Umverteilungen

Darmstadt-Glosse #130 Juni 2019

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©Thea Nivea

Hi, ich bin Thea Nivea

Nivea hab ich von meinem Vater. Weil ich als Kind mal Nivea gegessen habe. Erklärt er jedem, ders nicht hörn will. Überhaupt erklärt er reichlich viel. Damit ich durchblicke, sagt er. Dabei blick ich schon durch, sogar bei Politik. Oder bei Fußball. Und erklär ihm auch manchmal was. Oder meine Mutter mischt sich ein. Was dabei raus kommt, na ja, könnt Ihr selbst lesen, jeden Monat. Wenn Ihr mir was erklärn wollt, schreibt mir einfach: t.nivea@frizzmag.de


Kevin Kühnert ist cool, sag ich. Du bist nicht mehr jung genug, sagt mein Vater, für die Huldigung solcher Enteignungsnostalgiker. Es geht nicht um Enteignung, sag ich, es geht um Umverteilung. Den zehn reichsten Haushalten in Deutschland gehören 60% und der Hälfte der Haushalte nur ungefähr 1% des gesamten Vermögens im Land. Und, sagt meine Mutter, die Ungleichheit hat stark zugenommen. Korrekt, sag ich, Mitte der 90er-Jahre gings los, und inzwischen sind die Vermögen in Deutschland europaweit am ungleichsten verteilt.

Geld ist die vierte Gewalt, sagt mein Vater, die fehlt halt in unserem 70-jährigen Grundgesetz. Unser Grundgesetz, sag ich, bietet genug Möglichkeiten, die Macht der vierten Gewalt einzudämmen. Das macht halt nur keiner, sagt meine Mutter. Und übrigens, frag ich, wer hat denn dem Finanzneoliberalismus Tür und Tor geöffnet? Ich weiß, sagt mein Vater, Genosse Schröder als Chef einer rot-grünen Bundesregierung, die Leier kennen wir schon. Die Fortsetzung dann in GroKos mit der Union, sagt meine Mutter. Aber auch die Grünen, sag ich, haben feige die Alternative Rot-Rot-Grün im Bund mit verschenkt, als das noch möglich war, zuletzt 2013 bis 2017.

Wir erleben einen Krieg der Reichen gegen die Armen, sagt mein Vater, und die Demokratie ist dazu die Showkulisse, solange sie im Sinne der Reichen funktioniert. Na dann, sag ich, dann macht mal so weiter. Geld ist nicht alles, sagt meine Mutter. Netter Satz, sag ich, aber falsch. Wer arm ist, stirbt deutlich früher, in armen Ländern etwa dreißig Jahre früher als in reichen Industrienationen. Und selbst in Deutschland sterben Frauen in den niedrigsten Einkommensgruppen vier Jahre früher als Frauen mit hohem Einkommen. Bei Männern sinds sogar acht Jahre.

Tim Huß will die unterste Lohngruppe abschaffen, sagt mein Vater, das ist dann ja besonders richtig. Jedenfalls, sag ich, ein klarer kommunalpolitischer Akzent. So wie das Umverteilen der Bauvereinsgewinne für günstigere Mieten, sagt mein Vater. Eine alte Forderung der Linken übrigens, sag ich, immerhin greifts die SPD jetzt auf, im Gegensatz zu früher. So falsch ist die Idee nicht, sagt meine Mutter, dass man mit Wohnungen kein Geschäft machen sollte. Also doch so ne Art Vermieterenteignung, sag ich, eurer Habeck ist da ja auch nicht abgeneigt. Euer Partsch schon, sagt mein Vater, oder wann gibts in Darmstadt die ersten Strafzahlungen bei Wohnungsleerstand?

Eigentum verpflichtet, sag ich, und Strafzahlungen wären bei Wohnungen einfacher zu handeln als beim Dieselfahrverbot. Ohne blaue Plakette ist da nix kontrollierbar, sagt mein Vater. Ich werde ab 1. Juni jeden Tag ne Runde mit meinem Euro-5-Diesel fahren, von der Karlstraße in die Heinrichstraße, in die Heidelberger, die Hügelstraße, durch den Tunnel und zurück nach Hause, jeden Tag immer ne Stunde später, bis ich das erste Mal erwischt werde. Du fährst doch sonst nie mit dem Auto in der Stadt, sagt meine Mutter. Eben, sagt mein Vater, ein angekündigter Sinnlostest, um die Sinnlosigkeit der Maßnahme zu beweisen.

Dieselfahrer benutzen dann wahrscheinlich die Hermannstraße, sagt meine Mutter. Die kennen sie ja schon von der Sperrung der Heidelberger, sagt mein Vater. Ich hatte schon mal die Idee, alle Straßen mit H zu sperren in der Gegend, sagt meine Mutter und zählt auf: Heinrich-, Hügel-, Heidelberger-, Hermann-, Hindenburgstraße. Dann geht gar nix mehr, sagt mein Vater. Vielleicht, sag ich, hat Mamas Idee ja dazu beigetragen, dass jetzt endlich die Hindenburgstraße umbenannt wird. Eine Art Namensenteignung der Anwohner, sagt mein Vater. Aber überfällig, sag ich. Und besser, sagt mein Vater, als Dieselautobesitzer schleichend zu enteignen.

Dann lieber kostenlos ne Stauapp installieren, sag ich, für alle Landkreisler, die durch die Digitalstadt müssen, ohne es zu wollen. Ja, sagt meine Mutter, die frühzeitig Ausweichmöglichkeiten anzeigt, so ne Art Verkehrsumverteilung. Welche Ausweichmöglichkeiten, frag ich, ich dachte eher, dass da automatisch ein Staugymnastikprogramm beginnt, die Nutzung der täglichen Zwangsstauzeiten zur Gewichtsumverteilung.
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