Wie lernen Maschinen?

Ein Dialog, den die gesamte Gesellschaft führen muss.

by

©Prof. Dr. Kristian Kersting



Sind künstliche Intelligenz und maschinelles Lernen Allheilmittel oder Weltzerstörer? Nichts von beidem, erklärt Prof. Dr. Kristian Kersting, und entzaubert die Schlagwörter im Interview und einem Buch für alle, die mitreden wollen.


FRIZZmag: Was ist das Artificial Intelligence (AI, dt.: künstliche Intelligenz) and Machine Learning (ML, dt.: maschinelles Lernen) Lab?


Prof. Dr. Kristian Kersting: Normalerweise würde man das in Deutschland Lehrstuhl nennen, aber das schöne in Darmstadt ist, dass die TU sich mehr an einem amerikanischen System orientieren möchte und deshalb mehr einer Department-Struktur gleicht. Der deutsche Lehrstuhl ist dabei fast wie ein Königreich, im amerikanischen Department redet man viel mehr von Fachgebieten, die immer wieder neue spannende Probleme finden, die ein Lehrstuhl alleine nicht lösen kann. Deswegen präsentieren wir uns als das „AI and ML Lab” und nicht als Lehrstuhl für künstliche Intelligenz (KI) und maschinelles Lernen.

Was sind ML und KI? 


Beim maschinellen Lernen geht es darum, dass wir Computerprogramme entwickeln, die in irgendeiner Art und Weise lernen. Dazu schreiben wir Algorithmen, die kann man sich vorstellen wie ein Kochrezept – auch wenn das nicht ganz richtig ist. Wir beschreiben Schritt für Schritt, was der Computer ausführen soll, um von den eigenen Erfahrungen bzw. den Erfahrungen anderer zu lernen. Die künstliche Intelligenz ist ganz allgemein das Feld, indem wir versuchen, „Kochrezepte” für intelligentes Verhalten zu entwickeln – was ein sehr breites Feld ist. Und das ist auch das Schöne für mich an der TU. Wir decken hier diese Breite des Themas in vielen Lehrstühlen ab. Zwar habe ich diesen Titel des Lehrstuhls KI und ML inne, aber ganz viele Kolleg*innen arbeiten auf demselben Fachgebiet. Prof. Jan Peters, Ph. D., erforscht, wie Roboter lernen, Tischtennis zu spielen. Prof. Stefan Roth, Ph. D., schaut sich an, wie wir Lernverfahren nutzen können, damit Computer besser sehen. Prof. Dr. Irena Gurevych fragt sich, wie mittels ML Computer ein besseres Textverständnis bekommen, und ich fokussiere mich auf allgemeinere Algorithmen oder „Universal-Kochrezepte”.


Herrscht bzgl. KI und ML also Interdisziplinarität an der TU? 


Interdisziplinarität muss man in verschiedenen Ebenen denken. Wir sind noch alle aus derselben Fakultät, deswegen sprechen wir so ziemlich die gleiche Sprache. Wenn man die KI aber weiterdenkt, und das passiert gerade durch die ganze Aufmerksamkeit, die das Thema bekommt, stellt sich heraus, dass beispielsweise die Physik, die Material- und Ingenieurwissenschaften, die Mathematik, die Biologie und die Geisteswissenschaften ein Interesse an Zusammenarbeit haben. 

Kooperieren Sie schon mit anderen Fachbereichen?


Speziell in Darmstadt gibt es schon einen ausgeprägten Austausch mit den Kognitionswissenschaften. Das ist auch sehr naheliegend, weil es eigentlich Zwillingsdisziplinen sind. Die Kognitionswissenschaft versucht mit informationstheoretischen Ansätzen zu verstehen, wie Menschen intelligentes Verhalten zeigen. Unter anderem suchen sie auch nach Algorithmen im Menschen. Dabei kann die KI neue Impulse geben, um den Menschen besser zu verstehen. Für uns ist das Hin und Her zwischen menschlichem und maschinellem Verhalten interessant, weil Maschinen nicht immer nur menschliches Verhalten abbilden müssen. Es wäre ja schade, nur den Menschen nachzubilden, wenn wir uns mit dem autonomen Fahren beschäftigen. Dann könnten wir zwar beim Autofahren lesen, das Fahrverhalten wäre allerdings noch genauso schlecht.

