Für mich ist die Leitung der Apotheke auch eine innere Verpflichtung.

Seit 1668 ist die heutige Engel-Apotheke im Besitz der Merck-Familie und gilt als Grundstein der Merck KGaA.

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© Klaus Mai

FRIZZmag: Frau Koehler, der 26. August 1668 gilt als das Anfangsdatum der Merck’schen Erfolgsgeschichte. Was genau passierte da?

Renate Koehler: 1668 kam Friedrich Jacob Merck aus Schweinfurt nach Darmstadt und übernahm die 2. Stadtapotheke, damals noch am Schlossgraben, die spätere Engel-Apotheke. Sein Apothekenprivileg ist auf den 26. August 1668 ausgestellt. 

Es gibt also noch eine ältere Apotheke in Darmstadt?

Ja, das ist die Einhorn-Apotheke am Ludwigsplatz, die gibt es seit 1570. Die spätere Engel-Apotheke gab es bereits 14 Jahre, als Friedrich Jacob Merck sie kaufte. Deshalb hätten wir schon 2004 das 350-jährige Jubiläum der Engel-Apotheke feiern können.

Mit Friedrich Jacob Merck begann die beispiellose Erfolgsgeschichte der Familie Merck in Darmstadt. Sind Sie eine direkte Nachfahrin von Friedrich Jacob Merck? 

Nein, Friedrich Jacob Merck blieb kinderlos und hat die Apotheke an seinen Neffen Georg Friedrich Merck übergeben, von ihm bin ich direkte Nachfahrin.

Und alle seine Nachfahren gehören auch zur Merck-Familie?

Nein, zur Merck-Familie gehören die direkten Nachfahren der drei Söhne von Heinrich Emanuel Merck, dem eigentlichen Gründer der Fa. Merck. Er führte die Apotheke in sechster Generation, stellte 1827 seine ersten pharmazeutischen Produkte her, hat dann 1850 die Geschäftssocietät Merck gegründet und seine drei Söhne Carl, Georg und Wilhelm mit in die Firma genommen. So erklären sich auch die drei Zweige im Stammbaum der Merck-Familie.  

Sie haben 1991, also vor 27 Jahren, die Engel-Apotheke übernommen. Wie kam es dazu und war sie auch vorher schon im Familienbesitz?

Die Apotheke gehörte immer zur Firma und wurde traditionell vom mittleren Zweig der Merck-Familie geführt. Es gab nur eine Ausnahme: 1952-1977, da war Dr. Hans Budde der Pächter der Apotheke. Ab 1977 mussten Apotheken Inhaber geführt sein und durften keine Firmen mehr als stillen Teilhaber haben. Deshalb übernahm meine Tante Margret Kohlschütter die Apotheke, sie war damals schon 56 Jahre alt. Ab 1991 führte ich die Apotheke gemeinsam mit Gerhard Köhnemann und bin seit 2007 alleinige Inhaberin. Ich bin aber schon seit 1983 in der Engel-Apotheke, Herr Köhnemann und ich haben damals schon viel gemanagt.   

Es gibt ja noch ein paar mehr Engel-Apotheken hier in der Region. Gehören die auch alle zu Ihnen? 

Am Alice-Hospital, in Bickenbach und in Weiterstadt haben wir Filialen. 

Warum heißt die Engel-Apotheke eigentlich so? 

Früher, als die Leute noch nicht schreiben konnten, gab es für die Apotheken ein Symbol, ein Sinnbild, z.B. der Neptun oder das Einhorn. Unser Symbol, der Engel, steht für Schutz und Stärke.  

Einer Apothekerin kann man ja nicht unbedingt so Fragen stellen wie z.B. einem Musiker oder sagen wir mal einem Bierbrauer. Oder haben Sie ein Lieblingsmedikament? 

Nicht wirklich (lacht).

 Aber ein Lieblingsbier schon? Oder trinken Sie lieber Wein?

