„Ich hatte auch das Glück der Konjunktur auf meiner Seite.“

Interview mit Stadtkämmerer André Schellenberg

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© Klaus Mai

FRIZZ: Hallo Herr Schellenberg, Glückwunsch noch mal zu Ihrer Wiederwahl. Wie verschlägt es einen Wuppertaler nach Wixhausen?

André Schellenberg: Nach dem Studium war ich für eine ganz kurze Zeit im Finanzministerium in Sachsen, hatte aber dort in Dresden keinen richtigen Arbeitsvertrag, das kam eher einem Praktikum gleich. So habe ich mich auf die Stelle beim Hessischen Rechnungshof in Darmstadt beworben und 1998 hier angefangen. Erst hab ich in der Heimstättensiedlung gewohnt und dann bin ich nach Wixhausen gezogen.

Warum?

Weil meine Frau raus aus der Kernstadt und ein bisschen aufs Dorf wollte. Da war schon unsere große Tochter auf der Welt und meine Frau meinte, in etwas ländlicherer Umgebung ist es mit der gegenseitigen Nachbarschaft, also z.B. mal auf die Kinder aufpassen, deutlich besser.

Wenn wir jetzt schon etwas privater sind: Wie ausgeglichen ist Ihre private Haushaltsführung?

(Lacht) Genauso wie als Kämmerer. Einen Haufen Schulden haben wir auch, denn ich habe, als wir unser Einfamilienhaus in Wixhausen gebaut haben, nicht komplett Eigenkapital auf den Tisch legen können. Aber insgesamt kann ich meinen Kapitaldienst sehr gut bedienen und unsere private finanzielle Situation kann ich als geordnet beschreiben.

Was haben sie denn dem Image des zahlenbrütenden Nerds, des blassen Zahlenbürokraten Buntes und Überraschendes entgegenzusetzen?

Ich bin kein Ur-Darmstädter und insofern nicht in vielen Vereinen verwurzelt, aber wer mich näher kennt weiß, dass ich meinen rheinländischen Humor mit nach Darmstadt gebracht habe und auch in schwierigen Haushaltlagen humorvoll unterwegs bin und nicht zum Lachen in den Keller gehe. Mein Hobby ist Motorradfahren, dazu komme ich im Moment aber nicht und meine Frau sieht es auch gern, wenn ich das Risiko lieber nicht eingehe. Und ich bin eingefleischter Camper, früher im Zelt, jetzt mit Wohnwagen, da gehts nicht spießig, sondern ganz rustikal und hemdsärmelig zu.

Früher in der Schule, waren Sie da eher der Anführer oder einer, der aufpassen muss, dass er nicht zum Opfer wird?

Nee, ich war weder der Klassenclown noch Opfer, sondern im guten Mittelfeld. Aber ich war ja schon damals politisch aktiv, bin schon mit 15 in die Junge Union eingetreten und mit 16 in die CDU. Viele mei- ner Klassenkameraden waren politisch aktiv, aber nicht in meinem Lager, und insofern gab es heiße Diskussionen auf dem Schulhof. Und in Wuppertal, geprägt von Johannes Rau, war nicht viel Staat zu machen als CDU-Mitglied. Das ist vielleicht auch der Beweis dafür, dass ich nicht aus karriere- taktischen Gründen CDU-Mitglied geworden bin, sondern aus Überzeugung.

Sie haben zwei Töchter, die sind jetzt wie alt?

Die Große ist jetzt gerade 16 geworden und die Kleine ist acht. 

Dann könnte bei diesem Abstand genau jetzt ja noch mal ein Sohn kommen, oder?

Wir hätten uns durchaus noch ein drittes Kind gewünscht und ich hätte auch noch einen Sohn genommen, aber jetzt sind wir mit dem Thema durch.

Wie ist das so als Mann unter drei Frauen?

Ach, sehr angenehm. Meine Töchter sind pflegeleicht, die Ehe, ich glaube das sieht meine Frau auch so, hat nicht sehr gelitten unter dem Amt, auch wenn man viel weg ist und meine Frau teilweise allein erziehend. Aber wir haben ein sehr, sehr harmonischen Familienverhältnis, und das ist etwas, was mich natürlich stützt, wenns mal im Job nicht so rund läuft.

