„Wir legen hier keinen Schalter um und plötzlich sind wir Digitalstadt.”

Mit Jahresbeginn ist auch der offizielle Startschuss für die Digitalstadt gefallen.

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© Klaus Mai

FRIZZmag: Könnten Sie sich gegenseitig für unsere Leser*innen vorstellen?

José David da Torre Suárez: Joachim Fröhlich hat lange Erfahrung in der Stadtverwaltung und ist seit 2012 in der Rolle des CIO (Chief Information Officer, Anm. d. Red.). Er war von Anfang an tief im Bitkom-Wettbewerb involviert, und seit klar war, dass Darmstadt gewinnt, arbeiten wir eng zusammen. Aus meiner Sicht hat er so zwei große Qualitäten: Erstens bringt er ein sehr großes Wissen und Netzwerk mit und hat eine sehr viel Kompetenz im Bereich E-Government und kennt die ganzen Abläufen in der Stadt. Zweitens ist er jemand, der sehr gewissenhaft, mehr mit Bedacht an die Dinge herangeht und mir so hilft, nochmal innezuhalten.

Joachim Fröhlich: Simone Schlosser - neu im Team - ist unsere kaufmännische Geschäftsführerin. Sie ist seit 2005 bei der Stadtverwaltung Darmstadt im Bereich Controlling (Steuerungs-, Planungs-, Berichterstattungsaufgaben in einem Unternehmen, Anm. d. Red.) tätig. Zuvor war sie im Bereich der Sozialverwaltung eingesetzt, wo wir schon Berührungspunkte hatten, weil sie bei der Einführung eines IT-Verfahren sehr aktiv war. Von daher hat sie auch einen engen Bezug zur IT. Als Controllerin bei der Stadtverwaltung ist sie seit 2005. Und als gesamtstädtische Controllerin … ähm?

Simone Schlosser: Seit vier Jahre.

Fröhlich: … seit vier Jahren unterwegs. Sie bringt das Know-How mit, das wir im kaufmännischen Bereich brauchen. Ja viel mehr…

Schlosser: Meine Stärken kennt er noch nicht (lacht).

Fröhlich: Dafür fehlt einfach noch so ein bisschen Zeit. Wir arbeiten ja erst seit zwei Wochen zusammen.

Schlosser: Das geht mir mit Herrn Da Torre natürlich ganz ähnlich, wir kannten uns vorher noch gar nicht.

Da Torre: Umso beeindruckter waren wir von einander (alle lachen).

Schlosser: David da Torre kommt aus dem HEAG Konzern. Ich weiß, dass er den Bereich IT-Architektur und -Strategie geleitet hat, richtig?

Da Torre: Ja, IT-Strategie, auf jeden Fall.

Schlosser: Und im Anschluss Geschäftsführer von Count+Care geworden ist. Count+Care ist das Systemhaus der Stadtwirtschaft, oder?

Da Torre: Genau, wir machen große Teile der IT der Stadtwirtschaft.

Schlosser: Insofern bringt er ein ganz enormes Wissen aus dem IT-Sektor mit. Ansonsten ist Herr da Torre ein Energiebündel. Ich finde es einfach erfrischend, dass er immer voll dabei ist und immer nach vorne, immer weiter will. Schlecht gelaunt habe ich ihn bis jetzt auch noch nie erlebt. Beide Herren meistern es unheimlich gut, in einer Doppelrolle zu sein und gerade zwei Jobs gleichzeitig zu machen.

Prof. Dr. Michael Waidner, der CDO (Chief Digital Officer, Anm. d. Red.) der Stadt, sagte, für die Digitalisierung einer Stadt braucht es Digitalenthusiasten und -skeptiker. Was sind Sie?

Fröhlich: Wir müssen ein Stück weit Digitalenthusiasten sein, ja sonst wären wir hier nicht an der richtigen Stelle. Wobei man gleichzeitig auf manche Dinge natürlich auch kritisch schauen muss. Nicht alles, was mit Digitalisierung zu tun hat, muss zwangsläufig auch in die richtige Richtung führen.

Da Torre: Ich sehe mich auch mehr als Enthusiast. Es geht ja nicht darum, dass alleine wir (die Geschäftsführung, Anm. d. Red.) enthusiastisch sind, wir wollen Interessensgruppen und vor allem Bürger*innen erreichen. Es gibt viele Meinungen und es ist wichtig, alle in diesem Prozess mitzunehmen. Skepsis ist es bei mir eher weniger. Es ist eher Vorsicht, sich klar zu machen, es gibt auch noch andere Meinungen, die wir in jedem Fall berücksichtigen müssen.

Schlosser: Digitalisierung, digitaler Wandel, das lässt sich nicht aufhalten, und insofern bin ich mega enthusiastisch, dabei zu sein. Es gilt aber auch, die Menschen mitzunehmen im Sinne des Digital Citizen.

Da Torre: Ich glaube man kann schon etwas enthusiastisch sein. Bei Digitalisierung haben viele Angst, dass es um sie geschieht. Weil viele an Unternehmen denken, die das wirtschaftliche Interesse über das Schutzbedürfnis des einzelnen stellen. Als Stadt haben wir da eine ganz andere Möglichkeit Digitalisierung zu gestalten, es als Teil der Daseinsvorsorge zu sehen. Und dafür haben wir uns mit dem CDO und dem OB verschrieben.

