„Gefühl für Wasser ist wichtiger als Kilometer.“

Das Wasser ist ein festes Element in der Familie von Vito Consalvo.

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Sein Vater war Schwimmtrainer, er ist es auch. Seit 2006 vermittelt der heute 38-Jährige das Wissen, zu dem auch viel Erfahrung als aktiver Schwimmer gehört. Gekrönt vom deutschen Meistertitel 1994 mit der Jugendstaffel der SG Frankfurt. Im Interview erzählt Consalvo auch über seine Arbeit in Darmstadt, wo er seit 2008 Schwimmer und Triathleten des DSW betreut.

FRIZZmag: Vito, du bist ein gefragter Schwimmtrainer, aber wie hast du selbst schwimmen gelernt?

Vito Consalvo: Erst bei meinem Vater, dann beim berühmten Stefan Mayer bei der SG Frankfurt. Ich war schon sechs Jahre alt, bin also relativ spät zum Schwimmsport gekommen im Vergleich zu heutigen Kindern.  Mein Vater wollte eigentlich, dass ich Boxer werde, aber das hat auch nicht funktioniert. Und auch im Turnen bin ich kläglich gescheitert. Also bin ich beim Schwimmen gelandet.

Hast Du dich  gleich wohl gefühlt im Wasser?

Damals hatte ich erst mal nicht den Eindruck, dass das meine Sportart ist, aber wir haben das durchgezogen.  Als es dann gut lief, hat es mir viel Spaß gemacht  - und mit acht Jahren bin ich auch schon die ersten Meisterschaften geschwommen.

Wann hast Du gemerkt, du hast auch Talent, den Leuten das Schwimmen beizubringen?

Als ich meinem Vater assistierte beim Kelkheimer SC. Er hat zu mir gesagt: Geh‘ doch mal mit zwei Kindern ins Wasser und zeig ihnen, wie eine Rollwende geht, bevor du es ihnen lange erklärst. Ich hatte damals noch keine Trainerlizenz. Aber ich habe gemerkt, dass bei bestimmten Dingen das Vormachen mehr Sinn macht als mit Trillerpfeife am Beckenrand zu stehen.

Du trainierst Profiathleten und Schwimmanfänger. Wo sind die Erfolgserlebnisse größer?

Definitiv bei den Kindern. Du hast Jungs und Mädchen, die sich nicht ins Wasser trauen oder ängstlich auf der Treppe sitzen – und nach 45 wollen die nicht mehr aus dem Wasser. Das ist etwas, das kann man nicht in Medaillen oder Preisgeldern ausdrücken. Wenn ein Kind vorher nicht ins Wasser will und kann  dann nach sechs Trainingseinheiten Rückenschwimmen, dann ist das eine wahre Transformation und das macht am meisten Spaß.

Wie schnell erkennt man, ob ein Kind auch Talent hat.

Ich glaube nicht an Talent. Es gibt eine Affinität zu Bewegung und es gibt Erfahrung. Jeder kann schwimmen lernen. Ich habe zuletzt einer 42 Jahre alten Frau aus Afghanistan das Schwimmen beigebracht. Eine erwachsene Frau, die vorher nicht ins Wasser wollte, schwimmt jetzt vier Schwimmarten. Sie hatte Urängste und sich regelrecht an mir festgekrallt. Darauf muss man Rücksicht nehmen.  

Du warst selbst Leistungsschwimmer, an welches Rennen erinnerst Du Dich am liebsten?

An die 4x100 Meter 1994 in Wuppertal, als wir Deutscher Jugendmeister geworden sind. Ich  werde nie vergessen, wie aufgeregt ich war. Auch von der Atmosphäre war das etwas, das ich vorher und nachher nie so erlebt habe. In der Mannschaft waren auch Legenden wie Sven Rehse und Harry Sedlmayr. Ich war der langsamste in der Staffel, bin an Position drei geschwommen und wir hatten schon einen Riesenvorsprung - da konnte ich nichts falsch machen.

Du sprichst von Legenden. Wer ist deine persönliche Legende im Schwimmsport?

Bei den Athleten muss man Michael Groß hervorheben, weil er unter den Bedingungen, die er in Offenbach hatte, das meiste rausgeholt hat. Seine Rekorde waren ja bis vor kurzem noch unerreicht. Was Trainer angeht, bin ich aktuell Fan von sehr vielen amerikanischen Trainern, die sich trauen, auch Dinge neu zu machen und durchzuziehen.

Fehlt es an solchen Leuten in Deutschland?