Ich hab sogar zwei Lieblingsbiere: Braustübl und Grohe. Ich trinke lieber Bier, davon kann man mehr trinken und ich vertrag es auch besser. Aber zu einem schönen Essen trinke ich gerne mal einen Wein. 

Was geben Sie Ihrem Mann (Wolfgang Koehler, Chef der Darmstädter Privatbrauerei und Heinerfestpräsident, Anm. der Red.) morgens, wenns beim Heinerfest mal wieder spät wurde und er sofort wieder fit sein muss für die nächsten Braustübls beim Frühschoppen?

Einen ermunternden Klaps (lacht). Jedenfalls kein Medikament, das würde er auch nicht wollen.

Wieviel hat die Engel-Apotheke im Merck-Haus noch mit dem Weltkonzern Merck KGaA zu tun?

Trotz der Scheidung wider Willen 1977 sind wir natürlich über die ganze Tradition verbunden. Und über das Familienblut. Das Merck-Haus gehört der Familie, das sind unsere wohlwollenden Vermieter.  Formal haben Apotheke und Firma nichts mehr miteinander zu tun. 

Und Sie als Familienmitglied? Also, außer dass Ihnen ein paar Aktien gehören?

Wir sind 140 Familienmitglieder und ich bin eine von 140. Für mich ist es auch eine innere Verpflichtung, dass ich die Apotheke nicht weiter verkaufe, sondern dass sie in der Familie weitergegeben wird.

© Klaus Mai

Früher, das hat mir mein Vater erzählt, haben die Leute gesagt: „De Merck stinkt. Aber de Konsul is en ganz feine Mann.” Heute ist das Merck-Image ja eher sauber, bunt, innovativ und kultur- und sportförderfreundlich. Von der Familie steht niemand mehr so exponiert in der Öffentlichkeit wie damals Peter Merck. Welche Rolle spielen die Familienmitglieder heute?

Eher keine Rolle. Viele wissen z.B. gar nicht, dass ich zur Familie gehöre. Zu offiziellen Veranstaltungen gehe ich eher als Ehefrau meines Mannes. Auf den Firmenfeierlichkeiten war ich als Familienmitglied natürlich eingeladen. Ich weiß gar nicht, ob der Wolfgang  da eine eigene Einladung hatte, aber als mein Ehemann durfte er natürlich dabei sein (lacht).

Waren alle Familienmitglieder bei den Feierlichkeiten im Mai dabei? 

Da hat jeder von der Familie eine Einladung bekommen, ja.

Sie haben ja ein paar öffentliche Rollen gleichzeitig. Was macht Renate Koehler, wenn sie nur Renate Koehler sein kann? 

Dann spiele ich Tennis, fahre Fahrrad oder lese. Oder ich fahre Ski oder sitze auch gerne mit meinem Mann im Garten und trinke einen Wein. 

Kommen Sie auch mit dem Fahrrad zur Engel-Apotheke?

Ja, es sind ja nur fünf Minuten. Mit dem Auto würde ich viel länger brauchen.

Darf ich fragen, wie Sie Wolfgang kennengelernt haben? 

Ich kannte ihn ja  schon ein bisschen aus der Ferne, weil meine jüngere Tochter und der Wolfi (Wolfgang Koehler junior, Anm. der Red.) in der gleichen Grundschule waren. Und es gab einen Stammtisch, bei dem ich immer war und öfter auch Wolfgang. Und ziemlich zeitgleich, als seine Frau gestorben ist, kam bei mir die Trennung. So nach knapp zwei Jahren hat es sich dann so ergeben und seit 2006 sind wir jetzt verheiratet.

Zurück zum Beruflichen: Spielt die Tradition der Engel-Apotheke im Tagesgeschäft heute noch ein Rolle? Oder eher die zentrale Lage am Luisenplatz? 