Nach OB Jochen Partsch und CDO Michael Waidner prägen insbesondere Sie die Digitalstadt und geben ihr ein Gesicht. Wie sieht dieses Gesicht aus? Und wie viel Utopie ist da auch noch dabei?

Fröhlich: Wie schon gesagt, es wird ein Prozess sein. Und ganz klar, wenn man ein Ziel hat, dann sollte man sich keins setzten, was man leicht erreichen kann. Es sollten schon Überlegungen dabei sein, die so weit voraus gedacht sind, dass man sie nicht sofort greifen kann. Wir bekommen täglich von überall her neue Projektideen, auch die schärfen unser Bild von der Zukunft.

Da Torre: Die Frage nach dem Gesicht stelle ich mir immer wieder selbst. Bei Digitalisierung reden wir auch von Daten, die sind erstmal nicht sichtbar. Und viele Bürger*innen fragen sich, was habe ich denn davon? Oder haben einen Erwartungshaltung, dass sich z.B. der Verkehr durch die grüne Welle App verflüssigt. Aber das Problem ist ja nicht gerade trivial, hier sind sehr viele Autos unterwegs und wir können nicht alle Staus einfach mit ein paar Sensoren auflösen. Die Frage ist, wie stark die Digitalstadt das Stadtbild verändern wird. Ist Smart Lighting schon sichtbar für die Leute, oder nicht? Ein paar Dinge werden sich im Stadtbild zeigen. Wir werden aber auch vieles haben, was einen unsichtbaren Mehrwert hat, beidem man aber merken kann, ich komme im Verkehr besser voran, ich habe eine bessere Informationslage und ich vernetze mich besser mit meinen Mitmenschen.

Schlosser: Vieles wird auch einfacher, zum Beispiel durch E-Government. Smart Lighting, Smart Traffic, Smart Parking - vielleicht kann man auch einfach sagen: Darmstadt wird smarter.

Herr Fröhlich, Sie sind jetzt fast 37 Jahre bei der Wissenschaftsstadt. Glauben Sie, dass Darmstadt mit der Digitalstadt ein neues Kapitel ins Geschichtsbuch schreibt?

Fröhlich: Also, „Geschichtsbuch” oder „historisch” sind immer Begriffe, die ich für kritisch halte.

Da Torre: Das meinte ich mit „auf den Boden zurückbringen” (lacht).

Fröhlich: Ein neues Kapitel schlagen wir auf jeden Fall auf, da bin ich mir ganz sicher. Wir schaffen hier ganz neue Dinge, die wir zum Teil selbst noch gar nicht so genau sehen. Denn es ist ein Prozess, wir legen hier keinen Schalter um und plötzlich sind wir Digitalstadt. Wir müssen jetzt verstärkt die Fachbereiche (in der Stadtverwaltung, Anm. d. Red.) mitnehmen, damit alle erkennen: „Oh, da gibt es ganz neue Möglichkeiten”. In unseren Ämtern sind Beschäftige für bestimmte Aufgaben zuständig, wie zum Beispiel für die Straßenbeleuchtung. Jetzt ist die „smart-lighting” Straßenlaterne nicht mehr nur Laterne, sondern überwacht möglicherweise einen Parkraum oder einen Zebrastreifen und warnt durch Abdimmen vor Gefahrensituationen - da gibt es ganz viele neue Möglichkeiten. Wir müssen deshalb den Prozess der Veränderung auch intern vorantreiben und die Beschäftigten mitnehmen.

Auf welche Projekte freuen Sie sich persönlich?

Schlosser: Ich finde das mit der Straßenbeleuchtung ganz toll. Wir hatten ein paar unschöne Fahrradunfälle in den letzten Wochen und, da ich selbst ich Fahrradfahrerin bin, liegt es mir natürlich am Herzen, dass eine höhere Sicherheit im Straßenverkehr hergestellt wird. Was ich auch sehr gut finde, ist das Thema E-Government. Das habe ich ja gerade schon angesprochen.

Fröhlich: Wenn ich das aufgreifen darf, denn das ist mein Kernthema: Wir haben in den letzten zwei Jahren sehr intensiv daran gearbeitet, die Zusammenarbeit der Kommunen in Hessen über die Spitzenverbände, gemeinsam mit dem Land und dem kommunalen Gebietsrechenzentrum(ekom21, Anm. d. Red.) zu intensivieren und neu aufzustellen um digitalsierte Verwaltungsprozesse umzusetzen und ich freue mich darauf, dass wir das jetzt den Bürger*innen sehr bald präsentieren können. Dann der Bereich der Bildung: Wir haben zum Beispiel mit der Bessunger Schule eine Grundschule, die mit der Digitalisierung schon richtig weit ist. Wenn man sich dort mal anschaut, wie fasziniert die Kinder sind, und sich dann überlegt, wo wir hinkommen könnten, wenn wir 43 Schulen mit Medienplattformen und W-LAN ausstatten können … (schwärmt).

