„In einer Demokratie ist es schön, dass es Alternativen gibt.“

Die FRIZZ-Interview-Serie zur Oberbürgermeisterwahl 2017 in Darmstadt

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© Klaus Mai

Am 19. März 2017 wählen die Darmstädterinnen und Darmstädter ihren Oberbürgermeister. FRIZZmag stellt die Kandidaten im Interview vor, diesmal den Kandidaten der UWIGA, Helmut Klett. Die Fragen stellte Thea Nivea.

FRIZZ: Hallo Herr Klett, warum sind Sie auf die Idee gekommen, schon wieder für das Amt des OB zu kandidieren?

Helmut Klett: Schelmisch könnte ich sagen, jetzt bin ich in einem Alter, in dem ich genügend Erfahrung habe, endlich die OBWahl zu gewinnen.

Aber irgendwie ist ja klar, dass Sie keine Chance haben …

... ja, logisch, aber ich werde natürlich versuchen, persönlich mein Bestes zu geben. Unser Wahletat wird sich natürlich nur in einem ganz kleinen Rahmen bewegen.

Das ist ja nun schon Ihre dritte Kandidatur zum OB. Warum tun Sie sich das noch mal an? Finden Sie es vielleicht geil, sich ein paar Wochen ins öffentliche Interesse zu begeben? Aber es ist doch auch anstrengend?

Das ist richtig. Gefragt habe ich mich natürlich, ob mir die Leute da nicht eine Art Öffentlichkeitsgeilheit unterstellen werden. Aber mich haben auch viele Leute gefragt, ob ich das nicht machen wolle, einfach, um eine Alternative aufzuzeigen, denn in einer Demokratie ist es schön und auch richtig, dass es Alternativen gibt. Und nur wegen geringer Chancen nicht zu kandidieren, halte ich für demokratisch nicht angebracht.

Sie sind doch im Sommer erst aus der Stadtverordnetenversammlung raus, wie passt das?

Ich bin ausgeschieden, weil ich gemerkt habe, dass die StaVo als Aufsichtsorgan nicht mal in der Lage ist, Konsequenzen zu fordern, wenn die Exekutive die Judikative ignoriert. Dann will ich damit nichts mehr zu tun haben. Als OB könnte ich das durchführen, was ich als Stadtverordneter nicht durchsetzen konnte, denn der OB hat ja das Recht, seine Dezernenten zu benennen oder zu entlassen. * (Anmerkung Helmut Klett am Ende des Interviews)

Ich dachte immer, er könne nur über die Dezernatszuschnitte entscheiden, aber wenn Sie das sagen. Wir sollten noch erklären, dass Sie auf BGM Reißer anspielen, der das Verwaltungsgerichtsurteil in Sachen Eintracht-Fans beim Derby Ende letzter Saison zunächst ignoriert hat.

Genau, ich hab das damals erdoganeskes Verhalten genannt, um es ein bisschen plakativer zu machen, im Sinne von „Wehret den Anfängen“. Ich glaube, viele Bürger haben die Tragweite gar nicht verstanden und es eher als kleinen Ausrutscher betrachtet.

Ihr Rücktritt war also keine Amtsmüdigkeit, sondern Sie wollten dem Fehlverhalten des Bürgermeisters symbolisch die Bedeutung geben, die Sie für angemessen halten?

Genau. Demokratie-ethisch gesehen ist es für mich ein Unding, dass sich ein Volksvertreter über ein Gerichtsurteil hinwegsetzt.

Zurück zur OB-Wahl: Mit wie viel Prozent im ersten Wahlgang wären Sie zufrieden?

Wenn es zweistellig würde, wäre ich hochzufrieden.

Gut, dann erklären Sie mal bitte vier wählergruppenrepräsentanten Menschen, warum sie Sie wählen sollen: mir, meiner grünen Mutter, meinem Vater, einem frustrierten Sozialdemokraten, und meiner Oma.

Oh, liebe Thea Nivea, das ist jetzt in kurzen Worten sehr schwierig. Gut, ich habe in der Vergangenheit in vielen Dingen recht gehabt. Ich denke, dass ich als Mensch, der ziemlich bodennah und realistisch ist, die bessere Politik machen kann, weil ich mich an der Faktenlage orientiere. Ich weiß nicht, ob ich Ihnen erklären muss, was postfaktisch ist ...

… müssen Sie nicht, ich hab in meiner 100. Glosse geschrieben, dass wir uns in einem postfaktischen Zeitalter befinden …

… und ich muss leider sagen, dem ist so. Ich versuche, dem entgegenzuwirken. Und an die Adresse ihrer grünen Mutter: In vielen Dingen machen die Grünen auch bloß eine Art Label-Politik, es ist oft genug nur Etikettenschwindel, was da betrieben wird, z.B. die Fahrradstraßen.

