Opium et Circenses

Darmstadt Glosse #70 Juni 2014

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©Thea Nivea

Von wegen Wonnen, Wahnsinn wars, der absolute Megawahnsinn im Mai. Da bebte die Erde auf dem Karolinenplatz mehr, als beim richtigen Erdbeben in Bessungen. Und man hätte ja eigentlich gleich weitermachen können, Lilienfeier, Schlossgrabenfest, Heinerfest. Die richtigen Lilienfans machen das sowieso, sagt mein Vater, aus dem Rausch kommen die nie mehr raus.

Fußball ist Opium fürs Volk, sagt meine Mutter. Religion, sagt mein Vater. Wieso Religion, sag ich. Müsstest du eigentlich wissen als Politikstudentin, Karl Marx: Religion ist Opium fürs Volk. Schau an, sagt meine Mutter, der besserwisserische alte Sozi. Egal, sag ich, Fußball ist ja fast schon wie Religion, jedenfalls war der Uffstiech wie Ostern und Weihnachten gleichzeitig. Hast du deshalb meine Osterdeko so kreativ umgebaut, fragt meine Mutter.

Ich hab einen Lilien-Schrein eingerichtet, sag ich. Was hast du, fragt mein Vater. Nix besonderes, sag ich, ich hab die welken Blätter von den Korkenzieherweidezweigen abgezupft, die Plastikostereier waren sowieso überfällig und dann halt neu dekoriert. Ist mir gar nicht aufgefallen, sagt mein Vater, aber jetzt, wo dus sagst, stimmt, da flattern ein paar blaue und weiße Geschenkbänder. Und ein Teil meiner Weihnachstdeko, sagt meine Mutter, für Gestalterisches hat meine Tochtergenauso wenig einen Blick, wie ihr Vater. Der guckt mich fragend an.

Strohengel, Papa, sag ich. Ach so, sagt er und grinst. Ah ja, sagt meine Mutter, gut, jetzt, wo dus sagst, aber bitte, was soll der Josef unter den Zweigen? Sehr genial, sagt mein Vater. Du kapierst das also, sagt meine Mutter. Logisch tut er das, sag ich. Die Würdigung des verlorenen Hüters, sagt mein Vater. War das ein Tipp, fragt meine Mutter. Falls deine Bibelkenntnisse fürs Beruferaten reichenja, sagt mein Vater.

Zum Glück ist das mit dem Fußballhype bald vorbei, sagt meine Mutter. Von wegen, sag ich, geht erst richtig los mit der WM. Finale, Finale, skandiert mein Vater. Vielleicht, sag ich, dann hätte die fehlende Torlinientechnik ja was Gutes gehabt, ein Drittel des Nationalteamswären doch voll depri gewesen, wenn der BVB den Pokal geholt hätte. Danke für dein Verständnis, sagt mein Vater, ab jetzt kennenwir keine Vereine mehr, sondern nur noch Deutsche. Der Herr, sagt meine Mutter, zitiert unkorrekt. Ja, sag ich, und das hat doch der Hindenburg gesagt, nach dem skandalöserweiseimmer noch die Straße heißt? Fast, sagt mein Vater, Wilhelm der II.

Hauptsache, das Volk hat seine Spiele, sagt meine Mutter. Panem et circenses, sagich, ich kann auch zitieren. Und das Volk kriegt nicht mit, sagt mein Vater, was sonst so vorgeht, jedenfalls nicht in Darmstadt. Was meinst du genau, frag ich. Na ja, sagt er, in der Dieburger wird ne Mauer versetzt, damit die Autos besser in die Stadt rasen können … Quatsch, sagt meine Mutter, das ist wg. dem Fahrradweg, den es da noch nicht gibt. Was die Lilienfans trotzdem mitkriegen, sag ich, ist das mit dem Stadion. Eine zeitnahe Entscheidung hat der Reißer im Januar versprochen, das kann doch jetzt gar nix mehrwerden bis zum Saisonbeginn.

Derby zum Zweitligaauftakt, Heimspiel gegen den FSV Frankfurt, sagt mein Vater, ich seh schon die Schlagzeilen. Sehr zynisch, sag ich. Was ist daran zynisch, fragt meine Mutter. Mama, sag ich, dass hängt mit dem Stadion zusammen. Also genauer mit dem Ausweichstadion, sagt mein Vater. Wenn das Bölle nicht fertig wird, sag ich. Weil, sagt mein Vater, weil das Bölle ... Es wird fertig, sagt meine Mutter, nur weil ihr nichts mitkriegt vor lauter Rausch und Fußballspielen, heißt das ja nicht, dass nichts passiert. Ich seh nämlich auch ne Schlagzeile:

Anstoß im generalsanierten Lilienstadion durch Cornelia Zuschke. Wer soll das denn sein, frag ich. Das hättest du jetzt besser nicht gefragt, sagt mein Vater. Ach ihr meint die neue Bautante, sag ich, die ist doch bloß erst gewählt und noch nicht im Amt. Ich staune, sagt meine Mutter. Tja, sagt mein Vater,menssananihilominusopium et circenses. Genau, sag ich.

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