Hat man als Kämmerer eigentlich auch politische Ziele? Also außer Zahlenwerke?

Na ja, wenn ich sage, wir hätten nicht nur gerne einen ausgeglichenen Haushalt, sondern auch perspektivisch eine Reduzierung der Schulden, dann wird das jeder unterschreiben können.

Ich meinte jetzt eher außerhalb von Zahlenwerken, eher was Inhaltliches.

(Denkt nach) Im Moment macht mir meine Aufgabe als Klinikdezernent absolut Spaß. Da habe ich insofern schon weitergehende Ziele, dass wir unser Haus nicht nur in kommunaler Trägerschaft belassen wollen, sondern ich sehe das Klinikum als führendes Haus in Südhessen, was auch durchaus weiter expandieren soll. Und damit meine ich nicht nur mehr Patienten und mehr Umsatz, sondern wir wollen die Position als Platzhirsch in Südhessen weiter ausbauen.

Zurück zum Darmstädter Haushalt: Eine Milliarde Schulden scheinen ja jetzt wieder erreichbar, was bedeutet das für die Stadtentwicklung? Sind da Strukturinvestitionen überhaupt noch möglich?

Also, im Moment liegen wir ja bei 690 Millionen. Wir wissen nicht, wo das Regierungspräsidium uns hinlassen wird, es gibt eine ganz klare Aussage grundsätzlich, dass man 800 Millionen für vertretbar hält, dass man aber gesprächsbereit ist, weil wir stark wachsen. Aber ich erwarte nicht, dass wir über eine Milliarde hinausgehen dürfen. Wir haben also noch ein wenig Luft um Infrastrukturmaßnahmen anzugehen, und das müssen wir auch als stark wachsende Stadt. Klar ist aber auch, dass der Deckel uns dazu zwingt, Investitionen, die wünschenswert sind, zu streichen. Aber wir dürfen trotz der schwierigen Situation nicht mutlos und verzagt in die Zukunft gucken.

Der plötzliche Gewerbesteuereinbruch war ja angeblich keiner, sondern 2016 eher ein einmaliger Ausreißer nach oben. Warum haben Sie die Ausgabenplanung entgegen Ihrer sonstigen Vorsicht für 2017 so massiv erhöht?

Seit 2011 habe ich sechs Haushalte zu verantworten und wir sind im Ergebnis bisher immer besser rausgekommen, als in der Planung. 2017 ist das erste Mal, dass es nicht funktioniert. Es ist in der Tat so, dass wir zwar einen Ausgabenkonsolidierungskurs haben, dass aber, sei es beim weiteren Ausbau der Kinderbetreuung, sei es bei der Versorgung der Flüchtlinge, eine Aufplanung notwendig war. Alleine bei den Flüchtlingen waren es zusätzlich 30 Millionen.

Wie wärs denn mit einer einmaligen Haushaltsloch-Abgabe? Egal ob 0 oder 100 Jahre, jeder DarmstädterBürger müsste so knapp 5.000 EUR einmalig bezahlen, dann wäre Darmstadt doch schuldenfrei, oder?

Ja, das würde sehr viel weiter helfen (lacht). Ne gute witzige Idee, wird aber nicht klappen.

Wäre aber historisch ...

... historisch würde ich da groß mit rauskommen, auf jeden Fall. Aber auch andere Vorschläge, die in der Stadtverordnetenversammlung gekommen sind - werdet einfach vertragsbrüchig und überweist dem Land nichts mehr z. B. - führen ja zu nichts. Ich muss da weiter auf dem Pfad des Seriösen bleiben. Was ich selber nüchtern feststellen muss: Trotz der engen Kontakte zu den Unternehmen hat das Frühwarnsystem offensichtlich versagt, da müssen wir schauen, woran das hängt. Wenn mir ein großes Unternehmen gesagt hätte, 2016 war ein absolutes Ausreißerjahr, wir sehen schon wieder dunkle Wolken am Gewerbesteuerhimmel und wahrscheinlich geht es 2017 wieder deutlich zurück, dann hätte ich die Ansätze im Haushalt nicht so gebracht. Aber die Signale waren, es geht eher so weiter.