Okay, und warum soll mein Vater Sie wählen?

Er sollte mich deswegen wählen, weil er mit mir auch in der Opposition einen geduldigen Gesprächspartner hat, der auch in der Lage ist zuzuhören und Vernünftiges umzusetzen.

Und meine Oma, die nicht mehr an die Politik glaubt?

Dann soll sie an die ältere Generation glauben, und dass die das schon richten wird (lächelt).

Die CDU stellt ja keinen OB-Kandidaten, und die CDU-Wähler sind für Sie interessant, oder? Wie wollen Sie die kriegen und wen noch? Also, außer den Nachbarn in Arheilgen.

Also ein paar mehr als meine Nachbarn waren es beim letzten Mal schon. Ich habe immer gesagt, dass ich das nur mache, wenn die CDU keinen Kandidaten stellt. Aber ich hätte nicht damit gerechnet, dass sie das nicht tun. Und da von mir bekannt ist, dass ich zu meinem Versprechen stehe, habe ich kandidiert. Ich habe einfach die Sorge, wenn der konservative Kandidat fehlt, dass dann möglicherweise zu viele zur AfD strömen oder gar nicht wählen.

Aber auf die Idee, dass die CDU Sie als ihren Kandidaten nominieren könnte, weil sie sonst niemanden findet, sind sie nicht gekommen?

Um Gottes willen, jemand, der den Rücktritt des CDU-Bürgermeisters fordert, ist ja wohl nicht unbedingt geeignet. Aber natürlich (lacht), wenn sie mich gefragt hätten.

Sie leben seit 1999 fest in Darmstadt?

Ja. Ich hatte ein Büro in Baden-Württemberg, meine Frau war wegen der Betreuung ihrer Eltern an Darmstadt gebunden, und so bin ich erst viele Jahre gependelt, bis ich es dann leid war.

Ich habe in einem Artikel der FR von 2011 gelesen, dass Sie erst Jura in Tübingen studiert haben und dann Ihrer Frau zuliebe nach Darmstadt zum Architekturstudium gewechselt sind. Stimmt das?

Nein, so stimmt das nicht. Es stimmt, dass ich in Tübingen Jura studiert und dort meine Frau kennengelernt habe, bei der berühmten Rottenburger Fasnet. Und das ist dann kein Faschingsscherz geblieben.

Und Sie haben Ihrer Frau zuliebe das Studienfach gewechselt? Hätten Sie auch Chinesisch studiert, wenn Ihre Frau das gewollt hätte?

Also, so war es dann doch nicht. Ich hatte mich für Architektur in Stuttgart und Darmstadt beworben und von Darmstadt eine Zusage bekommen. Aber, selbstverständlich hätte ich meiner Frau zuliebe auch Chinesisch studiert (lacht).

Und es ist heute immer noch dieselbe Frau?

Ja, das ist zwar selten heutzutage, aber es ist so, wir sind seit 1985 verheiratet. Und selbstverständlich bin ich ihr seit 1985 treu und ergeben (schmunzelt).

Sie kommen ja vom Abwasserkampf, also quasi aus einer Untergrundbewegung. Wie hat Sie das politisch geprägt?

Untergrundbewegung (lacht), ja gut, das Wasser fließt im Untergrund. Ich versuche schon seit Urzeiten, das Abwasser-Image loszubekommen, Sie glauben ja nicht, wie oft ich angesprochen werde: Ah, der Abwassermann. Ich wollte eigentlich aus der UWIGA eine UWIDA - unabhängige Wähler in Darmstadt - machen, aber viele meiner Mitstreiter bestanden eben auf dem Zusammenhang mit der Entstehungsgeschichte.

Sie mögen es nicht, auf den Abwassermann reduziert zu werden?

Ganz gewiss nicht, ich bin es ja auch schlicht nicht mehr, ich bin inzwischen mit einer Menge kommunalpolitischer Themen sehr viel näher in Berührung gekommen.

Mein Vater sagt, Sie seien ein Sturkopf, und die in der SPD hätten Sie immer ziemlich nervig gefunden. Ehrt Sie das?

Das ehrt mich, ja. Ich bin mal von einem Reporter gefragt worden, was meine schlechteste Eigenschaft sei. Ich habe gesagt: Mit Sicherheit meine Sturheit, aber, Nachsatz: Sturheit ist nur dann schlecht, wenn man nicht recht hat. Und einem Schwaben kann man schon nachsagen, dass er oft einen Dickkopf hat.

Interessieren Sie sich für Fußball? Und gehen Sie auch freiwillig zu den Lilien?