Es spielt auch eine Rolle, dass die alten Merckianer ihr die Treue bewahren. Wir haben sehr viele Stammkunden, Rentner und Merck-Mitarbeiter. Früher haben die gesagt, bei uns ist alles frisch. Das war natürlich nicht so, wir kriegen dieselben Medikamente, wie alle anderen auch. Der Luisenplatz als Umsteigeplatz spielt natürlich eine sehr große Rolle, aber ich denke auch unser Engagement. Die alten Hasen unter unseren Mitarbeitern leben den jüngeren vor,  dass man ältere Menschen gut betreut, also z.B. jemanden, der schlecht sieht, an die Straßenbahn bringt oder ihm die Tasche nach Hause tragen lässt. Wenn jemand draußen stürzt, wird er oft zu uns gebracht, da sind wir sehr fürsorglich. Jeder soll sich hier wohl fühlen. In der Sitzecke unter dem Engel sitzt fast immer jemand, das ist auch eine schöne Kontaktmöglichkeit für die älteren Herrschaften untereinander. Wenn man sich um einen Kunden kümmert und bemüht, dann bleibt das ein treuer Kunde. Unsere Kunden wissen, dass ihre Gesundheit uns sehr am Herzen liegt und dass sie bei uns pharmazeutisch bestens betreut werden.

Mein Vater hat mir erzählt, dass er als Kind jeden Tag eine Cebion-Tablette nehmen musste. Gibt es Cebion eigentlich noch? 

 Nur noch als Brausetablette-Magnesium oder Lutschtabletten mit Vitamin C oder als Kapseln mit Zink und Vitamin C. Merck war ja Vorreiter in der Herstellung von Vitamin C, aber dann gab es bald einen Billigmarkt mit all den Brausetabletten. Das alte Traubenzucker-Cebion, wie es ihr Vater noch genommen hat, das gibt es schon lange nicht mehr, Multibionta nur noch als Kapseln, was sehr schade ist.

Als Kind dachte ich ja, Sie verkaufen nur Sachen von Merck, weil mein Vater immer von der Merck-Apotheke redete. 

Natürlich verkaufen wir auch alles andere (lacht). Das ist genau so ein Missverständnis, wie das, dass man bei uns alles frisch kriegt. Wir achten schon darauf, dass Merck-Produkte gut platziert sind und fühlen uns Merck verbunden. Unsere Praktikanten z.B. machen ihr Praktikum oft zur einen Hälfte bei uns und zur anderen in der Firma. 

Sie als Apothekerin und wir als FRIZZ-Mitarbeiter*innen haben ja etwas gemeinsam: Wir vertreiben beide ein kostenloses Magazin. 

Stimmt, ja (lacht). 

Was sind für Sie die wesentlichen Unterschiede zwischen der Apotheken-Umschau und dem FRIZZ-Magazin?

Das FRIZZ-Magazin ist mir sehr viel sympathischer, schon alleine, weil FRIZZ keine übertriebene Werbung in eigener Sache vor den Nachrichten im Fernsehen schaltet. Und natürlich ist es schöner, über das Stadtgeschehen zu lesen als über Krankheiten. 

Wenn Sie in den Ruhestand gehen, wer wird die Engel-Apotheke dann weiter führen? 

Zwei meiner Nichten stehen kurz vor ihrem Examen und ich hoffe, dass ich sie überzeugen kann, hier anzufangen und dass sie dann die Apotheke weiterführen werden. Ich bin zuversichtlich,  

Wann wird das sein?

Ich denke, so etwa in fünf Jahren. Mein Mann hätte das natürlich gerne früher, also schreiben Sie mal lieber in drei Jahren.

Dann noch eine gute Zeit und vielen Dank für das Gespräch.


Vita Renate Koehler: * 6.7.1955 in Darmstadt, aufgewachsen in Bensheimerhof (Riedstadt), Grundschule in Leeheim, Abitur an der Eleonorenschule in Darmstadt, zunächst Lehramtsstudium in Gießen (Biologie, Chemie, Sport), ab 1977 Pharmaziestudium in Freiburg, nach einjähriger Zwischenstation in Karlsruhe am 1.2.1983 Eintritt in die Engelapotheke, seit 1991 Inhaberin. Verheiratet, zwei erwachsene Töchter und zwei erwachsene Stiefsöhne.

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