„Ich habe in meinem Leben noch nie in einem Wohnwagen geschlafen.“

Bernd Salm im Interview

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© Klaus Mai

Als Bonvivant mit Musketierbart wurde er bezeichnet, Johnny Depp sei er ähnlich. Für Bernd Salm, den 1. Vorsitzenden des Darmstädter Schaustellerverbandes, war „Schausteller“ früher ein Schimpfwort. Wir sprachen mit dem „Gentleman der Bratwürste”.

FRIZZmag: Hallo Herr Salm, schön, dass Sie zu uns in die FRIZZ-Redaktion gekommen sind. Darf ich du sagen?

Bernd Salm: Klar, darf ich auch du sagen?

Logo. Also, wenn ich dich als erstes fragen würde, warum der Darmstädter Weih-nachtsmarkt dieses Jahr schon eine Woche vor dem Totensonntag anfangen musste, würdest du mir das immer noch gelassen und souverän beantworten?

Selbstverständlich, warum sollte ich das nicht.

Genau deshalb frag ich dich das nicht. Die Antwort kennt inzwischen ja jeder. Welche Bedeutung hatte für dich Weihnachten als Kind und wie ist das heute?

Weihnachten hat für mich eine sehr große Bedeutung. Ich liebe die Atmosphäre. Ich bin christlich erzogen und insofern ist mir auch die Bedeutung von Weihnachten sehr wohl bekannt. Ich nehme das sehr ernst und lebe das auch. Gleichwohl ist es so, dass ich bedingt durch meine Vita wenig vom eigentlichen Weihnachtsfest mitbekommen habe. Für mich und meine Eltern - wir machen dieses Geschäft ja schon seit 52 Jahren - fand die Weihnachtszeit auf Weihnachtsmärkten statt. Dennoch haben es meine Eltern immer geschafft, uns als Kindern dieses weihnachtliche Gefühl von Zusammensein, von Familie, von Geborgenheit zu vermitteln. Und Heiligabend haben wir zu Hause ganz feierlich verbracht, mit allem, was dazugehört. Das war meinen Eltern wichtig und ich habe versucht, das ganz genauso an meine Kinder weiterzugeben.

Du hast gerade schon euer Familienunternehmen erwähnt, du bist ja erst mit 40 eingestiegen in die Salmsche Imbiss-Dynastie. Davor warst du tätig als Bauzeichner, Architekt und in der Textilbranche. Das klingt nach einer anderen Idee vom Leben? Was war damals dein Traum?

Mein Traum war, Design zu studieren. Das hat sich nicht verwirklichen lassen, auch weil es dafür keinen Studienplatz in Darmstadt gab und ich als Nesthocker nicht bereit war, in eine andere Stadt zu gehen, schon gar nicht ins Ausland. Dann habe ich mich auf etwas Artverwandtes besonnen, nämlich Architektur, was ich auch sehr spannend fand, habe mich in Darmstadt eingeschrieben und dann gings los.

Und dann doch zurück in den elterlichen Betrieb, warum? Gab es einen konkreten Anlass oder war das eher eine längere Entwicklung?

Es gab einen ganz konkreten Anlass, aber ganz nebenbei: Ich habe seit meinem 11. Lebensjahr im elterlichen Betrieb mitgearbeitet. Das erste Mal war,  das weiß ich noch wie heute, bei der Arheilger Kerb 1976, ein scheißkalter November. Ich sollte Fischbrötchen machen, was faktisch gar nicht möglich war, weil der Fisch in der Brühe zum Block gefroren war. Da habe ich gleich die richtigen Erfahrungen gemacht und wusste, worauf ich mich später vielleicht mal einlasse. Ich habe in der gesamten Schul- und Studienzeit immer nebenher im elterlichen Betrieb gearbeitet. Meine Eltern haben dann irgendwann über die Fortführung des Unternehmens nachdenken müssen. Weil keiner der Söhne in Sicht war, die Geschäfte weiterzuführen, hat man sich mit einem Kollegen verständigt, ihm das Geschäft zu verkaufen. Der Kollege ist dann unerwartet verstorben, was die Alterslebenspläne meiner Eltern von heute auf morgen komplett über den Haufen geschmissen hat und sie dann gesagt haben: Okay, dann beerdigen wir das Unternehmen, das wars dann halt, fertig aus. Dann bin ich auf den Plan getreten und habe gesagt: Nein, das können wir nicht machen, das ist ein altes Darmstädter Familienunternehmen mit Tradition, ich versuche es fortzuführen, halb dieses Geschäft, halb Architektur. Das war 2005, aber es hat sich schnell herauskristallisiert, dass das so nicht geht. So habe ich mich dann im Sinne meiner Eltern und der Tradition für die Fortführung unseres Unternehmens, der Firma Salm, entschieden.

