Auftragsarbeiten

Darmstadt-Glosse #89 Januar 2016

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©Thea Nivea

Ob ich glaube, dass 2016 ein gutes Jahr wird, hat meine Mutter gefragt. Bin ich Hellseher, hab ich gesagt und sie gefragt, warum sie mich das fragt. Darüber soll ich mal nachdenken, hat sie gesagt. Was meint sie damit, frag ich meinen Vater. Gib mir mal die Schachtel für die Kugeln, sagt er. Musst du das jetzt machen, frag ich. Morgen werden die Weihnachtsbäume abgeholt, sagt mein Vater, hilfst du mir gleich beim Wegtragen? Von mir aus, sag ich, warum packst eigentlich du den ganzen Kram weg? Mama macht Wahlkampf, sagt mein Vater. Ich verstehe, sag ich, noch son Auftrag. Wieso noch son Auftrag, fragt mein Vater. Na, du sollst Weihnachten abräumen, sag ich, und ich soll nachdenken, wie 2016 wird, also eigentlich, warum Mama mich das fragt.

Ich mach dir nen Vorschlag, sagt mein Vater, lass uns das hier gemeinsam fertig machen und dann denken wir nach. Können wir auch gleichzeitig, sag ich, der denkende Mensch realisiert sich im Handeln, Adorno, glaub ich. Ich denke, sagt mein Vater, das ist schon Teil des Problems. Was, frag ich. Dein Politikstudium macht dich schlau, aber sonst kommt nix bei raus, sagt mein Vater. Was soll denn sonst bei rauskommen, frag ich? Vielleicht ne Perspektive, fragt mein Vater. Mist, jetzt ist der Glasstern hin, sag ich. Perspektiven hab ich ne Menge. Auch was Konkretes, fragt mein Vater. Heiraten und Kinder kriegen, sag ich. Super, sagt mein Vater, ich meinte beruflich.

Glossenschreiberin beim FRIZZ, sag ich. Da würdest du besser ne Ausbildung machen, sagt mein Vater. Sagst du oder Mama, frag ich. Mama, sagt mein Vater. Den Job hat Nora, sag ich. Nora, fragt mein Vater. Die Meerjungfraublaugrünblonde von der Weihnachtsfeier, sag ich, auf die du so abgefahrn bist, als ihr mich abgeholt habt. Quatsch, sagt mein Vater, die könnte meine Tochter sein. Eben, sag ich, aber ich bin deine Tochter. Dann halt mal fest, Tochter, sagt mein Vater, dass ich den Ständer abmontieren kann.

2016 mach ich meinen Bachelor, sag ich. Wie, fragt mein Vater. Darum gehts euch doch, sag ich. Ja, schon, sagt er. Die Lilien werden 13. und die Eintracht steigt ab, sag ich. Wie, fragt mein Vater. Ja, sag ich, passiert alles 2016, Deutschland scheitert bei der EM, gewinnt aber gegen Syrien, und Paris hat die Welt gerettet. Wie, fragt mein Vater. Dein drittes Wie schon, sag ich: der Klimagipfel war in Paris, deshalb geht die Welt nicht unter. Wie, sagt mein Vater. Zum Vierten, sag ich, weil fluctuat nec mergitur im Wappen von Paris steht, studieren macht eben schlau, kannst ja googlen. Lass uns den Baum wegbringen, sagt mein Vater. Wir, die Vorzeigefamilie der grünen Mama, sag ich. Du bist schon fast so zynisch wie ich, sagt mein Vater.

Oh, ganz der Papa, sag ich. Weißt du noch früher? Wie mich das genervt hat! Deine Mutter erst, sagt mein Vater. Warum macht sie überhaupt noch Wahlkampf, sag ich, es geht doch sowieso nur darum, obs Grün-Schwarz oder Schwarz-Grün wird. Seh ich auch so, sagt mein Vater, sie machen halt nicht so wirklich viel verkehrt. Sagt sogar, sag ich, ein alter Sozi. Wir setzen dann auf die OB-Wahl, sagt mein Vater. Wird nix nützen, sag ich, die Darmstädter sind mit ihrer Stadt zufrieden, Darmstadt ist die zukunftsfähigste… Was ist denn mit dir los, fragt mein Vater? Ganz die Mama, sag ich. Vergiss den Schal nicht, sagt mein Vater, es ist kalt draußen. Ganz die Mama, sag ich.

Es gibt kein richtiges Leben im falschen, sagt mein Vater. Wie, frag ich. Zitat, sagt mein Vater, definitiv Adorno, hab halt auch ein bisschen Politik studiert. Und deine Prognosen für 2016, frag ich. Rechtsruck in Europa und noch mehr Terroranschläge, sagt mein Vater. Sie lernen halt nichts dazu, sag ich, Bomben schaffen keine demokratischen Verhältnisse. Und die Geldpumpe EZB lässt die Rentenkassen und die Volksbanken crashen, sagt mein Vater. Ich verstehe, sag ich, nur hier in Darmstadt ist alles richtig gut. Ja, sagt mein Vater. Du, da vorn kommt Mama. Dann lass uns in die Kneipe gehen, sag ich, ihren Nachdenkauftrag abarbeiten.

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