„Es ist schön, wenn man für sich sagen kann, du durftest zu einer Entwicklung beitragen.“

In diesem Jahr feiert die Stadt Darmstadt „20 Jahre Wissenschaftsstadt“, am 13. August 1997 wurde Darmstadt diese Marke verliehen. Wir sprachen mit den Erfindern der „Wissenschaftsstadt“: Peter Benz und Jan Wörner

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© Klaus Mai

Herr Benz, Herr Wörner, bleiben wir zunächst mal in der Gegenwart. Was bestimmt den Alltag eines Ex-OB, was den des Generaldirektors der ESA in Paris?

Benz: Der Alltag? Der ganz normale Alltag? Ja, da muss ich ja lange überlegen (lacht).

Wörner: Das ist doch schon ne gute Antwort (lacht)!

Benz: Ja, was mach ich denn eigentlich? Wörner: Bücher lesen.

Benz: Ja, Bücher lesen. Und dann Gartenarbeit. Und die Familie fordert auch ihren Tribut. Bücher und Schreiben, Gartenarbeit, Familie, das ist der Dreiklang.

Wörner: Der Generaldirektor versucht klarzumachen, dass Raumfahrt etwas ist, was wir mittlerweile als Infrastruktur benutzen, was aber gleichzeitig auch den Menschen so etwas wie Träume zeigen kann. Mein Alltag wird bestimmt durch extrem viel Reisetätigkeit, 22 Mitgliedsländer in Europa fordern ihren Tribut, die wollen immer wieder, dass der Generaldirektor vorbeikommt. Und dann gibt es natürlich die Partnerschaften mit den anderen Ländern wie USA, Russland, Japan, selbst China.

Blenden wir 20 Jahre zurück, 1997. Sie, Herr Benz, waren OB im vierten Jahr, und Sie, Herr Wörner, TH-Präsident im zweiten Jahr?

Benz, Wörner: Stimmt, ja.

Wie kam es denn dann zu der Idee mit der „Wissenschaftsstadt“?

Wörner: Erst mal muss man sehen, dass wir beide schon vor dieser Zeit befreundet waren. Über die Kinder haben wir uns kennengelernt und schon vorher Dinge gemeinsam gemacht. Das war nicht nur die Beziehung zwischen einem Oberbürgermeister und einem TU- oder damals TH-Präsidenten. Und soweit ich mich erinnere, habe ich einen Brief geschrieben an den Oberbürgermeister. Ich habe geschrieben, die Stadt müsse sich identifizieren, es gäbe verschiedene Möglichkeiten, man könnte sich „Hochschulstadt“ nennen, wir könnten sagen „Universitätsstadt“, was sich dann aber nur auf eine Einrichtung beziehen würde, oder eben „Wissenschaftsstadt“.

Benz: Ja, und ich habe, als Jan damals TH-Präsident geworden ist, gesagt, das Verhältnis zwischen der Stadt und der TH muss besser werden, das waren in der Vergangenheit verschleuderte Ressourcen. Und aus diesem Grund hatten wir dann zusammen auch die Idee entwickelt, einen Stadtentwicklungsbeirat zu gründen. Wörner: Richtig.

Benz: Dieser Stadtentwicklungsbeirat sollte die Aufgabe haben Leitlinien zu entwickeln, wie sich die Stadt in der Zukunft präsentieren soll. Und in diesem Stadtentwicklungsbeirat waren alle in Darmstadt wichtigen Akteure vertreten. Dort ist die Idee entstanden, ein Kongress- und Wissenschaftszentrum zu bauen als Identifikationsort für Wissenschaft, und aus dieser Diskussion heraus ist dann auch die Idee gereift, eine Marke für die Stadt zu kreieren.

Wörner: Und du hast dann zwischendurch noch einen Brief geschrieben nach Wiesbaden an den Innenminister, dass du das gerne machen möchtest, und sie sollten doch mal prüfen, welcher Name angemessen wäre.

