Sind unsere Grundrechte digital?

Schritte in eine demokratisch-digitale Zukunft

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Von den Zielen und Pflichten einer Digitalstadt sprach Oberbürgermeister Jochen Partsch beim Neujahrsempfang: „Darmstadt soll die Charta der Digitalen Grundrechte weiterbringen.” Doch was ist diese Charta und warum sollte uns China eine Warnung sein?

Hinter der „Charta der Digitalen Grundrechte der Europäischen Union” steht, obwohl der Name einen sehr offiziellen Eindruck macht, zunächst eine Initiative aus Politikern, Wissenschaftlern, Schriftstellern, Journalisten, Netzpolitikern und Bürgerrechtlern. Diese fordern allgemeine und rechtlich verbindliche Grundrechte mit digitalem Kontext auf europäischer Ebene. Die Initiative verfasste und veröffentlichte 2016 einen ersten Charta Entwurf und übergab ihn an das Europäischen Parlament zur Diskussion. Der Entwurf enthält 23 Artikel, die sich grundlegend damit beschäftigen, wie sich Souveränität und Freiheit des Einzelnen in der digitalen Welt schützen lassen. Wer selbst nachlesen oder diskutieren möchte: www.digitalcharta.eu

Genau das passiert derzeit ungeschützt in China. Die Volksrepublik plant bis 2020 ein Sozialkredit-System einzuführen, dabei soll das soziale Verhalten der chinesischen Bürger*innen mit Punkten bewertet werden. Gute Leistungen bei der Arbeit: +20 Punkte; bei Rot über die Ampel Gehen: -5 Punkte usw.. Je nach Punktestand werden die Bürger*innen in die Kategorie AAA, AA, A, B, C und D eingestuft. Die „Note” kann darü- ber entscheiden, ob die Bürger*innen sich für Auslandvisen, Flugreisen, Schnellzugfahrten, Wohnungen oder Jobs qualifizieren. Wer unter 1000 Punkte, sprich der Stufe A, liegt, darf nicht im öffentlichen Dienst arbeiten. Wer als D, also unter 600, eingestuft wird, könnte sogar seinen Job gekündigt bekommen, bei jedwedem Arbeitgeber. Das große Ziel der chinesischen Regierung ist dabei der „totalüberwachte kommunistische Musterbürger”, wie der Pekinger Netzaktivist Wang Bo gegenüber Zeit 5Online beschreibt. Verschwiegen werden darf dabei allerdings nicht, dass die chinesischen Bürger*innen in Teststädten das Sozialkredit-System positiv aufnehmen. Das ist in Darmstadt genau so wenig vorstellbar wie das Sozialkredit-System selbst. Dass die Digitalstadt Darmstadt die Charta der Digitalen Grundrechte unterstützt und weiterbringen möchte, ist ein konsequenter und richtiger Schritt in Richtung einer demokratischen, digitalen Zukunft. 

©Klaus Mai

Wieso sollte die Digitalstadt Darmstadt die Charta der Digitalen Grundrechte unterstützen?

Um die Digitalisierung für Bürger*innen, Unternehmen und Wissenschaftsstadt sicher zu machen und zu verhindern, dass Digitalisierung zu einem Abbau von Freiheit und Selbstbestimmung führt.

Heißt das, Darmstadt wird mit formulieren oder für die Inkraftsetzung auf europäischer Ebene kämpfen?

Ich kann mir sogar vorstellen, dass es mittelfristig ein Dezernat für Digitalisierung gibt. Wir werden auf jeden Fall einen Ethikrat für die Digitalstadt bilden und uns sicher auch in bundespolitische Debatten einklinken.

Gibt es so etwas wie einen Verhaltenskodex im Projekt Digitalstadt?

Es gibt noch keine kodifizierten Normen, die wir einhalten. Aber es gibt eine klare Vereinbarung unter den Beteiligten, also dem Lenkungsausschuss (Land Hessen, Stadtwirtschaft und Stadtpolitik Anm. d. Red.), dem Chief Digital Officer Prof. Dr. Waidner und der Digitalstadt GmbH, dass wir demokratische Gestaltung fördern und Cybersecurity vor ökonomischen Interessen steht.

Also kein Aufpäppeln des Haushalts durch Datenverkauf?

Im Gegenteil, wir müssen die Daten vor kommerzieller Verwertung und Missbrauch schützen. Das ist eine Herausforderung, die wir gerade bearbeiten. Es ist aber auch Aufgabe des Bundesgesetzgebers zu regulatorischen Formen zu kommen.

Schweden gilt als Paradebeispiel für gemeinschaftliche Transparenz, China als Schreckensbeispiel für totalitäre Überwachung. Sucht Darmstadt einen Mittelweg?

Genau das ist die Frage. Wie kriegen wir den Zielkonflikt zwischen Transparenz und Datensicherheit gelöst? China ist das Beispiel, das tunlichst nicht Schule machen sollte, trotz der chinesischen Wirkmächtigkeit.

Ist das Unterstützen der Digital Charta ein Schritt Richtung demokratisch-digitaler Zukunft?

Das ist das Ziel. Natürlich können wir als Wissenschaftsstadt Darmstadt mit unseren 160.000 Einwohnern dem globalen Trend der Digitalisierung keinen entscheidenden Dreh in die eine oder andere Richtung geben. Wir wollen in unserer Stadt exemplarisch vorleben, wie denn verantwortungsvoll mit Digitalisierung umgegangen werden kann. Dafür haben wir vom Chaos Computer Club bis hin zum Fraunhofer Institut SIT viele Kompetenzen.

Was sehen Sie in einer digitalen Zukunft? Fliegenden Taxis, wie Dorothee Bär, die Staatsministerin für Digitales?

Es geht im Handlungsfeld Verkehr um digitale Mobilitätsketten und darum, beispielsweise die Bequemlichkeiten des Online Handels mit den Stärken des Einzelhandels zu verbinden. Dazu brauchen wir eine funktionierende Infrastruktur mit Datenplattform, Sensoren, ÖPNV, Räder statt Kleintransporter sowie Lieferung am selben Tag und die bauen wir gerade auf. Mein Bild wäre nicht das fliegende Taxi, sondern das ökobetriebene Lastenrad.

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