Du hast in den letzten zwölf Jahren einiges bewegt, Salm ein cooleres moderneres Image verschafft, klares Branding, zeitgemäßer Webauftritt. Braucht man das heute?

Ja, es ist ein sehr schmaler Grat, auf dem man da wandelt. Man darf seine Wurzeln nicht verleugnen und man muss natürlich mit der Zeit gehen, man muss beides verknüpfen. Wir verkaufen ja nicht nur Wurst und Getränke, wir haben auch eine Philosophie, wir wecken Emotionen und Träume. Das geht nicht nur durch ein absolut modernes betriebswirtschaftliches Vorgehen. Man muss immer versuchen, Träume zu bewahren und innovativ zu sein. Ich glaube, das gelingt uns derzeit sehr gut.

Das Image eines klassischen Schaustellers, so wie ihn sich meine Oma immer noch vorstellt, hast du ja eher nicht. Bonvivant mit Musketierbart hat man dich schon genannt, ein bisschen wie Johnny Depp, würde meine Mutter sagen, der Gentlemen der Bratwürste, sag ich. Wie siehst du dich selber?

Was ist denn eigentlich ein Schausteller? Wer stellt denn heute noch etwas zur Schau? Ich bin ein klassischer Gastronom, mit, wie es offiziell heißt, einem ambulanten Gewerbe. Das Berufsbild des Schaustellers hat sich extrem gewandelt, den klassischen Schiffschaukelbremser gibt es heute nicht mehr. Wir sind alle verantwortungsbewusste, selbstständige Betriebsunternehmer. Ich persönlich habe in meinem Leben noch nie in einem Wohnwagen geschlafen, es gibt keine anderen deutschen Städte, die wir mit unserem Geschäft bereist hätten, weil wir von jeher nur in Darmstadt Geschäfte tätigen. Insofern bin ich das absolute Gegenbeispiel eines klassischen Schaustellers. Früher war Schausteller für mich eher ein Schimpfwort. Heute bin ich 1. Vorsitzender eines Schaustellerverbandes und bin stolz darauf.

Wie wird man Vorsitzender des Darmstädter Schaustellerverbands? Muss man sich dieses Amt erkämpfen oder wird das an einen herangetragen?

Unsere Familie hat auch da eine lange Tradition. Mein Vater war mehr als 20 Jahre stellvertretender Vorsitzender des Darmstädter Schaustellerverbandes, insofern wusste ich, was es da zu bearbeiten gilt. Ich bin 2005 mit dem Schritt ins elterliche Unternehmen auch als Beisitzer in den Vorstand gewählt worden und habe mich dann - 2009 könnte das gewesen sein - schon einmal selbst zur Wahl gestellt, weil ich Verantwortung übernehmen und meine Vision eines Verbandes mit modernen Strukturen verwirklichen wollte. Ich wurde nicht ge-wählt, wahrscheinlich, weil ich als der Fatzke, der Snob angesehen wurde, der von außen kommt und mit der Schaustellerei eigentlich gar nichts am Hut hat. Daraufhin habe ich dieses Thema ad acta gelegt. Sechs Jahre später kam der Vorstand auf mich zu und hat mich gefragt, ob ich nicht 1. Vorsitzender sein könne. Ich habe mir ein halbes Jahr Bedenkzeit ausgebeten, um das mit mir selbst und meiner Familie zu klären, habe dann zugesagt und bin dann mit 98% der anwesenden Stimmberechtigten gewählt worden.

Dein Vorvorgänger Heini Hausmann war als Stadtverordneter für die SPD aktiv, wie steht es mit deinen Ambitionen? Welches Verhältnis hast du zur Stadtpolitik?

Ich bin an Politik extrem interessiert, aber ich bin nicht politisch engagiert. Das liegt zum einen daran, dass ich dafür keinerlei Zeitfenster frei habe, zum anderen, weil  ich das Amt des Vorsitzenden partei-politisch neutral führen möchte. Gleichwohl bin ich täglich in politische Ent-scheidungsprozesse eingebunden, zum Glück, wir arbeiten als Verband mit allen politischen Entscheidern hervorragend zusammen.

Man rühmt ja allenthalben dein soziales Engagement, du bist Mitglied im Lions Club und machst auch sonst richtig coole Sachen. Dieses Jahr habt ihr z.B. mit dem Schaustellerverband beim Schulfest der Wichernschule in Nieder-Ramstadt (eine staatlich anerkannte Förderschule in freier Trägerschaft, Anm. der Red.) einen echten Jahrmarkt aufgebaut. Hast du, wie man so schön sagt, ein großes Herz? Also nicht nur eins aus Lebkuchen, sondern ein richtig echtes?