Benz: Genau. Wörner: Der Innenminister hat einen Gutachter eingeschaltet, der das bearbeiten sollte, und der Gutachter hat einen weiteren Gutachter eingeschaltet, also eine sehr weitläufige Geschichte. Jedenfalls, am Ende der Geschichte hat der Oberbürgermeister mir wiederum brieflich mitgeteilt, man habe sich entschieden für den Begriff „Wissenschaftsstadt“, alles andere wäre zu kurz gegriffen.

Benz: Ja, und „Wissenschaftsstadt“ ist damals schon ein Alleinstellungsmerkmal gewesen und so kam diese Marke zustande, auf die sich heute die Stadt gerne beruft. Wörner: Was uns freut. Benz: Was wunderbar ist.

Und der Zeitraum lag zwischen Ihrem ersten Brief und …

Wörner: Nein, wir hatten vorher ja auch schon ein bisschen im Privaten diskutiert, dass wir es doch schaffen müssten, auch auf der institutionellen Ebene stärker zusammenzuarbeiten, und da war dieser Stadtentwicklungsbeirat eine gute Möglichkeit. Wir haben uns relativ häufig getroffen, wir waren die einzigen, die immer dabei waren, die anderen haben immer mal gewechselt, aber wir beide haben es durchgehalten. Benz: Ja, ja, ja (lacht).

Wörner: Und als Peter entschieden hatte, „Wissenschaftsstadt“ ist der richtige Begriff, dann haben wir die Wissenschaft auch konkret aufgefordert mitzumachen. Wir haben gesammelt und kamen auf 30 wissenschaftliche Einrichtungen, die wir dann eingeladen und ihnen gesagt haben, wir müssen das auch in die Welt bringen und wollen ein Heft rausgeben. Dann hieß es: Jaaah, aber kostet das Geld … also, die Stadt und die TU haben das im Wesentlichen bezahlt, und die anderen sind mit kleineren Beiträgen eher so mitgelaufen. Als das Heft draußen war, dann wolten plötzlich alle dabei sein. Dann wollte sogar die Industrie mit dabei sein, das Klinikum, Röhm damals noch, Wella, also plötzlich haben auch die Firmen ihre „Wissenschaft“ als Teil der Wissenschaftsstadt gesehen. Was für uns beide wichtig war, weil wir „Wissenschaft“ nicht eng verstanden haben. Es gab ja auch die Frage: Wo bleibt die Kultur, wenn wir jetzt von Wissenschaft reden. Aber dann waren das Landesmuseum dabei, das Institut Mathildenhöhe, das Institut Wohnen und Umwelt. Wir haben eben versucht, es so breit wie möglich aufzustellen.

© Klaus Mai

Der Zeitpunkt, an dem Sie den Eindruck hatten, jetzt sind alle auf ihre Seite gestiegen, weil das Ganze erfolgreich zu werden scheint, war der schon vor der offiziellen Benennung oder …

Wörner: Nee, deutlich danach. Benz: Das war alles danach. Wörner: Als das Ortsschild montiert war, waren wir noch in einer Phase, wo man sagen konnte, das kann auch noch scheitern. Benz: Wo der Spott auch vorhanden war … Wörner: … wo es hieß, die Stadt ist viel zu klein … Benz: … und die Partei ist ja dann auch immer dabei … Wörner: … wie kann sich diese Stadt „Wissenschaftsstadt“ nennen? Benz: Dazu hatte mir damals Hans Joachim Langmann, man höre und staune, also der frühere Chef von Merck, gesagt: „Das ist völlig richtig, was Sie da machen, Herr Oberbürgermeister, unser Wissenschaftsetat am Standort Darmstadt ist größer als der gesamte Haushalt der Stadt Darmstadt.“ Das war für mich ein schlagendes Argument (lacht).

