Durch Leid zur Leidenschaft

Dieter Gehbauer lebt die Lilien

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©Klaus Mai

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Früher hat er sich nie für Fußball interessiert. Heute huldigt fast jeder Zentimeter seiner Wohnung den 98ern. Dieter Gehbauer, der seit 2008 im Rollstuhl sitzt, lebt mit, durch und für den SVD. Ein Lilientempel mitten im sozialen Wohnungsbau.

Das kernige Gesicht blickt grinsend aus dem elektrischen Rollstuhl. Auf seinen Knien eine Decke der 98er, auf dem Schaltpult prangt ein Lilienaufkleber, ums Handgelenk das Johnny-Heimes-Armband mit der Prägung „DUMUSSTKÄMPFEN“. „Johnny hat mich beeindruckt!“, sagt Dieter Gehbauer.

„Ich steh nicht gerade auf der Sonnenseite des Lebens. Aber der Junge und die Lilien gaben mir immer wieder Mut und Lebensinhalt!“


Aufgewachsen im Kinderheim Traisa, zwei Schlaganfälle, ein Kindstod – der Mann mit der Lilienkappe auf dem Kopf hatte viele Gründe zu verzweifeln. Als seine Frau mit schon 36 Jahren starb, gab es nicht mehr viel, was ihn am Leben hielt.

„Es gab Momente, da wollte ich nicht mehr!“, gibt der 57-Jährige zu. Er isolierte sich, wurde depressiv. In einem seiner tiefsten Momente machte ihn ein Bekannter auf den Rollstuhl-Service des SV 98 aufmerksam. Der Verein bietet seit 2012 allen Menschen mit Behinderung an, sie zu den Heimspielen ins Stadion zu bringen. Damals waren die Lilien noch in der Regionalliga „Fußball war früher nie so mein Ding!“, erzählt Gehbauer. 2013 machte er zum ersten Mal vom Fahrdienst Gebrauch.

Ab da ging es mit der Mannschaft bergauf. Vielleicht hab ich ihnen ja Glück gebracht!“ 


sagt der Mann mit dem grauen Schnauzer und lacht. „Und die mir!“ Schon nach dem ersten Spiel sagte er zu Tomas Vollmar, dem Behindertenbeauftragen der 98er: „Ihr kriegt mich nimmer los!“ Seit 2014 ist er Vereinsmitglied. Der Bringservice ist für ihn kostenlos.

Das größte Ereignis für Gehbauer war der Aufstieg in die zweite Bundesliga. „Da durften alle Fans auf den Rasen. Die Stimmung war riesig!“ Mit dem Aufwärtstrend der 98er geht es auch Dieter Gehbauer immer besser. Von nun an sammelt er alles, was er von den Lilien kriegen kann. In seinem Flur hängen unzählige Trikots. Seine erste Errungenschaft war die 9 von Stroh-Engel. „Den fand ich immer am besten!“ Über dem Bett hängt ein gerahmtes Bild mit Sailer und ihm, beide damals mit langem Bart. Gemeinsame Fotos gibt es mit vielen Spielern, auch mit Ex-Trainer Schuster. Alle Fußballer halten einen engen Kontakt zu ihren Fans, gerade auch zu denen mit Einschränkungen, erklärt er.

Wir sitzen ja immer ganz nah an den Spielern dran. Die laufen immer direkt an uns vorbei und klatschen auch ab!


sagt er und berührt fast rituell seine silberne Lilienkette. Sie korrespondiert mit dem Lilienohrring und der Lilienuhr. Die ganze Wohnung, der ganze Mann leuchtet im Lilienblau. Auf dem Balkon und an der Wand hängen die Vereinsfahnen mit unzähligen Autogrammen, die Schubladen sind voll mit einschlägigen Schals und T-Shirts.

Viel hat Gehbauer nicht zum Leben. „Ich könnte mir die Fahrtkosten ins Stadion auf Dauer gar nicht leisten!“ Aber das sei ja auch, was den Verein ausmache. Das Soziale und der Kampfgeist. Jetzt hat er viele Bekannte und genießt das Gemeinschaftsgefühl. Zu seinem 55. Geburtstag hat er sich von seinem wenigen Geld ein Trikot mit seinem Namen drucken lassen. Da hat er extra drauf gespart. Vor einem Jahr hatte er wieder einen Schlaganfall. „Das war schlimm!“, meint er, aber dann hält er das Armband hoch: „Jetzt erst recht!“, sagt er und zeigt wieder sein Spitzbubenlachen.
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