Ich glaube, ich habe zwei davon. Das habe ich durch meine Erziehung von meinen Eltern mit in die Wiege gelegt bekommen. Deswegen war es naheliegend, dass ich irgendwann mal auch in einem Lions-Club lande, und deswegen war es auch naheliegend, mit einem Freund „Darmstädter helfen Darmstädtern” zu gründen. Mein soziales Engagement wurde noch verstärkt, weil es ein innerfamiliäres Ereignis gab, was nach sehr viel Leid zum Glück gut ausgegangen ist. Ich danke Gott dafür, dass es so gekommen ist. Von diesem Glück möchte ich jeden Tag ganz viel zurück geben an Menschen, die die-ses Glück nicht haben. Die Aktion in der Wichernschule war das Tollste, das Beglückendste, was ich jemals mit meinen Kol-legen auf die Beine gestellt habe, das war emotional so ergreifend und berührend, es gibt kaum Worte, das angemessen zu beschreiben.

Du hast dich vor der Pauluskirche fotografieren lassen, welche Bedeutung hat dieser Ort für dich?

Ich lebe seit 30 Jahren im Bezirk der Paulusgemeinde, meine Kinder wurden dort konfirmiert, ich habe viele Freundschaften dort geschlossen. Gerade vor Weihnachten hat dieser Ort eine besondere emotionale Bedeutung für mich.

Ich vermute, dein Lieblingsort derzeit ist euer Weihnachtsstadl auf dem Weihnachtsmarkt.

Ja, absolut.

Da ist ja am 23.12. Schluss. Und am 24.12.? Wie feiert Familie Salm Weihnachten? Elektrische Kerzen oder Wachskerzen? Oder gar keinen Tannenbaum? Und nach der Bescherung in die Kirche?

Ganz, ganz traditionell.  Wir arbeiten ja sieben Wochen davor jeden Tag rund um die Uhr mit maximal vier Stunden Schlaf pro Nacht. Dann fällt gegen 3 Uhr nach einer kleinen Weihnachtsfeier mit unseren Mitarbeitern eine unglaublich schwere Last von den Schultern. Die Müdigkeit beginnt so langsam die Oberhand zu gewinnen, der ganze Vormittag ist ein Kampf gegen die Müdigkeit. Gleichwohl kochen wir gemeinsam, es gibt Gans, die klassischen traditionellen Weihnachtsgerichte und nach dem Essen ist Bescherung. Meine Eltern werden bei uns zu Hause sein, wir gehen um 17 Uhr zum Gottesdienst in die Pauluskirche. Wir feiern mit echtem Tannenbaum, mit echten Kerzen, so, wie es sich gehört. Gegen 22 Uhr geht der Kampf gegen die Müdigkeit meistens verloren. Wenn ich ihn nicht verliere, sitze ich in der Christmette und lasse das ganze Jahr noch einmal Revue passieren, was schön war, was nicht so schön war. Der Pfarrer gibt uns die Möglichkeit, in drei Minuten des stillen Gebetes alles loszuwerden, was man so loswerden möchte, das nehme ich dankend an. Dann gehe ich dort raus, bin total bei mir selbst und der glücklichste Mensch auf der Welt.

Wenn du dir für 2018 etwas wünschen dürftest, was wäre das?

Grundsätzlich immer, dass meine Familie, alle Menschen, mit denen ich es zu tun habe,  ich selbst schließe mich da mit ein, gesund bleiben. Nach dem Motto, und das ist eines meiner Lebensmottos: Alle Wünsche werden klein, gegen den gesund zu sein!

Ein schönes Schlusswort, danke. Frohe Weihnachten und guten Rutsch!

vita

*12. Juni 1965 in Darmstadt, Abitur 1984 an der Lichtenbergschule, Bauzeichnerlehre, Architektur-studium in Darmstadt, Studium der internationalen Betriebswirtschaftslehre an der FH Darmstadt, Tätigkeit im Architekturbüro und als Textilhändler, 2005 zurück in den elterlichen Betrieb, seit 2009 Geschäftsleitung der Firma Salm. Mitglied im Lions-Club Frankfurt seit 2000, 2007 Gründung der Initiative „Darmstädter helfen Darmstädtern“, seit 2015 1. Vorsitzender des Darmstädter Schaustellerverbandes. Bernd Salm ist verheiratet und hat zwei erwachsene Kinder.

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