Auf Ihrer Webseite steht, dass Sie versuchen, Computer zu entwickeln, die wie die Menschen denken.


Weltweit sind diese Durchbrüche, die wir sehen, Inselbegabungen. Beispielsweise lehren wir einem Computer das Schach- oder Go-Spielen. Wenn ich jetzt zu demselben System sagen würde: „Back mir eine Pizza”, dann würde dabei gar nichts herauskommen. Das ist in der klassischen Definition der KI eine schwache KI. Was den Menschen ausmacht – und was unerreicht ist – ist, wie flexibel er ist. Er ist ein „allgemeiner Problemlöser”. Eigentlich ist aber eine schwache KI nicht wirklich „schwach”, sondern sie bezieht diese ganzen Querbezüge nicht mit ein, wie es der Mensch macht. In der Informatik fangen wir jetzt langsam an, einzelne Inselbegabungen miteinander zu kombinieren, eine starke KI, ein allgemeiner Problemlöser ist aber lange noch nicht in Sicht.

Also ist KI weder Allheilmittel noch Weltzerstörer?


KI und ML wird sehr oft zu mystisch dargestellt, es ist aber keine Hexerei. Wenn man anfängt, das Thema zu verstehen, dann glaube ich, sehen wir alle, dass wir dadurch ziemlich viele Chancen haben und auch entscheiden können, dass nicht alles gemacht werden muss. Bei der Atomkraft haben wir auch verstanden, dass wir damit Gutes und Schlechtes tun können. Bestrahlung ist ein wichtiger Bestandteil der Medizin, die Kehrseite davon ist aber leider die Atombombe. Wie wir KI nutzen wollen, ist ein Dialog, und der muss quer durch die Gesellschaft geführt werden.

Und damit alle mitreden können, haben Sie das Buch „Wie Maschinen lernen” geschrieben?


Das Buch und die Geschichte von Lisa (Protagonistin im Buch, Anm. d. Red.) ist nicht allein meine Geschichte. Mein Kollege Prof. Dr. Christoph Lampert vom Institute of Science and Technology in Österreich bekam das Angebot, eine Akademie zum Thema KI bei der Studienstiftung des Deutschen Volkes zu machen. Mein Kollege Prof. Constantin Rothkopf, Ph.D., von der TU Darmstadt und ich hatten großen Spaß, mitzumachen. Das heißt verkürzt gesagt, ganz pfiffige Studierende kommen zusammen und arbeiten an einem Thema, bei uns eben KI. Meistens sind das sehr interdisziplinäre Gruppen und bei uns waren Physiker*innen, Ingenieur*innen, Informatiker*innen und Philosoph*innen dabei. Zusammen haben die sich dann die Figur Lisa ausgedacht, die im Verlauf des Buches anhand von Alltagsproblemen lernt, so wie die Studierenden es in der Akademie von uns hoffentlich gelernt haben, was maschinelles Lernen ist und wie es funktioniert.

Vita


Prof. Dr. Kristian Kersting (*1973) ist Professor der Technischen Universität Darmstadt (TUD) für künstliche Intelligenz und maschinelles Lernen. Außerdem ist er der Leiter des Artificial Intelligence and Machine Learning Lab der TUD.




Buch

©Verlag


Wie Maschinen lernen – Künstliche Intelligenz verständlich erklärt

Kristian Kersting, Christoph Lampert, Constantin Rothkopf (Hrsg.)

ISBN: 978-3-658-26762-9

Springer Verlag

Preis 14.99 Euro

Buch kaufen online HIER.
Back to topbutton