„Ich mache das alles mit Herz und Leidenschaft.“

Interview mit Sozial- und Umweltdezernentin Barbara Akdeniz

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©Klaus Mai

Vier von der Stadtverordnetenversammlung gewählte Beigeordnete bilden nebenOB Jochen Partsch den hauptamtlichen Teil des Darmstädter Magistrats. FRIZZmagsprach – last but not least - mit Sozial- und Umweltdezernentin Barbara Akdeniz.


FRIZZmag: Darf ich dich in Du interviewen, wir kennen uns ja vom Politikerparcours und vom CSD und so …

Barbara Akdeniz: Ja, gerne.

Ich war ja bei deiner Wiederwahl im Februar in der Stavo. Wie hast du das organisiert, dass dich alle nur gelobt haben für die erste Amtszeit?

(Lacht laut) Nix organisiert. Harte Arbeit und ein gutes Team. Und viele engagierte Vereine, Träger und Menschen in Darmstadt, die Sozialpolitik mit voranbringen.

Du bist ja Lilienfan und gehst auch in der 2. Liga ins Stadion. Welche Tribüne? Und seit wann?

Wir haben Dauerkarten auf der Gegengerade und wir versuchen immer auch als Familie zu gehen, meine beiden Töchter mein Mann und ich, quasi als Viererteam. Das mit der Dauerkarte machen wir jetzt seit drei Jahren.

Warst du auch schon mal bei nem Spiel von Wacker Burghausen?

Ja, klaro. Und wir haben 1:1 gespielt, oder 2:2, es war auf jeden Fall unentschieden. Jedenfalls konnte ich mit dem Ergebnis gut leben. Das war damals noch 3. Liga.

Wie bist du denn von Burghausen nach Darmstadt geraten?

Mein Geburtsort ist Burghausen, aufgewachsen bin ich aber in Garching bei München und dort in die Schule gegangen. Ich hab dann in Korsika im Urlaub einen netten Darmstädter kennengelernt. Welcher nicht der Yücel war, der kam dann erst im Studium dazu.

Mit Yücel bist du jetzt verheiratet, meine Oma hätte noch gesagt, das ist ne Mischehe, so was geht nie gut. Wie lange geht das bei euch schon gut und was hat damals deine Oma dazu gesagt?

Meine Oma hat nicht mehr gelebt und meine Eltern haben sich gefreut, weil Yücel ein sehr netter, sympathischer Mensch ist. Wir sind seit 1987 zusammen, das weiß ich, weil 1988 unsere älteste Tochter Şirin geboren wurde. Und dieses Jahr am 25. September hatten wir Silberhochzeit.

Du hast ja schon einen Enkel, wie ich aus dem Heinerfestfilm weiß, und deine beiden Töchter sind auch noch in Darmstadt?

Ja, Şirin ist Lehrerin an der IGS in Kranichstein und Şenay studiert noch, macht gerade ihren Master.

Deine Karriere ist ja schon ganz beachtlich, von der Frauenbeauftragten zur persönlichen Referentin des jetzigen OB, dann Sozialamtsleiterin unter dem jetzigen OB, dann seine Nachfolgerin als Sozialdezernentin. Wirst du ihn auch mal als OBin beerben?

Ich bin sehr froh mit meiner jetzigen Rolle.

Dann warst du ja auch mal als Staatssekretärin in Hessen im Gespräch. Wolltest du nicht oder durftest du nicht? Oder stimmt das sowieso alles gar nicht?

Also, ich wollte in Darmstadt bleiben. Wir hatten im Dezernat intensiv angefangen an vielen Punkten zu arbeiten, Kinderbetreuung, Ausbau der sozialen Infrastruktur, das wäre für mich ein jäher Bruch gewesen. Es war überhaupt nicht die Zeit, etwas aufzugeben.

Dein Mann Yücel ist ja einer von zwei Fraktionsvorsitzenden der Grünen in der Stavo. Die Aufgabe der Stavo ist es ja auch, den Magistrat zu kontrollieren, also du wirst dann ja praktisch von deinem Mann kontrolliert. Wie wirkt sich das auf euer Privatleben aus?

Ja, Politik geht schon in alle Ritzen (lacht). Nein, er führt sein Amt sehr unabhängig aus. Da gibts auch kein Gemauschel und Vertun, da wird sehr viel diskutiert und wir sind auch nicht immer einer Meinung.