Die Mitstreiter, bevor es zum Erfolgsmodell wurde …

Wörner: … waren ein ganz kleiner Kreis. Das waren der Peter, also der OB, der TU-Prä- sident, Encarnação (Direktor des Fraunhofer-Instituts für Graphische Datenverarbeitung (IGD) in Darmstadt, Anmerkung der Redaktion) hat das auch ziemlich mitbetrieben, also, es war ein ganz kleiner Kreis. Benz: Na ja, als dann das Schild enthüllt wurde, nachdem der hessische Innenminister uns die Urkunde ausgestellt hatte, erschien darüber eine Mitteilung im Darmstädter Echo auf Seite 43 unten links (lacht).

Gut, die lokale Tagespresse hat ja nicht immer ein Gespür dafür, was erfolgreich werden könnte.

Benz: Noch eine Bemerkung zum Thema Wissenschaft versus Kultur, das wurde ja auch versucht zu spielen. Es war immer unsere Haltung, dass in Darmstadt Wissenschaft und Kultur eine Symbiose eingegangen sind. Jan hat dann vom Darmstädter Komponisten Arnold Mendelssohn das Darmstadt-Lied ausgegraben, und da gibt es eine Zeile: „Stadt der Wissenschaft und Kunst“ (lacht).

Wörner: Stimmt, ja … Benz: … aus dem Jahr 1924, 1925 etwa. Mendelssohn war ja der erste Büchnerpreisträger, aber, dass es ein Darmstadt-Lied von ihm gibt, das hab ich gar nicht gewusst, doch das hast du damals ausgegraben. Wörner: Ich weiß auch nicht mehr, wie ich das damals gefunden habe, aber irgendwie.

In dem Fall war es ja vielleicht so, dass nicht Sie das Darmstadt-Lied, sondern das Darmstadt-Lied Sie gefunden hat. Herr Benz, Sie zitieren ja gerne das Bonmot: „Herr OB, wenn ich gewusst hätte, wie es wird, wär‘ ich schon immer dafür gewesen.“ Trifft das auch auf die Marke „Wissenschaftsstadt“ zu?

Benz: Das trifft auf die Marke „Wissenschaftsstadt“ genauso zu wie für das Kongresszentrum.

Wörner: Wobei, beim Kongresszentrum haben die Leute ja hinterher angefangen mit der „Schepp Schachtel“. Das ist nach meiner Ansicht wirklich eine Verkennung der Situation, wenn man sich mal zurückerinnert, was da vorher war.

Benz: Es gab ja auch über etliche Jahre eine große Diskussion in unserem Stadtentwicklungsbeirat über den Standort des Wissenschafts- und Kongresszentrums, beispielsweise in der Weststadt. Wir waren aber der Auffassung, es muss in die Mitte der Stadt. Wörner: Um auch die Stadt zu beleben. Der Wettbewerb um das Wissenschaftsund Kongresszentrum war ja ein sehr spannender. Die Zeichnung des späteren Siegerentwurfes war für Laien schlecht lesbar. Die Fachpreisrichter haben sie uns dann noch mal erklärt, der Entwurf wurde von der Jury als preiswürdig erkannt und dann entsprechend ausgewählt. Und ich bin heute noch davon überzeugt, dass es die richtige Entscheidung war.

Benz: Ich kann mich noch erinnern, wie einer der renommierten Juroren vor der Zeichnung gestanden hat und in Lyrismen ausgebrochen ist (lacht). Wörner: Plötzlich wuchs das Bauwerk aus der Zeichnung heraus. Benz: Und im zweiten Anlauf hat die Jury den Chalabi-Entwurf nach ganz vorn gesetzt.

Wörner: Und sie hatte recht. Benz: Ja, denn wir wollten einen Solitär setzen. So, wie wir mit der „Wissenschaftsstadt“ eine Marke gesetzt haben, so wollten wir das auch mit dem Wissenschafts- und Kongresszentrum. Und eine genauso bewusste Entscheidung war, dass wir es „Darmstadtium“ genannt haben. Wörner: Auch das wurde heftig kritisiert, manche konnten es ja gar nicht richtig aussprechen, „Darm-stadium“ oder so ähnlich.

