Wir sind die Guten!

Darmstadt-Glosse #86 Oktober 2015

by

©Thea Nivea

Irgendwie ist es ja schon irre, dass wir jetzt die Guten sind, sag ich, und die Merkel so ne Art Mutti Teresa. Ja, sagt mein Vater, mal ne überraschend klare Ansage: Wir schaffen das! Ja, sagt meine Mutter, und wir in Darmstadt tun unser Bestes, war das nicht ein wunderbares Fest, das Dinner in bunt? Schon, sag ich. Und solche Transparente tun auch mal gut, sagt meine Mutter, und diese Begeisterung. Na ja, sag ich, der Dillmann hatte schon recht, wir feiern uns gerade auch ein bisschen selbst. Genau, sagt mein Vater, Darmstadt bleibt weltoffen - der Schulterschluss der Gutmenschen unter Führung der grün-schwarzen Bestmenschen. Du bist und bleibst ein elender Zyniker, sagt meine Mutter.

Deutschland, das gelobte Land, sag ich, muss man sich erst mal dran gewöhnen. Da siehst du mal, wie meinungsbildend Politik sein kann, sagt mein Vater, und wie wichtig das ist, dass sie mal nicht meinungshinterherlaufend ist. Ich glaube, sag ich, einige in der CDU nehmen das Mutti ziemlich übel. Die Mehrheit des Volks aber nicht, sagt meine Mutter. Stimmt, sagt mein Vater, wo wir ja jetzt zwischen Volk und Pack unterscheiden. In Darmstadt gibts kein Pack, sagt meine Mutter.

Die traun sich nur im Moment nicht, sag ich, wo selbst die Blöd-Zeitung einknickt. Wie, fragt meine Mutter. Ja, sag ich, vor ein paar Monaten haben die noch total Stimmung gegen Flüchtlinge gemacht, und jetzt, wo die Lage sich geändert hat, kommen sie mit ner Marketingkampagne als die großen Retter daher. Komisch, sagt mein Vater, hab ich das nicht schon mal wo gelesen? Na und, sag ich, ist doch gut, wenn der A-Block an Bild schreibt, oder? Bitte, was ist der A-Block, fragt meine Mutter. Lilienfans, sagt mein Vater, und zwar die allerbesten. Nicht schon wieder zynisch werden, sag ich. Nein, sagt mein Vater, im Ernst, super Nummer.

Deshalb hab ich auch mein Pokal-Ticket verschenkt, sag ich. Du hast was, fragt mein Va- ter. Ja, als ich mit Mama an der Hirtengrundhalle war, an einen syrischen Jungen im Lewandowski-Trikot. Wir spielen gegen Hannover, sagt mein Vater, was soll das also? Blaff sie nicht so an, sagt meine Mutter, sie hatte schon genug Ärger deswegen. Ja, sag ich, packt mich doch son alter Eberstädter am Arm und nöhlt: Der geht da eh nicht hin, die verkaufen die Karte auf dem Schwarzmarkt und für das Geld schleusen sie den Rest der Familie nach. Und wenn, sagt meine Mutter, die Mutter und die kleine Schwester sind noch in Homs, Vater und Sohn sind alleine los. Zu gefährlich für Frauen, sag ich, hat der Vater gesagt. Und auf die Merkel hat er geschimpft. Warum das denn, fragt mein Vater. Nicht der Vater, sag ich, der Eberstädter Opa, und auf die CDU wär auch kein Verlass mehr.

Die CDU hat mit Anti-Ausländerkampagnen schon Wahlkämpfe gewonnen, sagt mein Vater, ist gar nicht so lange her. Es gibt also auch Dirty-Darmstadt, sag ich, leider nicht nur im Fußball. Da ist das ja ein Ehrentitel, sagt mein Vater. Obwohl, sag ich, die Spielkultur gegen Bremen war schon alles andere als nur dirty. Super war sie, sagt mein Vater, 3 Punkte im August, 6 Punkte im September, das heißt dann 12 im Oktober. Oder 9, sag ich, plus Pokalsieg. Es ist schon erstaunlich, sagt meine Mutter, wie ihr nahtlos von Flüchtlingsschicksalen zum Fußball wechseln könnt. Wieso erstaunlich, frag ich, gibts im Moment noch irgendein andres Thema? VW z.B., sagt meine Mutter.

Made in Germany – in Deutschland ist der Wurm drin, sag ich. Sie würde wahrscheinlich gerne über den Haushalt reden, sagt mein Vater. Und nicht über die Waschmaschine fürs Saladin-Eck, sag ich, lieber über den Musterkämmerer und ihren Super-OB, es ist ja Wahlkampf. Zynismus kannst du schon fast so gut, wie dein Vater, sagt meine Mutter. Obwohl man sich den Wahlkampf schenken könnte, sagt mein Vater, wo der Schellenberg doch eh schon für die nächste Legislaturperiode plant. Das wäre nicht das Schlechteste für Darmstadt, sagt meine Mutter. Ihr seid halt die Guten, sagt mein Vater. Nur die Lilienfans, sag ich, sind noch besser. 

Back to topbutton