Eine Frage der Konsequenz

Darmstadt Glosse #71 Juli 2014

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©Thea Nivea

Die WM muss boykottiert werden, sagt meine Mutter auf die Frage, warum sie sich nicht mal ein Spiel der Deutschen Elf mit uns gemeinsam angeguckt hat. Sonst ändert sich bei der FIFA nie was. Aber dann, wenn keiner mehr guckt, sag ich, super. Ist schon was dran, sagt mein Vater, über die TV-Gelder machen sie die meiste Kohle, und solidarisch wärs auch. Du meinst, sag ich, es gibt keine bessere Möglichkeit, die Protestbewegung in Brasilien zu unterstützen? Wahrscheinlich nicht, sagt mein Vater.

Wie inkonsequent, sag ich, dann muss man wenigstens zum Public Viewing gehen und sich demonstrativ umdrehen. Wie, fragt mein Vater. Ja, sag ich, hinsetzen, Platz okkupieren und dann mit dem Rücken zur Leinwand. Sehr gut, sagt meine Mutter, eine konsequente öffentliche Demonstration der Ablehnung. Das halt ich, glaub ich, doch nicht durch, sag ich. Ich auch nicht, sagt mein Vater. Gehen wir halt einfachdoch nicht hin, sag ich. Einverstanden, sagt mein Vater, und auf jeden Fall nicht in den Herrngarten.

Ausnahme Heinerfest, sag ich. Okay, meint mein Vater. Hier wird jedenfalls nicht weiter geguckt, sagt meine Mutter. Doch, sagt mein Vater. Dann geh ich, sagt meine Mutter, euer Gekreische bei der Vorrunde hat mir mehr als gereicht. Kein Problem, Mama, sag ich, obwohl, du kannst dirs ja noch mal überlegen. Und vor allem diese alberne Glotzerei um Mitternacht. Mama, sag ich, Mitternachtsspiele gibt es keine mehr, das war Vorrunde. Das ist mir sowieso alles egal, sagt meine Mutter. Ihre Konsequenz, sagt mein Vater und zwinkert mir zu, weil die Spanier schon raus sind.

Haha, passt mal lieber auf, sagt meine Mutter, welche Sauerei sie uns diesmal politisch reindrücken. Was meinst du, frag ich. 2006 die Mehrwertsteuer, sagt mein Vater, 2010 die Erhöhung des Krankenkassenbeitrags… Und, sag ich, 2012 das Meldegesetz, ich weiß, das Thema hatten wir schon, ich wollte wissen, was es dieses Mal wird. Ich tippe, sagt meine Mutter, auf das Fracking-Gesetz. Könnte sein, sagt mein Vater. Und zum Finale kommt Mutti dann wieder, als ob nix gewesen wäre, sag ich, und macht noch mal ein Selfie-Foto.

Politiker schmücken sich gerne mit Fußallerfolgen, sagt meine Mutter. Stimmt, sag ich, in Bielefeld tauchten auch plötzlich der Reißer und der Partsch auf, als ob sie mit dem Lilien-Aufstieg irgendwas zu tun gehabt hätten. Haben sie auch, sagt meine Mutter, die 10 Mio vom Land für das Stadion sind zugesagt, so geht eben konsequentes politisches Handeln. Wurde auch Zeit, sagt mein Vater. Ich dachte, sag ich, du bist dagegen? Es gibt tatsächlich Wichtigeres, sagt meine Mutter, denn der Fußball in Darmstadt ist vom Weltniveau weit entfernt.

Der Vergleich ist unfair, sag ich, die Lilien ...  Sie meint nicht die Lilien, sagt mein Vater, das war eine Anspielung auf die Mathildenhöhe, Weltkulturerbe und so. Ja, sagt meine Mutter, es wird Zeit, dass sich euer Horizont etwas weitet für die wirkliche Kultur. Wenn du mit zum Heinerfest kommst, sag ich, geh ich auch mal wieder mit ins Theater. Solche Verknüpfungen mag ich nicht, sagt meine Mutter. Wieso, sagt mein Vater, Volksfest und hohe Kultur, passt doch, der Schlossgraben ist zum Volksgarten geworden, und auch die Stadtverwaltung und die Theaterverwaltung kommen demnächstzusammen.

Alles konsequent durchdacht, sag ich. Ja, sagt mein Vater, Politik und Theater, das passt super. Spottet ihr nur, sagt meine Mutter, auch solche Synergien muss man prüfen. Quatsch, sag ich, es geht nur darum, dass niemand merken soll, dass der Partsch beim Rathaus einen Rückzieher macht. Eswird eben erst alles sorgfältig geprüft, sagt meine Mutter. Genau, sagt mein Vater, die Darmstädter Form konsequenten Handelns, nichts wirklich beenden, lieber noch mal prüfen und verschieben. Ist doch eh klar, dass es zum Rathaus keine Bürgerbefragung mehr gibt, sag ich. Ah ja, sagt meine Mutter. Ja, genauso klar, sag ich, wie ich jetzt zum Public Viewing gehe, kommt noch wer mit? Ich, sagt mein Vater. Sehr konsequent, sagt meine Mutter.

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