Mal ganz grundsätzlich: Ist der Erfolg der HH-Konsolidierung nicht viel weni- ger Ihr grün-schwarzer Verdienst, son- dern mindestens auch der aufgrund der 0-Zins-Politik boomenden Konjunktur zu verdanken? Haben Sie nicht einfach auch ne riesige Portion Glück gehabt?

Ja, wir hatten das Glück der Konjunk- tur auf unserer Seite. Aber wir hatten auch das Glück des Tüchtigen, wir haben mit un- serem 200-Punkte-Konsolidierungsprogramm auch auf der Ausgabenseite einige unangenehme Entscheidungen getroffen. Die Konsolidierung in dieser Größenordnung konnte nur klappen durch weniger Ausgaben und gleichzeitig viel mehr Einnahmen.

Wenn die meisten kommunalen Aufgaben Pflichtaufgaben sind und die sog. freiwilligen Leistungen ja auch nur formal eine Kür, denn ohne sie gäbe es keine „Stadtkultur“, dann haben wir dochein strukturelles Finanzierungsproblem der Kommunen, also nicht nur in Darmstadt. Gleichzeitig kann sich der Bund vor Einnahmen kaum retten. Wel- che Maßnahmen könnten denn aus ih-rer Sicht verhindern, dass eine Kommu-ne nach der anderen an die Wand fährt?

In der Tat, die Kommunen haben mit der Grundsteuer und der Gewerbesteuer die beiden unattraktivsten Steuerarten. Die Gewerbesteuer, weil sie sehr konjunkturanfällig ist, und die Grundsteuer, weil sie nicht von alleine steigt, der Messbetrag des Häuschens bleibt auf ewige Zeiten gleich. Wenn sie am Hebesatz nicht drehen, steigt die Grundsteuer überhaupt nicht, während für den Bund die Umsatzsteuer oder die Einkommenssteuer automatisch steigt. Schäuble kann sagen, ich habe die Steuern nicht erhöht, hat aber trotzdem jedes Jahr mehr Umsatzsteuer in der Tasche, weil der Preis für die Fernreise oder die Jeanshose immer höher wird. Insofern wäre ich gerne bereit, von der Gewerbesteuer Anteile abzugeben und dafür Umsatzsteuer vom Bund zu erhalten.

Gute Kämmerer haben ja immer noch ein paar heimliche Reserven in der Hinterhand, Sie auch? Oder sterben doch noch ein paar Projekte den Heldentod? Wird der Haushalt 2017 also ausgeglichen, trotz nichterhöhter Grundsteuer, weil sie noch einen Joker haben?

Einen richtigen Joker habe ich leider nicht in der Hand. Wir sehen natürlich immer, dass in den Haushaltsstellen am Ende immer noch was übrig bleibt. Deshalb erwarte ich ja auch jetzt von der Haushaltssperre noch mal mindestens 12 Millionen an Einsparungen, aber es wird trotzdem schwer sein, den Ausgleich dieses Jahr hinzubekommen. Der Überraschungsjoker wäre natürlich, was in der Vergangenheit andere Kommunen und auch wir in Darmstadt praktiziert haben, Tafelsilber zu verkaufen. Aber so schlimm ist die Situation nicht, dass wir das jetzt machen sollten.

Es muss ja das Ziel aller Parlamentarier sein, einen ausgeglichen Haushalt 2017 hinzukriegen, sonst kommen 186 Millionen Schulden aus dem Rettungsschirm zurück. Und dann wären wir ja doch ganz nahe an der einen Milliarde, oder?

Ja, das wäre dann so. Aber ich habe ja dochdieHoffnung,dassunsderdritteaus- geglichene Haushalt hintereinander gelingt. Damit hätten wir die Bedingungen des Rettungsschirms erfüllt ...

... und das Damoklesschwert wärenicht mehr ganz so scharf. Sie sind ja auch Klinikdezernent, darüber hatten wir ja schon kurz gesprochen. Sie ha- ben sich am Bauschild vor dem Stadt- krankenhaus fotogra eren lassen. Wür- den Sie sich im Stadtkrankenhausauch bedenkenlos operieren lassen?

