Neuanfänge

Darmstadt-Glosse #114 Februar 2018

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Jetzt wollen die doch wieder ne GroKo machen, sag ich, da kommt richtig

©Thea Nivea

Aufbruchstimmung auf. Der SPD bleibt doch gar nichts anderes übrig, sagt meine Mutter. Kannst du dir das Chaos vorstellen, fragt mein Vater, wenn der Parteitag abgelehnt hätte? Es geht auch um Verantwortung für Deutschland. Eben, sag ich, eine GroKo mit Schulz und Merkel ist wie ein altes Ehepaar, das sich über die letzten Jahre quält, da freut man sich so richtig auf Deutschlands Zukunft. Neuwahlen wären dir also lieber gewesen, sagt meine Mutter. Das hätte dann, sagt mein Vater, zu noch mehr Stimmen für die AfD geführt.

Mit dem gleichen Personal schon, sag ich, wir bräuchten mal Neue, nicht immer nur Mutti und entthronte bayerische Patriarchen auf Ministerposten. Inhaltlich hat die SPD ne Menge Verhandlungserfolge erzielt, sagt mein Vater. Super, sag ich, Spitzensteuersatz, sachgrundlose Befristung, Familiennachzug, alles super verhandelt. Zynismus ist eine Haltung, sagt meine Mutter, die ich nicht sehr mag. Sagt die Supergrüne, sag ich. Was ihr in der schwarz-grünen Landesregierung alles so mitmacht, ist schon der Hammer. Ich höre, sagt meine Mutter.

Ihr habt ein massives Haltungsproblem, sag ich, ich sag nur: Abschiebegefängnis Eberstadt. Da hätte die Stadt klare Kante zeigen müssen, sagt mein Vater. Ist doch die selbe Farbkombi, sag ich, was erwartest du? Eine solidarische Gesellschaft, sagt mein Vater, die allen Menschen Teilhabe auf allen Ebenen ermöglicht. Allen, die schon hier sind, fragt meine Mutter, oder allen, die zu Recht hier sind, oder allen, die noch kommen wollen? Jetzt wirds heikel, sag ich. Wir brauchen ein Einwanderungsgesetz, sagt mein Vater.

Wir brauchen einen Neuanfang, sag ich, welche Gesellschaft wollen wir? Wie kriegen wir Globalisierung und regionale Selbstbestimmung unter einen Hut? Wann hört dieser scheiß Wirtschaftsliberalismus endlich auf? Wann kommt das bedingungslose Grundeinkommen? Schnelles Internet wäre auch ganz nett. Ende des Monologs, fragt mein Vater. Nee, sag ich, wozu braucht man noch eine SPD, die seit Jahrzehnten von Erneuerung spricht und sich gleichzeitig von Mutti die Butter vom Brot nehmen lässt?

Erneuerung aus der Opposition heraus also, sagt mein Vater, ich habs ja geahnt. Das ist völliger Quatsch, in der Opposition kannst du Sprüche raushauen, beweisen kannst du dich nur an der Macht. Und die Mutation vom Zwerg zum Riesen gibts noch nicht mal im Märchen. Trotzdem, sag ich, neues Personal muss her, habt ihr denn keinen Nachwuchs? Also, sagt meine Mutter, in der Stavo gibts schon ein paar unter 30, gerade in der SPD. Über den grünen Twen in der Stavo reden wir jetzt besser nicht, sagt mein Vater. Naja, sag ich, das eigentliche Problem war doch die Aufwertung seiner spekulativen Halbvermutungen im OB-Büro.

Ganz nah dran an alternativen Fakten, sagt mein Vater. Wir wollten über Neuanfänge reden, sagt meine Mutter, die Grünen im Bund sind ja schon in der Opposition. Ah, sagt mein Vater, wie darf ich diesen Einwurf verstehen? Wir sprachen gerade von Darmstadt, Mama, sag ich. Ist gut, sagt mein Vater, was hältst du vom Lilienneuanfang? Abgesehen davon, sag ich, dass es eher eine Rückbesinnung war, die Körpersprache im halben Heimspiel und drei Punkte in St. Pauli machen Hoffnung. Also, sagt mein Vater, für Erneuerung durch Abstieg bis du nicht? Nicht bei den Lilien, sag ich, beim HSV schon, wobei mir da erst mal der Abstieg wichtig wäre, damit die blöde Uhr endlich mal aufhört zu ticken.

Bist du eigentlich für Neuwahlen im Bund, fragt meine Mutter. Ich bin gegen Groko, sag ich. Bei den Koalitionsverhandlungen wird es schnell einen Durchbruch geben, sagt mein Vater. Das wird dann, sag ich, genauso gefährlich wie beim Blinddarm. Netter Vergleich, sagt meine Mutter. Und Neuwahlen gibts trotzdem, sag ich. Warum, fragt mein Vater. Wegen der Mitgliederbefragung, sag ich, die Basis will den Neuanfang.

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