Mir fehlt es in Deutschland diesbezüglich an  Vorbildern, weil die Trainer nicht mutig genug sind. Natürlich arbeiten alle sehr erfolgreich. Aber das Element Wasser ist dazu da, es für sich zu benutzen und zu beherrschen. Dafür läuft es für mich in Deutschland zu konservativ.

Du persönlich schwärmst von der Zusammenarbeit mit Paralympics-Medaillengewinner Daniel Simon. Was war das Besondere daran?

Daniel ist eine Persönlichkeit, mit der man hundertprozentig arbeiten konnte. Nicht nur im Sport, sondern auch bezüglich Ernährung und Freizeitgestaltung. Auch seine Mutter hat immer 100 Prozent hinter dem gestanden, was wir vor hatten. Ich bin stolz auf  das, was wir erreicht haben, gerade damals  mit dem Weltrekord über 50 Meter Schmetterling. Denn die Bedingungen in Darmstadt sind und waren nicht so gut wie in Ländern seiner Konkurrenten. Dass wir uns da durchgesetzt haben, vor allem auch im sauberen Bereich, darauf bin ich bis heute noch sehr stolz.

Wie schwierig war es, einen sehbehinderten Schwimmer  zu trainieren?

Ich habe ihn im ersten Training gar nicht als sehbehinderten Schwimmer wahrgenommen. Mir ist nur aufgefallen, dass er von seinen Kollegen zugerufen bekam, wann er abgehen musste. Erst in Gesprächen habe ich rausgefunden, wie schwierig es für ihn ist. Ich bin ja jemand, der am Beckenrand mal gerne den Clown macht und wild gestikuliert. Als Daniel sagte: Ich sehe gar nichts und wenn du sagst, „Ellenbogen so halten oder Füße nach da“, dann habe ich keine Ahnung, was du da gerade gemacht hast. Ich habe mich dann näher mit ihm befasst, denn ihm fehlte auch so ein bisschen der Mut, weil er nicht so gefördert wurde, wie man es hätte müssen. Da haben wir uns dann drum gekümmert. Mit Erfolg.

Du bist beim DSW Darmstadt eingestiegen als Trainer für Schwimmer und bist dann zu den Triathleten gewechselt.  Welchen Unterschied macht es, nur „ein Drittel Trainer“ zu sein?

Gerade in der Zusammenarbeit mit den Spitzenleuten war es erst einmal frustrierend. Du bist nicht mehr die Nummer eins, denn da sind auf einmal Cheftrainer und Lauftrainer dazwischen - und man fällt aus allen Wolken. Aber ich habe mich daran gewöhnt und durch die Zusammenarbeit mit den Triathleten auch auf den Schwimmsport eine ganze andere Perspektive kennengelernt und verstanden, dass es beim Kraulschwimmen noch ein breites Feld an Varianten gibt, die man ausschöpfen kann.  Natürlich hast du Triathleten, die sagen: Das brauche ich nicht, ich reiß meine fünf Kilometer runter und dann geh ich nach Hause. Aber die Athleten, mit denen ich in der Früh-Trainingsgruppe beim DSW arbeite sind diejenigen, die sich darauf einlassen, mehr zu machen.

Dein wichtigstes Stilmittel gegen das berühmte Kachelzählen?

Ich bin ja verschrien als Technikfreak. Da rümpfen ja gerade die Triathleten häufig die Nase. Aber bei mir werden eher weniger Kilometer geschwommen und es wird mehr auf Wassergefühl geachtet. Bei einem Trainingsprogramm von fünf Kilometern sind 1,5 Kilometer reines Technikschwimmen. Viele Neulinge schütteln erst einmal den Kopf, bestätigen mir aber hinterher bei einem Stück Kuchen im Cafe Schwarz-Weiß, wie toll das ist, mal wieder so was gemacht zu haben.  Patrick Lange hat ja damals den Schritt von TuS Griesheim zum DSW ja auch unter anderem wegen des Schwimmtrainings gewagt.

Es gibt ein neues Projekt, in dem Du Dich in aller Bescheidenheit Schwimm-Guru nennst. Was steckt dahinter?

Name und Logo waren die Idee von Werner Giove, der Freitauchtrainer ist. Die Reaktion von dir ist wie bei den meisten, die fragen: Muss es unbedingt Guru sein? Aber wenn man schaut, was ich mittlerweile alles abdecke, dann hat das mit reinem Schwimmtraining nichts mehr zu tun. Sondern wir arbeiten mit Bewegungsformen, die teilweise an Synchronschwimmen, Wasserball oder Freitauchen erinnern. Einfach um Sportler das Gefühl für Wasser zu geben. Man kann sagen, ich habe dem Namen zugearbeitet - und deswegen passt der Titel auch ganz gut.

