Stadtverordnete mit Kind und Kegel

Über die Vereinbarkeit von politischem Ehrenamt und Familie

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Darmstädter Stadtverordnetenversammlung. Bei ihrer Wahl 2016 waren sie noch U 30, Kinder hatten sie noch keine. Anne war schwanger, Hannah kam kurz nach der Wahl im März 2016 auf die Welt. Paul und Julia Wandreys Tochter Sophia wurde zwei Jahre später im März 2018 geboren, Nachwuchs #2 kündigt sich sichtbar an und wird im Laufe dieses Oktobers erwartet. Aktuell jüngstes Stavo-Baby ist Anton, der inzwischen sechs Monate alte Sohn von Sofia. Mutter und Papa Robert Heitzmann sind gerade beide in Elternzeit und genießen diesen Lebensabschnitt sehr. 

Bereits fünf Wochen nach der Geburt, also noch während des Mutterschutzes, nahm Sofia Ganter wieder an einer Fraktionssitzung teil, Anton als Stillkind war natürlich mit dabei. Hannah ging es nicht viel anders. „Seit sie auf der Welt ist, kommt sie zu den Fraktionssitzungen mit”, erzählt Anne, Hannah galt zwischenzeitlich in der SPD schon als „unser Fraktionsbaby”. Als dann Papa Oliver Bernasconi in die Elternzeit wechselte und Hannah zu Hause blieb, bedauerten das viele in der SPD-Fraktion.

Natürlich gibt es nicht nur Verständnis. Die Stavo sei eben hinsichtlich der Kinderfreundlichkeit ein Spiegel der Gesellschaft, stellt Sofia fest. „Muss das Kind denn immer dabei sein?” Fragen wie dieser musste Anne sich stellen, und sie lieferte auch gleich die Antwort: „Häufig geht es eben nicht anders.” Sie und Oliver arbeiten beide 75%, trotzdem funktioniert es nur, wenn das gesamte Umfeld unterstützend wirkt. Und: „Es klappt nicht, wenn der Partner in gleichem Maße aktiv ist.” 

„Einer muss häuslicher sein”, bestätigt Sofia. Sie weiß von mindestens einer früheren Fraktionärin, die nicht mehr zur Wahl antrat, als die Kinder älter wurden. „Wenn Anton älter ist, stellt sich mir die Frage auch.” Noch ist er pflegeleicht, während der Stavo-Sitzungen ist er bei Papa Robert in der Lobby, Sofia verlässt das Plenum, wenn Anton Hunger vermeldet.

Auch Paul macht zwischendurch Sitzungspausen und trifft sich mit Frau und Tochter. „Das tut gut”, sagt er und freut sich über das bisschen mehr Zeit, das die Familie dadurch zusammen hat. Denn politisches Ehrenamt ist zeitintensiv. Außer den Stavo-Sitzungen gibt es noch „endlos viele Termine”, Ausschüsse, Arbeitskreise, Koalitionsrunden. „Und natürlich will man auch für die Menschen ansprechbar sein, daher kommen noch Veranstaltungen, Feste, Kerben usw. dazu.” Paul ist zudem noch Parteivorsitzender der CDU, er arbeitet Vollzeit und ist „eigentlich jeden Abend und mehrmals am Wochenende” unterwegs. Hauptsächlich entlastet ihn dabei sein Frau. „Ohne sie würde bei mir gar nichts klappen.”

Derzeit gibt es in der Darmstädter Stadtverordnetenversammlung 7% Väter und Mütter mit Vorschul- oder Schulkindern. Der Anteil an der Gesamtbevölkerung liegt laut Auskunft des Amtes für Statistik und Stadtforschung bei ca. 30%.  Sofia, Anne und Paul sind sich parteiübergreifend einig, dass sich daran etwas ändern muss. Die Parteien müssten sich weiter öffnen, da sei zum Glück schon einiges passiert. Paul wird deutlich: „Der ganze Betrieb der Stadtverordnetenversammlung müsste verträglicher werden. Keine Termine in den Kernarbeitszeiten, keine Mammutsitzungen, wo jeder sich ständig wiederholt. Und mehr Verständnis, wenn man nicht jeden Montag zur Fraktionssitzung kommen kann.” Auf die Frage, ob der Politikbetrieb kinderfeindlich sei, ist die Antwort aller diplomatisch: „Er ist zumindest nicht kinderfreundlich.”