Nein. Ich bin sportlich sehr interessiert und war da selbst sehr aktiv, hab mich aber eigentlich nie für Fußball interessiert.

Ärgert Sie der Flop mit dem Stadion? Weil Sie das ja so kommen sehen haben, aber doch nix machen konnten?

Ja, das ärgert mich schon ein bisschen. Da sind wir jetzt wieder beim Postfaktischen: man tut jetzt so, als ob das alles unvorhersehbar gewesen wäre, und es die Fakten nicht damals schon gegeben hätte. Ich bin übrigens fälschlich als Stadiongegner bezeichnet worden, dabei war ich immer nur gegen den Standort.

Was sind Ihre politischen Ideale? Irgendwas zwischen gerechten Abwassergebühren und Weltfrieden?

Sehr wichtig ist mir, dass die Bürger gerecht behandelt werden, gerecht im Sinne von gleich, und das ist ganz oft nicht so.

„Die vorrangige Funktion einer Regierung ist es, die Minderheit der Reichen vor der Mehrheit der Armen zu schützen.“ Wer, glauben Sie, hat diesen Satz gesagt, und was halten Sie davon?

Machiavelli? Und der Satz ist ziemlicher Mist. Vielleicht hat ihn ja auch der Herr Trump im Fokus.

Sie sind relativ nah dran. Das Zitat stammt von einem US-Präsidenten, allerdings etwas früher von James Madison (1809-17).

Das musste man jetzt aber nicht wissen?

Nein, das ist ja hier keine Quizsendung. Sie haben sich vorm Landesmuseum fotografieren lassen, wegen der Löwen oder weil Sie eher ein Typ fürs Museum sind?

Das mit dem Museum ist ja ne echt gute Idee (lacht). Aber es ist wegen der Löwen, ich liebe Löwen. Es wäre jetzt ein bisschen frech, mich als Löwe zu bezeichnen, aber ich finde diese Tiere einfach ausdrucksstark und gut.

Was war das Blödeste, was Sie jemals politisch gemacht haben?

Ist das jetzt arrogant, wenn ich sage: nichts? Also, allenfalls strategisch ungeschickt, aber nichts Blödes.

Und das Beste?

Dass ich mich überhaupt so intensiv in die Kommunalpolitik eingebracht habe. Die Erfahrung von inzwischen mehr als einem Jahrzehnt war einfach gut.

Und das Beste privat?

Meine Frau. Ich hab damals schon gesagt, auf die Frage: Was ist das Beste an Darmstadt? Dass dort meine Frau geboren ist.

Und jetzt bitte noch einen Satz beenden. Im Gegensatz zu 2016 wird 2017 …

… vermutlich weltpolitisch wegen der USA sehr viel problematischer.

Damit sind wir durch, vielen Dank.

* Anmerkung Helmut Klett: Entschuldigung, die junge Thea Nivea liegt im Gegensatz zu mir "altem  Hasen" im Interview mit der Verteilung der Zuständigkeiten von  Dezernenten richtig. Die Dezernenten werden gekürt, er- oder gewählt von  der StaVo. Entlassen kann ich da keinen. Die Aufgaben und Zuschnitte allerdings kann der OB anders aufteilen, z.B. dem Leiter des Bürger- und Ordnungsamt stattdessen künftig die Friedhofsverwaltung anvertrauen. Ist  fast so gut wie entlassen, für den Betroffenen aber sicher sorgloser und bequemer.


HELMUT KLETT VITA

Helmut Klett wurde am 7. Januar 1950 in einem Dorf auf der rauen Alb geboren. Im Alter von drei Jahren zogen seine Eltern nach Metzingen, wo er das Abitur 1968 mit Auszeichnung ablegte. Er wuchs in einer Pfarrersfamilie als Drittgeborener mit sechs Geschwistern auf. Nach fünf Semestern Jurastudium und erfolgreichen Prüfungen zog es ihn in einen gestalterisch-konstruktiven Beruf. Im FB Architektur legte er 1979 sein Examen als Dipl.-Ing. an der TH Darmstadt ab. Als Schüler und Student sammelte er wochenweise praktische Erfahrungen im Forst, in Gerbereien, bei Seifenherstellern, als Akkordarbeiter etc., um seine finanzielle Situation zu verbessern. In München und Bad Urach war er als Architekt für kommunale Großprojekte tätig, seit 1985 ist er selbstständig. Bekannt in Darmstadt wurde er als Vorstand bei der IG-Abwasser, die nach zehnjährigem Kampf ein Urteil erstritt, das die Stadt Darmstadt zur Rückzahlung von Abwassergebühren in Höhe von 30 Mio. Euro an die Bürger zwang.

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