Engagiert für Darmstadt

Interview mit Kerstin Lau

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© Mitsch Schulz

Kerstin Lau wurde 1971 geboren, sie ist Gründungsmitglied und Fraktionsvorsitzende der Fraktion „Uffbasse“ und seit elf Jahren Stadtverordnete im Darmstädter Parlament. Sie ist Diplom-Sozialpädagogin, Mediatorin und arbeitet derzeit als stellvertretende Teamleiterin und Accountmanagerin im Personalbereich der Telekom. Kerstin Lau ist alleinerziehende Mutter von zwei Söhnen (11 und 15 Jahre).

In der Reihe „Predigten in der Gegenwart“ der Stadtkirche Darmstadt spricht Kerstin Lau am Sonntag, dem 22. März 2015 um 10.00 Uhr, zu dem Thema „Reichtum ohne Arbeit“. Ich treffe Kerstin in einem Darmstädter Café und spreche mit ihr über ihr vielfältiges Engagement, ihre Predigt in der Stadtkirche und ihre Vision von glücklicheren Menschen.

Kerstin Lau: Es gibt eine ganz eindeutige Entwicklung dahin, dass Menschen, die reich sind, immer reicher werden und Menschen, die arm sind, auch mit Arbeit keinen Wohlstand mehr erlangen können. Nach den aktuellen Zahlen, die ich unglaublich finde, besitzen die 85 reichsten Menschen der Welt genauso viel wie die ärmere Hälfte der Weltbevölkerung, also so viel wie 3,5 Milliarden Menschen zusammen.

FRIZZ: Wenn man das hört, vor allem diese deutlichen Zahlen, hat man das Gefühl, dass jeder vernünftige Mensch damit einverstanden ist, dies so schnell wie möglich zu ändern. Warum verändert sich nichts? Und was könnte man denn ändern?

Kerstin Lau: Mein Thema ist erst mal zu schauen, was Reichtum überhaupt ist. Da geht es natürlich auch um Reichtum außerhalb des Materiellen. Was brauchen Menschen, um ein reiches Leben zu führen? Da halte ich auch ein Grundeinkommen für eine sehr sinnvolle Sache, weil ich glaube, dass wir von dem Dogma der Arbeitsgesellschaft wegkommen müssen. Wir haben ja dieses alte christliche Paradigma, dass wir immer noch nach dem Motto leben: „Wer nicht arbeitet soll, nicht essen“. D.h. es ist immer noch so, dass Menschen, die keine Arbeit haben, sich bei uns wertlos fühlen und auch oft keine gesellschaftliche Teilhabe mehr haben.

Gleichzeitig führt die Digitalisierung unserer Arbeitswelt aber dazu, dass wir immer weniger Arbeitsplätze haben. Trotzdem sind wir nicht bereit, uns das einzugestehen und neue Wege zu gehen. Im Augenblick ist es so, dass viele Menschen einfach keine Möglichkeit besitzen, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen und andere Menschen haben dafür immer mehr Arbeit. Da sind dann Leistungsträger, die mit 40 einen Burn Out haben und die anderen, die sich zu Hause wertlos fühlen. Man könnte provozierend sagen: Die Fokussierung auf die Erwerbstätigkeit ist für viele Menschen die Quelle ihres Leids.

Ich glaube ein Grundeinkommen wäre eine gute Möglichkeit, den Menschen die Sicherheit zu geben sich zu entfalten, so dass man genug hat zum Leben und dann sehr frei entscheiden kann: Wo sind meine Stärken? Wo kann ich mich an der Gesellschaft beteiligen? Letztendlich ist das auch die einzige Möglichkeit, wie wir zukunftsfähig werden.

FRIZZ: Was genau steckt hinter der Idee für ein  Grundeinkommen?

Kerstin Lau: Es gibt für das Grundeinkommen weltweit verschiedene Modelle. Die Idee dahinter ist, dass jeder, unabhängig von Bedürftigkeit und ohne Gegenleistung, einen bestimmten Betrag zur Verfügung gestellt bekommt. Dafür würden die allgemeinen steuer- und abgabenfinanzierten Sozialleistungen wie Arbeitslosengeld, Sozialhilfe oder Kindergeld entfallen. Als einzige Steuer würde es noch eine Konsumsteuer geben. Ergebnis wäre eine Grundsicherung, die das Existenzminimum würdevoll sichert. Dann kann jeder noch dazu verdienen, was er gerne möchte und sich da einbringen, wo es ihm gerade wichtig ist. Arbeit gehört für die meisten Menschen dazu, weil der Mensch ein soziales Wesen ist und sich ausprobieren möchte.  

FRIZZ: Was bewegt Dich eigentlich zu Deinem Engagement? 

Kerstin Lau: Ich habe viel Glück im Leben gehabt. Mir geht es sehr gut und ich möchte gerne etwas zurückgeben, von dem was ich bekommen habe. Das hört sich sehr kitschig an, aber ich möchte gerne etwas Liebe und Verständnis in die Welt geben. Das ist meine Hauptintention und ich habe festgestellt, dass ich oft einen guten Riecher für bestimmte Sachen habe und Dinge produktiv vorantreiben kann, auch in Konfliktsituationen, wie es sie oft in der Politik gibt. Eine Eigenschaft von mir ist, Dinge deeskalierend  und vermittelnd zwischen verschiedenen Interessen voranzutreiben.