Da Torre: Bei mir ist es der Mobilitätsbereich. Ich bin viel mit dem Auto und dem Fahrrad unterwegs. Ich bin einfach gespannt, dieses Zusammenspiel zwischen Smart Parking, Smart Lighting, Smart Traffic zu sehen und wie sich das dann auch auf die Umweltbelastung auswirkt.

In einem Kommentar der lokalen Tageszeitung wurde angemerkt, dass wir ja schon alle digitalisiert seien und es keinen wirklichen Quantensprung mehr geben werde. Wie sehen Sie das? Wann merken die Bürger*innen etwas von der Digitalstadt?

Fröhlich: In diesem Kommentar stand auch, dass es verschiedene Anwendungen ja schon da und dort gibt. Trotzdem wollen wir natürlich auch diese Anwendungen unseren Bürger*innen zur Verfügung stellen. Gleichzeitig reden wir mit der TU, der Hochschule und vielen anderen, da gibt es ganz neue Projektideen, die in neue Sphären hineinführen.

Da Torre: Und was heißt Quantensprung? Jeder erlebt Digitalisierung anders, vielleicht liegt der Quantensprung darin, dass wir diese Digitalisierung mitgestalten und ganzheitlich angehen. Wir versuchen, viele Bereiche gleichzeitig zu erschließen und als Gesamtidee umzusetzen. Das alleine ist schon ein Quantensprung.

Schlosser: Auch das Stichwort „Datenplattform” ist dabei ganz wichtig. Wir machen nicht hier mal eine App, da mal eine App, sondern wir machen das in Summe und stellen alles auf eine gemeinsame Plattform. Damit man nicht 25 Apps auf seinem Handy hat und völlig den Überblick verliert.

Herr Da Torre, sie sind Projektleiter der Datenplattform. Was kann man sich darunter vorstellen?

Da Torre: Ja, das ist das, was im Hintergrund arbeitet. Die Idee von der Datenplattform ist nicht, dass wir eine riesige Datenbank schaffen, wo wir alle Daten sammeln. Wir reden bei der Digitalstadt von sehr vielen Daten, die an unterschiedlichen Stellen liegen und es braucht die Möglichkeit, diese Daten sicher und korrekt abzurufen - auch unter den Aspekten des Datenschutzes. Außerdem findet man hier zukünftig den Open Data Bereich. Die Idee dahinter ist, einerseits dem Bürger Transparenz über Haushalts- und Umweltdaten zu geben, andererseits Start-Ups und Firmen zu ermöglichen, auf diesen Daten basierend neue Geschäftsmodelle zu schaffen.

Knapp ein Drittel der Darmstädter*innen sind über siebzig, die wollen vielleicht gar nicht digitalisiert werden. Was bleibt für sie die Alternative?

Da Torre: Das ist eine ethische Frage. Wieviel Digitalisierung können wir machen, wieviel wollen wir machen? Es gibt Menschen, die sich gegen die Digitalisierung entscheiden und sich damit nicht mehr auseinandersetzen wollen. Denen muss man weiterhin analoge Möglichkeit bieten.

Schlosser: Wir werden beispielsweise mit dem Stadtlabor (eine Art Präsentationsmobil, Anm. d. Red.) versuchen, die Digitalisierung anfassbar zu machen, begreifbar zu machen, Älteren wie auch Jüngeren ein Stück weit die Angst zu nehmen oder zumindest einzuladen, sich die Dinge näher anzusehen.

Die Begriffe „digital” und „Stadt” stehen auch für Entfremdung und Vereinsamung. Wie stehts dem Begriff „Digitalstadt”?

Da Torre: Ein Beispiel, was auch schon bemüht worden ist, ist die Quatiersapp. Bei Facebook und WhatsApp gibt es bestimmt schon Nachbarschaftsgruppen, aber die sind oft nicht öffentlich sichtbar und man kommt nicht einfach rein. Mit der Quatiersapp schafft es die Digitalisierung, dass wir in unserer Nachbarschaft wieder ein bisschen näher und zusammenkommen - analog wie auch digital.

Danke für das Gespräch und viel Erfolg - digital und analog.

digitalstadt.vitae

José David da Torre Suárez

*22. März 1987 in Mainz, seit 2009 in verschiedenen Positionen bei Tochterunternehmen der Stadtwirtschaft/HEAG, seit November 2017 Geschäftsführer Digitalstadt Darmstadt GmbH

Simone Schlosser

*01. April. 1973 in Schotten, seit 2005 Controllerin der Wissenschaftsstadt Darmstadt in unterschiedlichen Einheiten, zuletzt in der zentralen Steuerungsunterstützung, seit Januar 2018 kaufmännische Geschäftsführerin Digitalstadt Darmstadt GmbH

Joachim Fröhlich

*1962 in Darmstadt geboren, seit 1981 bei der Wissenschaftsstadt Darmstadt, seit 2012 als IT-Leiter und Beauftragter für die Datenverarbeitung tätig, seit November 2017 Geschäftsführer Digitalstadt Darmstadt GmbH

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