorf im Landkreis Bad Kissingen auf. Seine Eltern hatten einen kleinen Bauernhof, einen Landgasthof mit Metzgerei. Partsch machte 1981 in Hammelburg das Abitur. Von 1982 bis 1989 studierte er in Göttingen und schloss als Diplom-Sozialwirt ab. Seinen Zivildienst leistete er von 1985 bis 1986 an der Uniklinik Göttingen ab.

1990 arbeitete Partsch als Fabrikarbeiter in Schweinfurt, von 1991 bis 1994 im Marketing eines Softwareunternehmens in Stuttgart. Von 1995 bis 2004 war er Referent für lokale Beschäftigungsförderung bei der Landesarbeitsgemeinschaft Soziale Brennpunkte Hessen und von 2004 bis 2006 Dozent an der Hochschule Darmstadt für gemeinwesenorientierte Beschäftigungsförderung in benachteiligten Stadtteilen. Von November 2006 bis Juni 2011 war er Sozialdezernent, seit Juni 2011 ist er Oberbürgermeister der Stadt Darmstadt.

Partsch ist seit 1997 mit der Grünen-Politikerin Daniela Wagner verheiratet.

Weitere Infos:

www.jochen-partsch.de 

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