Es gibt unheimlich viele Menschen, die an unserer Gesellschaft leiden und man kann davor nicht mehr die Augen verschließen und sagen, dass es halt immer so weiter geht. Obwohl wir alle Möglichkeiten haben, gibt es eine ständige Zunahme von psychischen und physischen Erkrankungen. Wir müssen daran arbeiten, dass Menschen wieder glücklicher sind. Ich wünsche mir, dass es mal einen gesellschaftlichen Diskurs darüber gibt, warum so viele Menschen an irgendeinem Punkt in ihrem Leben aus dem System fallen, krank werden, zerbrechen, keine Kraft mehr haben oder keinen Anschluss mehr finden. Politisch habe ich mich immer engagiert, um eine Lobby für die Menschen zu bilden, die keine Lobby haben.

FRIZZ: Dein Engagement bezieht sich ja vor allem auf Darmstadt?

Kerstin Lau: Ja, ich glaube, dass die Kommune nach der Familie die Kernzelle der Gesellschaft ist. Ich glaube, dass es wichtig ist, dass man sich in seinem direkten Lebensumfeld engagiert. Ich bin politisch interessiert und schaue, was national und global passiert, aber wichtig ist für mich das direkte Umfeld, weil ich da Einfluss nehmen kann. Ich bin deswegen in der Kommunalpolitik bei Uffbasse tätig. Uns ist es wichtig, dass Dinge, die die Menschen vor Ort betreffen, gesehen und Lösungen umgesetzt werden. Hier kann ich direkt etwas bewegen.  Daher bin ich auch im Fanbündnis aktiv. 

FRIZZ: Was ist das Fanbündnis?

Kerstin Lau: Wir hatten damals in die Magistratsvorlage mit der Machbarkeitsstudie über den Umbau des Böllenfalltorstadions eine Fanbeteiligung mit aufnehmen lassen und das ist, soweit ich mich erinnere, auch einstimmig von den anderen Fraktionen angenommen worden. Meine Vision war, dass es vielleicht ähnlich werden kann wie bei Union Berlin. Dieser Stadionbau kann die Stadtgesellschaft zusammenbringen, er kann sie aber auch entzweien. Deswegen ist es wichtig, die Menschen ins Boot zu holen und zu beteiligen. Ich träume wirklich davon, dass wir da oben am Böllenfalltor stehen, in der ganzen Vielfältigkeit wie Fußballfans sind, mit allen Nationalitäten, allen Bildungsgraden, allen Interessenslagen und tatsächlich beim Stadionbau Hand anlegen. Das ist meine Vision. So ist das mit dem Fanbündnis entstanden. Dann sind sehr viele tolle Fans dazugekommen, die auch noch andere wichtige Aspekte mit eingebracht haben, z.B. fanfreundliche bauliche Vorstellungen, die Vermeidung von Baufehlern und die Idee, die wirtschaftliche Konzeption so sicher zu machen, dass sie weder den Verein noch die Stadt in finanzielle Schieflagen bringt. 

FRIZZ: Du bist leidenschaftlicher Lilienfan, was machst Du noch gerne?

Kerstin Lau: Ja, ich gehe wahnsinnig gerne ins Stadion oder auf den Fußballplatz, da sind meine Söhne mit verantwortlich, die beide richtig gut Fußball spielen. Vorher hat mich Fußball nicht wirklich interessiert. Die Lilie ist übrigens wirklich meine Lieblingsblume, eine geradegewachsene sehr ausdauernde Blume, die nicht so empfindlich ist, mit einer auffälligen Blüte, die Reinheit, Unschuld und Licht verkörpert. Eine wunderschöne Symbolik, die man auch zumindest im Augenblick auf den Verein, auf das, was die Mannschaft leistet, übertragen kann.

Ich lese gerne gute Romane und jede Menge Fachliteratur, auch viel Politisches. Ich besitze zwar ein E-Book, aber ich lese gerne richtige Bücher, ich mag Papier und schreibe auch gerne. Ich gehe gerne auf Konzerte. In Darmstadt gibt’s z.B. tolle private Bedroomkonzerte. Da muss man sich anmelden und die Karten werden verlost. Das sind immer tolle Überraschungskonzerte in Wohnzimmern oder Büros, bei denen so 30 bis 40 Leute an einem sehr privaten Konzert teilnehmen können. Da trifft man gute Leute.  Außerdem gehe ich gerne ins Fitnessstudio.

FRIZZ: Hast Du einen aktuellen Ausgehtipp?

Kerstin Lau: Ja, im Moment stehe ich auf die Galerie Kurzweil, eine Mischung aus Club mit moderner Musik und Kulturangeboten. Die Macher sind auch echte selfmade-Leute. Das passt so zu meinem Lebensmotto: Engagement lohnt sich immer und man bekommt immer etwas zurück, auch wenn es manchmal nur Anerkennung ist.

FRIZZ: Vielen Dank für das Gespräch!

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