Sozialwesen und Sozialhilfe, Alten- und Jugendhilfe, Sucht- und Drogenhilfe, Kinderbetreuung und Familienzentrum, das Frauenbüro, das Jobcenter, Wohnungswesen und Obdachlosenangelegenheiten, Flüchtlinge, der Eigenbetrieb Darmstädter Werkstätten und Wohneinrichtungen, alles dein Dezernat.

Und jetzt ja auch noch Umwelt, seit dem 1. März. Umwelt mit Luftreinhaltung, Fluglärm, Klimaschutz, Naturschutz, Biodiversität und untere Naturschutzbehörde, untere Wasserbehörde.

Das reicht für 25 Stunden am Tag, oder?

Ja. Und mit der Umwelt ist noch ein Aufgabenschwerpunkt hinzugekommen, den ich sehr ernst nehme und der auch sehr wichtig ist. Die anderen Bereich nehme ich nichtsdestotrotz genauso ernst wie eh und je.

Bleibt nicht so viel übrig fürs Privatleben?

Also, wenn man den Beruf mit aller Leidenschaft ausübt, dringt er auch ins Privatleben ein, das ist schon so. Für ein Ehrenamt hätte ich keine Zeit mehr.

Gibts etwas, was du gerne ganz klammheimlich abgeben würdest?

Ja (lacht). Ich verrats aber nicht.

Und was würdest du noch lieber machen? Vielleicht EAD oder doch Kultur? Oder sogar Stadionbau?

Ich finde, der Oberbürgermeister hat den Dezernatszuschnitt sehr gut gemacht. Und das, was ich jetzt mache, mache ich mit Herz und Leidenschaft. Insgesamt spielt das alles sehr gut ineinander. Und für Umweltpolitik schlägt mein Herz sowieso schon lange, Umwelt ist das existenziellste Thema schlechthin.

Du bist jetzt ja dann auch für Fluglärm zuständig. Bist du für die Nordverschiebung? Wenn ja, warum? Weil du in Kranichstein wohnst und weil es dort dann leiser wird?

Böse Unterstellung (lacht). Grundsätzlich bin ich dafür, den Fluglärm zu minimieren und damit auch die Gesundheit der Darmstädter Bürger*innen besser zu schützen. Es gibt eine ganze Reihe von Forderungen und Maßnahmen in diesem Zusammenhang wie eine Lärmobergrenze, Erweiterung des Nachtflugverbots bis hin zu der Infragestellung von Billigfluglinien am Frankfurter Flughafen. Jetzt gibt es das zweite Maßnahmenpaket zum aktiven Schallschutz, und wir sind dafür, dass die Nordverschiebung in dieses Paket mit hineinkommt. Diese Option muss geprüft werden, weil die Effekte für das nördliche Stadtgebiet enorm sein könnten.

Wie findest du eigentlich Kranichstein?

Ich wohne sehr, sehr gerne in Kranichstein. Ich habe eine super Nachbarschaft, ich habe eine super Anbindung per Fahrrad oder mit der Straßenbahn in die Innenstadt. Ich gehe sehr gerne in die Stadtteilrunde, weil dort viele engagierte Leute zusammenkommen, die ihren Stadtteil entwickeln wollen. Zum Beispiel gerade jetzt wieder die Erich Kästner-Schule und ihr toller Pump-Track-Parcour. Also, ich wäre gerne öfter in Kranichstein, nicht nur zum Schlafen.

Eine ehemals Darmstadt prägende Partei hat ja behauptet, du und der ganze Magistrat würden Kranichstein und auch Eberstadt systematisch benachteiligen. Hat dich das geärgert?

Es hat mich nicht geärgert. Es ist einfach Blödsinn.

Wenn ab 2018 die Kita-Plätze nix mehr kosten, wer zahlt dann die Gebührenausfälle? Und geht das genauso Null auf Null auf wie mit den Flüchtlingen?