Wir hatten dazu ja einen Wettbewerb gemacht, die Vorschläge bewertet, und „Darmstadtium“ hatte eine solche Überzeugungskraft, dass nichts anderes in Frage kam. Es ist das Element, das in Darmstadt gefunden wurde. Wir haben dann immer gesagt, wir können auf dem Periodensystem der Elemente eine Reise machen: Wir fahren los in Europium, kommen über Germanium nach Hassium und von Hassium nach Darmstadtium. Und das ist einfach auch ein guter Marketing-Gag.

Benz: Genau.

Wörner: Mit der Aussprache ist es im Grunde auch ganz einfach. Ich habe den Leuten immer erklärt: Sagt einfach Darmstadt und hängt dann –ium dran.

Benz: Der Name gehört eben auch mit zur Markenbildung.

Darmstadt ist ja jetzt auch „Digitale Stadt“, ist das aus Ihrer Sicht eine konsequente Weiterentwicklung der Marke?

Benz: Ja, das ist eine konsequente Weiterentwicklung. Wir hatten ja in den 90er-Jahren den Hype mit dem Internet und der ganzen digitalen Entwicklung. Und wir haben damals mit der Weststadtentwicklung einen Schwerpunkt gelegt auf Technologie und Innovation.

Wörner: Das ist ja auch ein fast vergessenes Thema. Benz: Das war auch wieder eine Sache zwischen Stadt und damals TH, also Jan und mir, insbesondere das TIZ (Technologie- und Innovationszentrum, Anmerkung der Redaktion).

Wörner: Heute sagt ja jeder, westlich vom Bahnhof, das ist alles prima, aber damals war das Wüste. Da stand das Bosch-Gebäude, ein verrottetes altes Gebäude - mehr gabs da nicht. Benz: Dieses TIZ, das ist der Grundstein, auf dem heute die Digitale Stadt weiter entwickelt wird.

Wörner: Das müsste doch auch fast 20 Jahre her sein, oder? Benz: Ja, 1998. Und das ging damals Schlag auf Schlag. Auch die Tatsache, dass T-Online von Weiterstadt rübergezogen ist auf den Kavalleriesand, war eine ganz konsequente Entwicklung. Die Weiterstädter waren nicht umsonst auf mich sauer, dass ich ihnen T-Online abgeworben habe.

Sie haben beide in Ihrer gemeinsamen Zeit doch eine ganze Menge für Darmstadt bewirkt. Also, so ein Denkmal, wie z.B. Goethe und Schiller in Weimar, wäre das was für Sie, oder was wäre eine angemessene Würdigung?

Wörner: Also (lacht), wenn überhaupt, würden wir es nur gemeinsam machen, aber wir sind beide keine Personen, die Denkmä- ler für eine würdige Auszeichnung halten. Benz: Also, ich könnte mir vorstellen (lacht), dass wir beide auf dem Marktplatz verhüllt erscheinen, und dann ziehen wir beide … Wörner: … blank …

Benz: … an den Ecken und enthüllen uns … (lacht) Wörner: … uns selber. Nein, im Ernst, es ist schön, wenn man für sich selber sagen kann, du durftest zu einer Entwicklung beitragen, und ich glaube, das können wir beide. Peter natürlich viel mehr, was die Stadt anbelangt, und ein kleines bisschen durfte ich als Freund helfen, das ist schon ein sehr positives Gefühl. Die Stadt gibt einem ja als Bürger ganz viel, mir als TU-Präsident hat die Stadt auch ganz viel gegeben. Und dass man ein bisschen das Gefühl hat, man hat auch etwas für die Stadt getan, das finde ich einfach gut. Benz: Wenn man etwas erreichen will, muss auch die Chemie stimmen, und die hat bei uns einfach gestimmt. Und man muss auch einfach mal etwas wagen.

Und wenn eine Idee, die man gemeinsam entwickelt hat, nach 20 Jahren noch trägt, und alle sagen, ohne die Marke „Wissenschaftsstadt“ wären wir längst nicht da, wo wir heute sind, ist das viel mehr wert als ein Denkmal. Vielen Dank für das Gespräch.

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