„Dieses Familiäre, Bodenständige wird hier total gelebt.“

Dimitrios Grammozis ist seit dem 23. Februar Trainer der Zweitligaprofis des SV Darmstadt 98.

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©Florian Ulrich


Darmstadt ist seine erste Trainerstation im Profifußball. Mit ihm kamen Erfolg und Spielkultur, einige Lilien blühten sichtbar auf. Nach 63 Tagen im Amt war der Klassenerhalt fix. Das bescherte der Liliengemeinde noch drei sorgenfreie Spieltage.



FRIZZmag: Herr Grammozis, bei Politikern zieht man üblicherweise nach 100 Tagen eine erste Bilanz, Fußballtrainer kriegen häufig weniger Zeit. Ihre Zwischenbilanz ist ausgesprochen erfolgreich, nicht alle haben Ihnen das zugetraut. Welches Gefühl überwiegt: Stolz, Erleichterung, Genugtuung, Freude?

In erster Linie bin ich froh, dass wir den Klassenerhalt erreicht haben und nicht bis zum letzten Spieltag zittern mussten. Darauf war unser ganzes Handeln ausgerichtet, deshalb freuen wir uns natürlich, dass wir das Ziel erreicht haben und auch in der kommenden Saison in der 2. Liga spielen werden.

Ihre Familie lebt knapp 300 km von Darmstadt entfernt in Velbert. Wie schwer fällt Ihnen diese Trennung und wie halten Sie den Kontakt?

Ich bin ein absoluter Familienmensch, deswegen wünscht man sich schon, dass man die Menschen, die einem wichtig sind, öfter sehen kann. Aber ich telefoniere täglich mit meiner Frau und meinen Kindern, das gibt mir Kraft und lässt mich auch an ihrem Alltag teilhaben.

Sie sagten jüngst in einem Interview, Sie hätten Ihre Familie schon gerne bei sich. Ihre beiden Ältesten gehen zur Schule, der Jüngste ist im Kindergartenalter. Da hätte ein Ortswechsel schon spürbare soziale Folgen, oder?

Richtig, ich wollte sie nicht mitten im Schuljahr aus ihrem Alltag herausreißen, deswegen sind wir so verblieben, dass erstmal alles beim Alten bleibt. Aber natürlich wünsche ich mir mittelfristig, dass wir wieder zusammen sind und uns täglich sehen.

Beim FC Heidenheim, beim SC Freiburg oder auch bei Werder Bremen gibt es die Tradition langfristiger Trainerengagements. Beim SV Darmstadt 98 ist in den letzten 50 Jahren kein Trainer viel mehr als zwei Jahre geblieben - außer Bruno Labadia und Dirk Schuster. Werden Sie der Otto Rehagel Darmstadts? Den habe Sie ja in Kaiserslautern als Spieler noch selbst erlebt.

Das liegt ja nicht alleine in meiner Entscheidungsgewalt (lacht). Man kann im Profi-Fußball sowieso nie langfristig denken, dort zählt hauptsächlich die Kurz- und Mittelfristigkeit. Deswegen liegt mein primärer Fokus immer auf dem nächsten Wochenende, dem kommenden Gegner.

Sind langfristige Trainerengagements im modernen Fußball überhaupt noch vorstellbar? Oder macht der Trend, alle zwei bis drei Jahre „neue Impulse” zu setzen, mehr Sinn?

Es gibt Beispiele, die zeigen, dass es weiterhin Trainer gibt, die über eine längere Zeitspanne bei einem Verein in der Verantwortung stehen. Aber sicherlich sind insgesamt mittlerweile die Intervalle bis zur nächsten Veränderung auf der Trainerbank immer kürzer geworden. Letztendlich muss man als Trainer mit solchen Gegebenheiten leben. Entweder man geht diesen Weg mit oder nicht. Ich habe mich ganz bewusst für den Trainerberuf entschieden – mit allen möglichen Konsequenzen und Folgen.

Sie leben, seitdem Sie in Darmstadt sind, im Hotel. Das hat ja durchaus auch Vorteile, Udo Lindenberg z.B. kann sich das gar nicht mehr anders vorstellen. Suchen Sie noch nach einer Wohnung für sich?

Ich bin mittlerweile schon fündig geworden.

Wie gut kennen Sie sich schon in Darmstadt aus? Gibt es Lieblingsorte? Plätze, Kneipen, Bars?