Bei der Berechnung der 6-Stunden-Freistellung der Kita-Gebühren und der Bebzw. Entlastung der Kommunen sind wir noch mittendrin, weil wir die genauen Rahmenbedingungen noch brauchen. Definitiv entlastet werden die Eltern. Dass Bildung nichts kosten darf, vertrete ich schon immer, und deshalb wird das sukzessive auf alle Bildungseinrichtungen erweitert werden. Dazu braucht man natürlich die nötige finanzielle Unterstützung. Das wird einen Haufen Geld kosten, aber das ist gut angelegtes Geld, davon bin ich überzeugt. Deshalb haben wir die Kinderbetreuung nicht nur quantitativ enorm ausgebaut, wir sind von der Bertelsmannstiftung auch als beste Stadt Hessens in der Qualität ausgezeichnet worden.

Was war dein schönstes Dezernentinnenerlebnis bis jetzt? Also außer unserem Interview?

Die persönlichen Begegnungen mit Menschen. Wenn man mit einer kleinen politischen Entscheidung das Leben von Menschen so beeinflusst hat, dass für sie die Welt wieder lebenswerter wird, dann ist das schon ein tolles Gefühl.

Gibts auch doofe Erlebnisse?

Na klar, das wäre ja sonst unrealistisch. Ich ärgere mich z.B. über unqualifizierte Kommentare in der Stadtverordnetenversammlung, versuche das dann aber professionell zu bearbeiten.

Du hast dich vor der Lincolnwall fotografieren lassen, warum? Ich weiß ja, noch lieber wär dir mit Aurora DeMeehl auf der CSD-Bühne am Riegerplatz gewesen, vielleicht?

Mit Aurora DeMeehl auch jederzeit gerne. Aber die Lincolnwall hat eine besondere Bedeutung, weil sie auch ein Stück Jugendkultur ist. Ich wollte mit dem Foto bewirken, dass diese Lincolnwall noch bekannter wird. Den FRIZZ lesen ja viele und das ist dann auch der Hinweis, dort kannst du deine künstlerischen Ideen auch praktizieren und musst das nicht auf einer Hauswand in der Innenstadt machen. Die Lincolnwall ist mit 650 Metern Länge und 4 Metern Hö- he eine der größten Sprayer*innenwände in Deutschland. Und was die Jugendlichen dort machen, da kann man nur sagen: Hut ab!

Was ist dein größter Wunsch für deine zweite Amtszeit?

Im sozialen Bereich noch mehr Teilhabechancen zu ermöglichen für Menschen, die aufgrund ihrer Lebenssituation ausgegrenzt sind. Im Bereich Umwelt, dass wir es wirklich schaffen, die Stickstoffdioxid-Belastung durchgängig unter die Grenzwerte zu kriegen und außerdem ein großes und breiteres Verständnis der Bevölkerung für Biodiversität erreichen. Ich wünsche mir große Flächen mit Artenvielfalt, sie bieten für die Natur unheimlichen Gewinn, sehen dann halt nicht so gepflegt aus wie z.B. ein Tulpenbeet.

Letzte Frage: Ihr seid ja zwei Frauen im hauptamtlichen Magistrat und beide heißen Barbara, das stell ich mir manchmal schwierig vor, genauso wie wenn alle drei Jungs Jochen heißen würden. Ist das blöd, nicht mehr die einzige Barbara zu sein?

Also wenns um die Unterscheidung geht, machen wir das mit A und B. Ich bin ja die Barbara A. Und die Barbara B. kam dann dazu. Und wir kommen beide damit gut zurecht

Alles klar, und vielen, vielen Dank.




Vita Barbara Akdeniz:

*23.6.1960 in Burghausen, aufgewachsen in Garching bei München, schloss ihr Sozialpädagogik-Studium an der Fachhochschule Darmstadt 1986 mit dem Diplom ab. Danach war sie bis 1993 beim Verein Frauen helfen Frauen e.V in Hanau tä- tig. Nach jeweils drei Jahren als stellv. Leiterin des Frauenbüros im Landkreis Darmstadt-Dieburg und Leiterin des Frauenbüros im Landkreis Groß-Gerau leitete sie bis 2006 das Frauenbüro in Darmstadt. Nach zwei Jahren als Büroleiterin und persönliche Referentin im Sozialdezernat übernahm sie 2008 die Leitung des Amtes für Soziales und Prävention. Seit 2011 ist sie hauptamtliche Stadträtin, 2017 wurde sie wiedergewählt, ihre zweite Amtszeit endet im Juni 2023. Barbara Akdeniz ist verheiratet, hat zwei erwachsene Töchter und einen Enkel.
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