Auf jeden Fall. Es war lange ein Ärgernis, dass teilweise der Ruf unseres Hauses nicht der guten Qualität entsprach. Wir haben so viele Leuchttürme, aktuell hat der Focus drei unserer Chefärzte zu den führenden Ärzten Deutschlands erklärt, wir sind in ganz, ganz vielen Disziplinen richtig sehr gut aufgestellt. Wir müssen, und da sind wir auch schon da- bei, noch mehr Werbung machen und die Öffentlichkeitsarbeit weiter verbessern.

Am Ende Ihrer nächsten Amtszeit sind Sie erst 54, könnten also mit hauptamtlichen Magistratsjahren das silberne Dienstjubiläum schaffen. Wär das was?

So weit habe ich noch gar nicht gedacht und ich habe mir nicht zum Ziel gesetzt, das unbedingt 25 Jahre zu machen. Ich würde gerne diese Amtsperiode erfüllen und ich könnte mir vorstellen, auch zum dritten Mal anzutreten, also dann bis 60. Und ich könnte mir gut vorstellen, dann noch mal etwas anderes zu machen. 

Wollten Sie eigentlich schon als Kind Kämmerer werden ? Oder Lokomotivführer? Oder Feuerwehrmann?

Kämmerer natürlich nicht, ich habe allerdings schon früh gewusst, dass ich Volks- wirtschaftslehre studieren will, hab mir aber nie träumen lassen, in den öffentlichen Dienst zu gehen. Für mich war als Student eher die freie Wirtschaft das Ziel. Aber ich hab das keine Sekunde bereut, auch jetzt nicht, wenns mal wieder schwieriger ist, mir macht der Job sehr, sehr viel Spaß.

Würden Sie Ihren Töchtern empfehlen, in die Politik zu gehen? Oder doch lieber Grund- schullehrerin zu werden, wie die Mutter?

Meine Frau geht voll in ihrem Job auf, insofern kann ich das meinen Töchtern nur empfehlen. Und wenn sie heute eine gescheite Frau sind und entscheiden sich für die Politik, wo wir immer noch einen absoluten Frauenmangel haben, dann können sie da natürlich auch was werden.

Ihr größter Wunsch für Ihre 2. Amtszeit?

Dass wir den Haushaltsausgleich weiter hinbekommen und dass das Klinikum im Zeit- und Kostenrahmen bleibt und wir 2020 ein ganz tolles neues Gebäude einweihen.

Ist der geklaute Wohnwagen wieder aufgetaucht oder gibts schon einen neuen?

Nein, der Wohnwagen ist nicht wieder aufgetaucht. Es ist leider auch so, dass im Moment der Wohnwagenmarkt total leerge- fegt ist, es ist also so schnell kein neuer zu kriegen. Ich hab auch keine Hoffnung mehr, dass wir ihn wieder nden. Deshalb ist der Campingurlaub, der schon gebucht war in Spanien, abgesagt.

Und was ist jetzt die Alternative?

Wir haben für zwei Wochen ein Ferienhaus in Ungarn gebucht. Aber wir werden in jedem Fall einen neuen Wohnwagen kaufen und wieder zum Camping zurückkehren.

Dann einen schönen Urlaub und vielen Dank für das Gespräch. 

Vita: 

*16. April 1969 in Wuppertal, studierte an der Westfälischen-Wilhelms-Universität Münster und schloss 1997 als Diplom-Volkswirt ab. Danach folgten berufliche Stationen als Projektleiter bei der Überörtlichen Prüfung Kommunaler Körperschaften, als Referent für Grundsatzfragen des Haushalts-, Kassen- und Rechnungswesens beim Hessischen Rechnungshof, als stellvertretender Referatsleiter beim Landesbeauftragten für Wirtschaftlichkeit in der Verwaltung und als Leiter des Referates „Organisations- und Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen“ beim Hessischen Rechnungshof in Darmstadt. Seit 22.06.2011 ist Schellenberg Kämmerer der Stadt Darmstadt. Er ist verheiratet und hat zwei Töchter. 

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