In erster Linie ist mir die Gesellschaft wichtig. Hier in Darmstadt verbringe ich natürlich gerne Zeit mit meinem Trainerteam, insbesondere meine beiden Co-Trainer Iraklis Metaxas und Sven Thur kenne ich ja schon länger und habe dadurch auch eine große Vertrauensbasis. Da ist der Ort, wo wir Zeit verbringen, dann fast schon egal. Ich gehe aber ganz gerne mal abends essen.

Wie unbehelligt können Sie sich in Darmstadt bewegen? Werden Sie häufig erkannt und angesprochen? Und wie erleben Sie den Umgang mit den Fans?

Natürlich wird mal hier und da nach einem Autogramm oder einem Foto gefragt, aber diese Wünsche erfülle ich den Fans sehr gerne. Ich schätze an den Heinern ihre Begeisterungsfähigkeit und Leidenschaft für die Lilien, dennoch sind sie extrem höflich und zuvorkommend.

Für viele Lilienfans ist der SVD eine große Familie. Oder auch Familienersatz. Wie familiär geht es unter den Profis und Verantwortlichen zu? Oder ist das nur Show, weil es letztlich doch ums knallharte Geschäft geht?

Nein, dieses Familiäre, Bodenständige wird hier total gelebt. Das spüre ich tagtäglich, wenn ich auf der Geschäftsstelle bin und im Kontakt mit den Spielern, Verantwortlichen und Mitarbeitern stehe. Der Claim „Aus Tradition anders“ ist keine bloße Phrase.

Nach der Saison ist vor der Saison: Am letzten Juli-Wochenende startet die 2. Bundesliga in die neue Saison. Mit schon vollständigem Kader? Und wie geht es in den nächsten Wochen weiter?

Als Trainer wünscht man sich natürlich immer, seinen Kader so früh wie möglich bei sich zu haben, aber letztendlich muss man immer auch schauen, was auf dem Transfermarkt passiert. Grundsätzlich freuen wir uns, dass wir schon einen gewissen Stamm und eine gewisse Kaderstruktur aufweisen können und uns darauf basierend punktuell verbessern wollen. Der Sommer ist natürlich immer eine sehr spannende und intensive Phase, weil sowohl vom Kader als auch der Vorbereitung der Grundstein für eine hoffentlich erfolgreiche Saison gelegt wird.

20 Punkte in den 11 Grammozis-Spielen dieser Saison, hochgerechnet hätte das zum direkten Aufstieg gereicht. Dürfen die Lilien-Fans von der 1. Liga träumen? Oder müssen Sie sich wieder mit einer sorgenfreien Saison begnügen? Was sind Ihre Zielsetzungen?

Es wäre falsch, jetzt aufgrund der Ergebnisse der letzten Wochen Kampfansagen zu tätigen. Wir werden weiter demütig und auf dem Boden bleiben, wollen Stabilität in den Verein bekommen und uns weiter weiterentwickeln. Das hat für uns alle oberste Priorität, alles andere wäre vermessen.


Danke für das Gespräch und alles Gute für Sie, Ihre Familie und in der neuen Saison.

dimitrios_grammozis.vita


*8.7.1978 in Wuppertal, aufgewachsen in Velbert, wo er und seine Familie ihren Wohnsitz haben. Seine Fußballerkarriere begann er mit 6 Jahren bei  TuS Neviges, sein Weg führte ihn über Velbert und den Wuppertaler SV zur A-Jugend des KFC Uerdingen. 2006 spielte er sich in der 2. Bundesliga in die Stammformation und wechselte 1998 für zwei Jahre in die Bundesliga zum Hamburger SV. Seine weiteren Stationen: 1.FC Kaiserslautern, 1. FC Köln und Rot-Weiss Essen. Im Juni 2007 wechselte er zunächst in die 1. Liga Griechenlands, ein Jahr später zum zyprischen Erstligisten Omonia Nikosia, mit dem er 2010 Meister wurde. Seine aktive Spielerlaufbahn beendete er beim VfL Bochum II. Seit der Saison 2013/14 arbeitete er als Trainer beim VfL Bochum und trainierte zuletzt die U19. Seit dem 23.2.2019 ist er Trainer des Zweitligisten Darmstadt 98. Grammozis ist seit 2006 verheiratet und hat eine Tochter (11) und zwei Söhne (8 und 3).


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