Du hast auch eine neue Außenstation in Groß-Gerau aufgemacht was passiert da?

Zusammen mit der Freedive-Academy haben wir im Hallenbad Groß-Gerau Bahnen gemietet, wo ab 13 Uhr kein öffentlicher Badebetrieb mehr herrscht. So können wir in aller Ruhe Einzeltrainings geben, die Atmosphäre ist fast wie in einem Stützpunkt. Das ist zwar erst angelaufen, aber ich bin schon bis Ende des Jahres komplett ausgebucht.

Wir sitzen hier zum Interview  in der luxuriösen Villa Kennedy in Frankfurt, ein Fünf-Sterne-Spa-Hotel ist eine eher ungewöhnliche Rahmen für Schwimmtraining…

Die Villa Kennedy hat einen eigenen Fitness-Trainer, einen eigenen Yoga-Lehrer und seit neuestem eben auch in mir einen Schwimmlehrer. Das Hotel besitzt einen 15 Meter langen Pool, der sich für den Schwimmsport überhaupt nicht eignet. Aber ich habe hier aufgrund der Beziehungen, die ich mir aufgebaut habe, die Möglichkeiten, mit Leuten in aller Ruhe an Dingen  zu arbeiten, die sie sich bisher nicht getraut haben. Wie zum Beispiel unter Wasser auszuatmen oder die Augen zu öffnen. Man glaubt gar nicht, wie viele Erwachsene das gar nicht können.

Beim Thema Bedingungen schneidet Darmstadt derzeit nicht ganz so gut ab…

Die Bedingungen hier sind eigentlich katastrophal. Beispiel Patrick Lange: Wir befinden uns in der Vorbereitung auf Hawaii und er kann aktuell nicht trainieren  Unsere Spitzenathleten wie Daniela Sämmer, Sean Donnelly und Patrick tun sich aktuell zusammen und trainieren im Hochschulstadion im Neoprenanzug auf eigene Kosten. Das sind Dinge, die passieren in anderen Ländern einfach nicht und da muss man vor  den deutschen Athleten den Hut ziehen, wie sie auf eigene Kosten und mit viel Kreativität ihr Training zu organisieren.

Umso erstaunlicher ist es ja, dass solche Topathleten dem DSW die Stange halten und sogar immer wieder betonen, wie wohl sie sich in Darmstadt fühlen…

Das hat eben auch mit der familiären Atmosphäre zu tun.  Du wirst in Darmstadt immer sehr herzlich aufgenommen. Viele Sportler nenne ich auch meine Freunde  und mit vielen Trainerkollegen wie Benjamin Knoblauch habe ich auch privat immer wieder zu tun. Da geht es im Vergleich  in Frankfurt doch eher kalt und distanziert zu.

In Frankfurt gibt es dafür wiederum ein Projekt, in das Du viel Herzblut steckst.

Ein Schwimmprojekt mit der Kinderonkologie der Uniklinik Frankfurt, das einzigartig ist in Hessen, vielleicht sogar in Deutschland. Kinder, die nach ihrer Bestrahlung wieder in sporttherapeutischer Behandlung sind, bekommen von mir Schwimmunterricht. Unterstützt werden wir von der Darmstädter „Du-musst-kämpfen Stiftung”. Ich bin sehr stolz darauf, dass mir die Verantwortlichen an der Uniklinik das Vertrauen ausgesprochen haben und die Eltern nach dem ersten Pilotprojekt total begeistert waren. Sie erzählen, dass die Kinder auch bei anderen Aktivitäten wieder Mut gefasst und wieder einen anderen Bezug zu Sport und Bewegung haben. Es ist ein total spielerisches Projekt, ohne Druck. Manche  Kinder machen ihr Seepferdchen, manche nicht, aber das ist total zweitrangig.

Wie verändert der Umgang mit Kindern, zu denen ein schweres Schicksal gehört, den eigenen Blickwinkel?

Das lernst du auf keinem Trainingslehrgang, dass zielorientiert arbeiten nicht immer heißt, etwas festes zu erreichen. Sondern hier ist der Erfolg im Gesicht zu erkennen. Wenn man sieht, dass die Kinder vorher Angst vor jedem Spritzer hatten und hinterher strahlen und schon wieder ins Wasser wollen.  Wir gehen damit nicht groß in die Öffentlichkeit, auch zum Schutz der betroffenen Eltern und Kinder. Aber  Ich hoffe, dass das Projekt so viel Anklang findet, dass es  auch deutschlandweit Schule macht.

Kontakt: vito@schwimm.guru

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