Weltpolitik und Weihnachtsplätzchen

Darmstadt-Glosse #88 Dezember 2015

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©Thea Nivea

Irgendwie läuft alles gerade ein bisschen aus dem Ruder, sag ich, und mein Vater nickt. Beeilt euch mit dem Ausstechen, sagt meine Mutter, der Butterteig darf nicht zu warm werden. Sei froh, dass wir dir überhaupt helfen, sagt mein Va- ter. Und du, nasch nicht so viel rohen Teig, sagt meine Mutter zu mir, da sind Eier drin. Ich hel- fe nur deswegen, sag ich. Weswegen, fragt meine Mutter. Wegen dem rohen Teig, sagt mein Vater. Des rohen Teiges, sagt meine Mutter, auf wegen folgt der Genitiv. Von wegen, sag ich, und man gewöhnt sich an allem, auch am Dativ. Und am Plätzchenbacken, sagt mein Vater.

Was eigentlich, fragt meine Mutter. Was was, frag ich. Was aus dem Ruder läuft, fragt meine Mutter. Die ganze Welt, sagt mein Vater, jetzt kommt die Quittung für die arrogante Machtpolitik, das Zerstören intakter Staaten ... Diktaturen, sag ich. Von mir aus, sagt mein Vater, aber wer hat denn die Islamisten aufgerüstet, das waren die Amis höchst selbst, und wer ist nach ihnen der größte Waffenexporteur? Allen voran, sagt meine Mutter, dein scheinheiliger Parteierzengel. Der letzte Heilige der SPD ist gerade gestorben, sag ich.

So heilig war der der SPD zu Amtszeiten nie, sagt meine Mutter. Aber, sag ich, der hatte noch Format, die heutigen Politiker sind doch allesamt Quotennutten. Nur Mutti scheinen die Um- fragewerte egal zu sein, sagt mein Vater. Sie läutert sich gerade, sag ich. In Wahrheit kanns ihr doch egal sein, sagt mein Vater, ob sie mit 35 oder 45% die große Koalition fortsetzt. Falls der Weihnachtsmann von de Maizière ihr nicht die Stimmung versaut, sag ich. Hier ist das Eigelb, sagt meine Mutter, ihr müsst noch bepinseln. Der ist für Weihnachtsmann ungeeignet, sagt mein Va- ter, zieh ihm ne Millitärjacke an, setz ihm ne schneidige Mütze auf und verpass ihm ne dun- kle Sonnenbrille, dann geht der an Fastnacht problemlos als Junta-Chef durch. Und jetzt die Zuck- erstreusel, sagt meine Mutter.

Weltpolitischer Defätismus beim Plätzchenbacken, sag ich, sehr skurril. Besser, als Smombie zu sein, sagt meine Mutter. Als was, frag ich. Smombie, sagt mein Vater, das Jugendwort des Jahres. Kenn ich nicht, sag ich. Mischung aus Smartphone und Zombie, erklärt meine Mutter. Seit wann interessierst du dich für sog. Jugend- wörter, frag ich. Seit sie zur Kinderabteilung der Grünen gehört, sagt mein Vater. Wie, frag ich. Wahlkampfstrategie, sagt mein Vater, klientelorientiert. Deshalb wurde doch auch der Weihnachtsmarkt 2x eröffnet, einmal von den Größten für die Großen, und dann noch mal von der Akdeniz und dem Reißer für die Kleinen. Süß, sag ich, hab ich gar nicht mitgekriegt. Aufpassen, sagt meine Mutter, das Blech muss in den Ofen, das Licht ist aus.

Hoffentlich gehen vor Weihnachten nicht noch wo die Lichter aus, sag ich. Schiss vor Anschlägen, fragt mein Vater. Naja, sag ich, meine Freundin war zum Länderspiel in Hannover, lustig fand sie die Terroralarm nicht. Wo doch Weihnachten an sich schon Terror genug ist, sagt mein Vater. Jetzt wirds aber sehr zynisch, sagt mein Mutter, hier, ausrollen, ausstechen und aufs Blech. Die Stimmung bei uns ist so ausgeglichen wie der Darmstädter Haushalt, sagt mein Vater. Logisch, sag ich, ist doch Wahlkampfjahr. Alles Sozipropaganda, sagt mein Mutter, von wg. Wahlkampfhaushalt. Würdest du wenigstens privat von einem Kampfhaushalt sprechen, frag ich, ohne Wahl. Haha, sagt meine Mutter.

Kommst du mit zum Derby, fragt mein Vater. Klar, sag ich, gegen die Eintracht bist sogar du bestens zu gebrauchen, da nutzt deine alte OFC-Liebe wenigstens was. Rache für die rote Autobahnbrücke, sagt mein Vater. Aber Weihnachten bin ich nicht da, sag ich. Wieso, fragt mein Vater? Wie, sagt meine Mutter, und wozu back ich dann den ganzen Tag? Wir, sag ich, wir backen. Ich will eine Antwort, sagt meine Mutter. Lieber nicht, sag ich. Wieso, fragt mein Vater. Ein Teil mei- ner Antworten würde euch verunsichern, sag ich, und ein paar Plätzchen würde ich mitnehmen. Na dann, sagt mein Vater, frohe Weihnachten. 

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