Schwarze Löcher

Darmstadt-Glosse #129 Mai 2019

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©Thea Nivea

Hi, ich bin Thea Nivea

Nivea hab ich von meinem Vater. Weil ich als Kind mal Nivea gegessen habe. Erklärt er jedem, ders nicht hörn will. Überhaupt erklärt er reichlich viel. Damit ich durchblicke, sagt er. Dabei blick ich schon durch, sogar bei Politik. Oder bei Fußball. Und erklär ihm auch manchmal was. Oder meine Mutter mischt sich ein. Was dabei raus kommt, na ja, könnt Ihr selbst lesen, jeden Monat. Wenn Ihr mir was erklärn wollt, schreibt mir einfach: t.nivea@frizzmag.de



Ich finde, das ist eine Sensation, sag ich, nobelpreisverdächtig. Was, fragt mein Vater. Das weltweit erste Bild von einem schwarzen Loch, sag ich, 55 Millionen Lichtjahre entfernt im Universum. Relativ nahe dran am Brexit-Datum, sagt mein Vater. Lichtjahr ist keine Zeiteinheit, sag ich, sondern ein Längenmaß. Ja, und jetzt belehre mich noch über die Relativitätstheorie und extrem verdichtete Masse, sagt mein Vater. Genau, sag ich, die Erde würde sich bei gleicher Masse erst bei einem Radius von unter einem Zentimeter satt 6.378 Kilometer in ein schwarzes Loch verwandeln. 





Eine wahrhaft astronomische Diskussion, sagt meine Mutter, zwischen Vater und Tochter, aber sehr weit weg vom Hier und Jetzt. Ich kenne ne Menge schwarze Löcher im Hier und Jetzt, sagt mein Vater, gleich um die Ecke, auch mit astronomischen Dimensionen. Ich ahne, was du meinst, sag ich. Lass mich teilhaben an deinen Ahnungen, sagt meine Mutter. Und sie ließen sich auch problemlos fotografieren, sagt mein Vater: Mathildenhöhe, Nordbad, Berufsschulzentrum, Kita und Schule in der Lincoln-Siedlung. Friedensplatz nicht zu vergessen, sag ich. 



25 Millionen Mehrkosten insgesamt, sagt mein Vater, am Ende des Jahres werden es 50 Millionen sein, wetten? Es gibt gute Gründe, sagt meine Mutter, für die Mehrkosten. Die SPD ist schuld, sagt mein Vater. Aha, sag ich, erkläre. Weil sie das alles nicht schon viel früher gemacht haben, sagt mein Vater, da wärs noch billiger gewesen. Genau, sagt meine Mutter. Mama, sag ich, er meinte das bestimmt ironisch. Irgendwie erinner ich mich, dass die Grünen schon immer in der Stadtregierung mitmischen. Stimmt, sagt mein Vater, seit 1993, nur mal kurz unterbrochen von 1996 bis 1997. 



Echt schon seit über 25 Jahren, frag ich. Na ja, sagt mein Vater, realo erst seit 1997, davor waren es noch die Fundis. Ist das ne Realo- oder ne Fundi-Position, frag ich, wenn man Immobilienkonzerne enteignen will? Mir würde es schon reichen, sagt mein Vater, wenn der Bauverein seine Gewinne komplett in bezahlbaren Wohnraum investieren würde und nicht an den städtischen Haushalt abführen müsste. 



Ich höre den Tim Huß-Fan in dir, sagt meine Mutter. Klar, sagt mein Vater, den muss man ein bisschen hypen, damit 2023 nicht nur diese Nilgans eine ernsthafte Chance gegen Jochen Partsch hat. 2021 kommt erst mal die Kommunalwahl, sagt meine Mutter. Dann wähl ich FFF, sag ich. Was wählst du, fragt meine Mutter. FFF, Friday for Future, sag ich, das ist bis dahin eine weltweite Partei. PdS, sagt mein Vater, Partei der Schulschwänzer, ja, ja, gemach, reg dich nicht auf, sollte ein Witz sein. 



Greta Thunberg hat recht, sagt meine Mutter, es ist schon eine komische Welt, wenn Kinder ihre Schulbildung riskieren müssen, um gegen die Zerstörung ihrer Zukunft zu protestieren. Und sag ich, wenn die Yuppies um die Welt jetten, um mal eben ihre Lieblingsrestaurants, Strände oder Yogalehrerin besuchen zu können. Oder, sagt mein Vater, Normalbürger auf die Malediven fliegen zum Tauchen, weil die Menschen da so nett sind und im Wasser noch kein Plastik ist. In 20 Jahren können sie dann nach den Hotels tauchen, in denen sie 2019 noch gewohnt haben.



Solange Abgas-Ablasshandel möglich ist, sag ich, halten wir die Klimakatastrophe nicht auf. Was meinst du genau, fragt meine Mutter. Fiat/Chrysler macht jetzt eine Abgasgemeinschaft mit Tesla, sag ich, um trotz veralteter Motoren die 95-Gramm-CO2-Grenze 2021 einzuhalten. Echt jetzt, fragt meine Mutter. Ja, sagt mein Vater, klar, das sind Abgründe. Um nicht zu sagen, sag ich, schwarze Löcher. Und die EU erlaubts, sagt mein Vater. 



Noch ein Grund, zur Europawahl zu gehen, sag ich. Aber mach doch ne Abgasgemeinschaft mit deinem Fahrrad und deinem Euro-5-Diesel, dann stimmen auch die Feinstaubwerte im Schnitt wieder. Tu mir aber den Gefallen, sagt meine Mutter, und fahr nicht in Unterwäsche Fahrrad, nur weil du nen Helm hast. Ich hab ja wohl kein schwarzes Loch unter der Frisur, sagt mein Vater. Nee, sag ich, so bescheuert bist du nicht.
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