Immerhin, die konkreten persönlichen Erfahrungen sind gut. Anton wird im Sozialausschuss auch schon mal von der Dezernentin höchstpersönlich auf den Schoß genommen, wenn er quengelt. „Er ist dort immer willkommen”, berichtet Sofia. Das gelte auch für Hannah, bestätigt Anne, hingegen würde sie „Hannah nur im Notfall mit in den Bauausschuss nehmen, der dauert zu lange und die Stimmung ist zu angespannt”.

Insgesamt betreiben Sofia, Anne und Paul ziemlich viel Aufwand für relativ wenig Anerkennung. Ein Grund mag sein, dass sie alle politisch sozialisiert sind. Sofias Weg führte über die Hochschulpolitik. Direkte Einsteiger in die Kommunalpolitik seien eher selten, konstatiert sie. Die Politisierung erfolge über Schülervertretungen, Elternarbeit oder Bürgerinitiativen. Die Erkenntnis, dass trotz allem persönlichem Einsatz die Entscheidungen dann doch von anderen getroffen werden, sei für viele der Impuls, sich schließlich doch parteipolitisch zu engagieren, weiß Anne. „Mein Vater war auch schon Fraktionsvorsitzender”, erzählt sie, die selbst gerade Fraktionsvize geworden ist, „ich wusste also, was hinter so einem Ehrenamt steht.” „Parteilogik abkönnen”, formuliert Sofia, müsse man schon,  was Paul, dessen Frau auch CDU-Mitglied ist, bestätigt.

Auffällig ist es schon, dass es in der Darmstädter Kommunalpolitik historisch und aktuell eine ganze Reihe von familiären Verknüpfungen gibt: BGM Rafael Reißers Vater war auch schon im hauptamtlichen Magistrat, seine Schwester Andrea ist jetzt ins Parlament nachgerückt. Dagmar Metzger ist die Schwiegertochter bzw. -enkelin zweier Darmstädter OBs, Yücel Akdeniz, Fraktionsvorsitzender der Grünen, ist mit Sozialdezernentin Barbara Akdeniz verheiratet, das Uffbasse-Ehepaar Hang ist im ehrenamtlichen Magistrat und im Parlament vertreten.

Am Geld, wie hin und wieder gemunkelt wird, kann so viel politische Engagement wohl nicht liegen. Von den monatlich 350 € Entgelt müssen je nach Partei zwischen 65 und 100 € abgeführt werden. „Was wir behalten, ist eine kleine Aufwandsentschädigung”, sagt Anne. „Es ist eben ein Ehrenamt”, ergänzt Sofia. Paul sieht das kritischer: „Verglichen mit den Kosten, die man hat, zahlt man drauf. Hier muss mal was passieren, auch wenn diese Ansicht nicht populär ist.”

Ihr Engagement wollen sie trotzdem nicht missen. „Es ist anstrengend, es ist oft zermürbend und alles dauert ewig, aber manchmal hat man Gelegenheit zu sagen: Hier habe ich etwas bewirkt“, resümiert Paul. Und alle drei wissen, dass gerade sie gebraucht werden, denn „es ist unglaublich wichtig, dass gerade junge Familien politisch repräsentiert sind.”

Werden Sofia Ganter, Anne Marquardt und Paul Wandrey deshalb bei der nächsten Kommunalwahl im Frühjahr 2021 wieder kandidieren? „Ja”, bestätigt Paul. „Stand jetzt, ja”, sagt auch Sofia. Anne hält kurz inne, bevor sie „Ich denke schon” antwortet.


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